Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Frust vor dem Parteitag
Den deutschen Grünen vergeht die Lust am Regieren

17.11.2023, Berlin: Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, wartet am Rande des Haushaltsausschusses des Bundestags mit der finalen Beratung des Etats für 2024. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Kay Nietfeld)

Die November-Depression der deutschen Grünen hat viele Gesichter. Jenes von Tarek Al-Wazir etwa, dem bisherigen stellvertretenden Ministerpräsidenten von Hessen. Der Grüne, der zehn Jahre lang erfolgreich mit den Christdemokraten regiert hat, gilt als fähig, modern und überaus pragmatisch.

Darum traf es Al-Wazir hart, als die CDU seine Grünen nach der Landtagswahl Knall auf Fall gegen die SPD austauschte, die in Hessen zuletzt eine eher jämmerliche Figur abgegeben hatte. In Krisenzeiten sei es mit den Sozialdemokraten eben einfacher, fand Regierungschef Boris Rhein und erntete dafür viel Applaus. Exakt dasselbe war den Grünen Anfang Jahr schon in der Hauptstadt Berlin passiert.

Vom «besseren Kanzler» zum Minister der traurigen Gestalt

Robert Habeck ist ein anderes Gesicht der Krise. Eben noch wurde der grüne Vizekanzler für seine Rede zum Krieg in Nahost mit Lob überschüttet. Doch seit sich zwei seiner Multi-Milliarden-Fonds nach einem höchstrichterlichen Urteil in Luft aufgelöst haben, wankt er wahlweise wütend, traurig oder ratlos durch die Talkshows. Der Wirtschaftsminister weiss: All seine Pläne zum klimafreundlichen Umbau von Industrie und Gesellschaft drohen Makulatur zu werden.

Ricarda Lang mag als letztes Beispiel der Tristesse dienen: Die junge linke Parteivorsitzende hatte jüngst in einem Brief gemeinsam mit Winfried Kretschmann, dem grün-konservativen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, einen Aufruf veröffentlicht, um die Partei auf eine strengere Asylpolitik einzuschwören. Statt die kritischen Stimmen zu besänftigen, löste der Appell zu «mehr Ordnung» aber nur noch mehr Streit aus. Die Neuausrichtung sei «unnötig und unmenschlich», fand die Grüne Jugend, und bestätige «rassistische Diskursmuster».

Schon nach zwei Jahren genug vom Regieren?

Die Stimmung bei den Grünen ist gereizt und gedrückt, wenn diese sich ab heute Abend in Karlsruhe zum viertägigen Parteitag treffen. Eigentlich wollte die Versammlung die Europawahl im nächsten Jahr vorbereiten, tatsächlich muss sie nun vor allem das eigene Selbstverständnis verhandeln. 16 Jahre lang schmorten die Grünen zuletzt in der Opposition, seit zwei kurzen Jahren regieren sie jetzt in der Ampel mit SPD und FDP mit – und doch ist die Freude an der Macht bei vielen bereits verflogen.

Co-leader of Germany's Greens (Die Gruenen) and the party's candidate for chancellor Annalena Baerbock (L) and co-leader of Germany's The Greens (Die Gruenen) party Robert Habeck react on stage during the Greens (Die Gruenen) electoral party after estimates were broadcast on television, in Berlin on September 26, 2021 after the German general elections. (Photo by David GANNON / AFP)

Oberflächlich betrachtet, geht es den Grünen gar nicht so schlecht: Anders als SPD und FDP halten sie ihre Werte in den Umfragen, jedenfalls wenn man die Bundestagswahl von 2021 zum Vergleich heranzieht. Die Stimmung ist dennoch mies, einfach weil die Partei davor und danach zeitweise viel höher flog. Im Hype um die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und danach um den «besseren Kanzler» Robert Habeck schien es, als ob die Grünen tatsächlich die Sozialdemokraten als Vormacht der linken Mitte auf Dauer ablösen könnten.

Handfestere Ängste haben die Sorge ums Klima verdrängt

Ein Jahr später sind diese Träume fürs Erste geplatzt. In Zeiten von Inflation, Energienot, Migration und Krieg haben handfestere Ängste die Sorgen um das Klima verdrängt. Mit eigenen Fehlern trugen die Grünen zu dieser Entwicklung noch bei.

Habecks Plan, den Austausch von alten Öl- und Gasheizungen zu beschleunigen, löste erbitterte Widerstände aus, zumal der Grüne anfangs allzu starr und sozial blind vorging. Dies reaktivierte das alte Vorurteil, grüner Klimaschutz sei etwas, was sich ohnehin nur die Reichen leisten könnten.

Eine grosse Mehrheit wollte auch nicht verstehen, dass Deutschland ausgerechnet in einer schweren Energiekrise die letzten Atomkraftwerke abschaltete – Habeck konnte sich mit einem pragmatischeren Vorgehen in der Partei nicht durchsetzen. Seither müssen die Grünen wieder mit dem Vorwurf leben, dass es ihnen am Ende weniger um das Klima gehe als um ihre eigene Ideologie.

Die Grünen sind zum Lieblingsfeind geworden

Laut Demoskopen gelten die Grünen heute wieder als Kraft, die bei vielen Wählerinnen und Wählern Misstrauen auslöst statt Interesse zu wecken. Und Zustimmung gibt es wie zu Oppositionszeiten vorab vom eigenen Milieu statt aus der breiten Mitte.

Die anderen Parteien helfen eifrig mit, den Konkurrenten weiter zu isolieren: Von Sahra Wagenknecht über Markus Söder bis zu Alice Weidel haben sie die Grünen zu ihrem Lieblingsfeind erklärt und bestreiten mit Klagen über angebliche grüne Besserwisserei, Moralisiererei und Verbieterei mittlerweile ganze Wahlkämpfe.

An der linken Basis werden die Stimmen lauter, die dem Regierungsteil der Partei vorwerfen, die grünen Ideale zu verraten.

Die Angriffe sind paradoxerweise umso heftiger, je weniger sich die Grünen in der Ampel-Regierung noch durchsetzen. Je mehr Kompromisse sie eingehen, für umso ideologischer hält man sie. Die Grünen würden derzeit für eine Politik gehasst, kommentierte kürzlich die «Zeit», die sie gar nicht betrieben.

Am Parteitag muss sich zeigen, wie die Partei auf die Krise reagiert. Einfache Rezepte gibt es nicht. Die Spitze um Habeck, Baerbock, Lang oder Kretschmann plädiert dafür, durchzuhalten und unbeirrt weiter um die Zustimmung des «politischen Zentrums» zu werben, auch wenn dies schmerzliche Zugeständnisse erfordert.

An der linken Basis aber werden die Stimmen lauter, die dem Regierungsteil der Partei vorwerfen, die grünen Ideale zu verraten. Ein offener Brief, den bereits 1000 Mitglieder unterschrieben haben, schimpft, die Partei sei zu einer «Werbeagentur für schlechte Kompromisse» verkommen, und fordert eine «Rückkehr zu den Grünen». Wie sich die Regierungswilligen gegen die wiederkehrende Sehnsucht nach reiner Lehre und Opposition behaupten, ist für die Zukunft der Partei von grosser Bedeutung.