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Analyse zum AfD-Sieg
5 Lehren einer historischen Wahl

dpatopbilder - 01.09.2024, Thüringen, Erfurt: Björn Höcke (AfD), Partei- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Thüringen und Spitzenkandidat, geht durch den Landtag. In Thüringen fand am Sonntag die Landtagswahl statt. Foto: Jacob Schröter/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Jacob Schröter)
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Thüringen, wieder Thüringen. 1930 stellten Adolf Hitlers Nationalsozialisten hier erstmals in der Geschichte der Weimarer Republik zwei Minister in einer Regionalregierung. Es war der unscheinbare Auftakt zu einer Machtübernahme, die Deutschland und Europa in eine Katastrophe stürzen sollte.

Erstmals seit 1945 hat am Sonntag in Thüringen mit der Alternative für Deutschland wieder eine von Behörden als rechtsextremistisch eingestufte Partei eine landesweite Wahl gewonnen. Deren Chef Björn Höcke wird zwar nicht Ministerpräsident werden, weil keine andere Partei bereit ist, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Ein Grund zur Beruhigung ist das aber kaum.

Die AfD triumphiert – und bleibt doch aussen vor

Auch die AfD jubelt gern, fast genauso gern geriert sie sich aber als Opfer. Mitunter lassen sich die beiden Posen auch nützlich verbinden – wie am Sonntagabend nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen: Jubel über den «historischen» ersten Platz mit 33 Prozent in Thüringen und Platz 2 mit mehr als 30 Prozent in Sachsen. Und Empörung darüber, dass die anderen Parteien dennoch nicht mit ihr regieren wollen. Die «Brandmauer»-Politik sei doch längst gescheitert, schimpfte Höcke – und konnte doch nur ohnmächtig zusehen, wie diese gerade noch einmal hielt.

In der AfD glaubt man, diese Entwicklung führe automatisch dazu, dass die verfemte Partei immer stärker werde. Sicher ist das aber nicht. Führen Protestvoten auf Dauer nicht zu Veränderungen, nutzen sie sich ab. So viel billige Protestenergie wie die jetzige Ampel-Regierung in Berlin wird ein künftig wohl wieder von der CDU geführtes Kabinett der AfD nicht mehr liefern. Schon jetzt wünschte sich in Thüringen übrigens nicht einmal die Hälfte der AfD-Wähler und -Wählerinnen den völkischen Ideologen Björn Höcke als Ministerpräsidenten.

Auch ohne Regierungsmacht kann die illiberal gesinnte AfD der liberalen Demokratie aber erheblich schaden. In Thüringen hat Höckes Partei mit mehr als einem Drittel der Sitze eine sogenannte Sperrminorität errungen. Ohne ihre Zustimmung lassen sich nun weder die Verfassung ändern, der Landtag auflösen, hohe Richter oder Beamte wählen. Die AfD werde diese «Gestaltungsmacht», die vor allem Blockaden ermöglicht, nun nutzen, um das unfaire System zu desavouieren, versprach die AfD. Das verspricht Übles.

Für die Kanzlerpartei SPD wird die Lage immer kritischer

Kämpfen lohne sich, sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert am Wahlabend – meinte damit aber nur, dass seine Partei noch Schlimmeres verhindert habe: das Scheitern an der 5-Prozent-Hürde etwa. Die Sozialdemokraten, die mit Olaf Scholz in Berlin den Kanzler stellen, finden seit Monaten nicht aus der Spirale schlechter Nachrichten hinaus.

Die Debakel beschränken sich keineswegs auf den Osten, sondern hatten im letzten Herbst schon in Bayern und Hessen mit historisch schlechten Ergebnissen begonnen, bevor sich bei den Europawahlen im Juni das schlechteste landesweite Resultat seit 1887 einstellte. Viele in der SPD schieben die Schuld mittlerweile auf Kanzler Scholz. Dieser habe es nie geschafft, seine Regierung mit Grünen und Liberalen so zu führen, dass deren Entscheide eine breite Mehrheit der Deutschen überzeugt hätten.

In drei Wochen steht in Brandenburg, dem Land rund um Berlin, für die SPD eine Schicksalswahl an. Anders als in Sachsen und Thüringen, wo die Partei bereits zuvor schwach war, stellt sie in Brandenburg seit 1990 den Ministerpräsidenten. Verliert Dietmar Woidke die Macht, wackelt auch Scholz’ Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl im nächsten Jahr.

Die CDU ist die letzte verbliebene «Volkspartei»

Seit dem Abgang von Angela Merkel 2021 sitzen CDU und CSU im Bundestag in der Opposition. Laut Umfragen sind sie aber längst wieder die mit Abstand stärkste Partei Deutschlands. Im Osten bilden die Christdemokraten zudem den letzten Anker, wenn es darum geht, Mehrheiten gegen oder ohne die AfD zu bilden. «Wir sind die letzte Volkspartei», resümierte am Wahlabend Carsten Linnemann, Generalsekretär der CDU, «das Bollwerk der Demokratie». Er klang eher bedauernd als triumphierend.

In Sachsen wird es dem bisherigen CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer eher gelingen, eine stabile Regierung zu bilden, als in Thüringen dem blassen Neuling Mario Voigt. Dass es beiden glückt, wäre vor allem für Friedrich Merz wichtig, den Chef der Bundes-CDU. Nach der Wahl in Brandenburg in drei Wochen möchte sich der 68-Jährige nämlich als Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl 2025 ausrufen lassen. Bleibt die CDU nach den Wahlen im Osten der zentrale politische Akteur, an dem sich die anderen Mitteparteien orientieren, dürfte ihm diese Chance nicht mehr zu nehmen sein.

Im Osten verändert sich die Politik radikal – ein Vorbote?

40 bis 50 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben in Sachsen und Thüringen extremistische oder populistische Parteien gewählt: die AfD, aber auch die links-konservative Querfront der ehemaligen Kommunistin Sahra Wagenknecht. Dass sich eine neue Partei um eine populäre Einzelperson bildet und auf Anhieb grössere Teile der Wählerschaft hinter sich schart, gibt es in anderen Ländern zwar schon lange – von Berlusconi bis Macron. In Deutschland ist es aber ein Novum.

Manche Fachleute glauben, auch in Deutschland werde die Zukunft nach dem Ende der klassischen Volksparteien so aussehen: Charisma triumphiert über Inhalt, Empörung über Zustimmung, situatives Wählen über traditionelle Bindungen, Unstetigkeit über Stabilität. Dass Ostdeutschland hier vorausgeht, steht fest. Dazu gehört auch, dass in vielen Gemeinden zwischen Ostsee und Böhmen schon heute Parteilose die politische Arbeit verrichten.

Thüringen und Sachsen sind nicht Deutschland

Einerseits ist leicht zu verstehen, warum Regionalwahlen in zwei kleinen Bundesländern im wenig bevölkerten Osten Deutschlands so grosse Aufmerksamkeit auf sich ziehen: Der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg einer rechtsextremen Partei wie der AfD alarmiert viele Deutsche und auch viele Europäer – angesichts der Geschichte des Landes zwischen 1933 und 1945 ist das verständlich.

Andererseits ist die Aufmerksamkeit übertrieben. Wenige deutsche Landstriche sind so konservativ und neigen derart den Extremen zu wie Sachsen und Thüringen. Im Westen verfängt auch die Erzählung von der angeblich von den USA in den Krieg gegen Russland getriebenen Ukraine kaum. Zu sicher sollten sich die Menschen im Westen aber auch nicht fühlen. Deutschlandweit figuriert die AfD mit 17,5 Prozent ebenfalls als zweitstärkste Partei, das Bündnis Wagenknecht liegt mit 8 Prozent weit vor der FDP.

Der Wahlausgang in Sachsen und Thüringen müsse allen Demokraten eine Warnung sein, schrieb Berthold Kohler gerade, der Herausgeber der liberal-konservativen «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Dafür, wie schnell politische Verhältnisse ins Wanken geraten könnten, «wenn viele Bürger für grundfalsch halten, was eine Regierung entscheidet und macht».