Streit um EU-AsylpolitikLinke Grüne rebellieren gegen Annalena Baerbock
In der deutschen Ökopartei brechen die alten Gräben zwischen den Lagern wieder auf. Die Konflikte stürzen die Ampelregierung in neue Schwierigkeiten.
Es dauerte nur Minuten, bis sich die Grünen-Spitze diametral widersprach. Parteichefin Ricarda Lang meinte, Deutschland hätte den Reformen der europäischen Asylpolitik in Brüssel nicht zustimmen dürfen. Co-Chef Omid Nouripour twitterte: «In der Gesamtschau komme ich zu dem Schluss, dass die heutige Zustimmung ein notwendiger Schritt ist, um in Europa gemeinsam vorzugehen.» Die beiden Fraktionschefinnen taten es ihnen kurz darauf gleich: «Reala» Britta Hasselmann verteidigte den Kompromiss, Katharina Dröge vom linken Flügel kritisierte ihn.
Anlass für den Zwist war eine Zustimmung, die kurz zuvor Annalena Baerbock gegeben hatte. Die grüne deutsche Aussenministerin hatte den Kompromiss ihrer Regierungskollegin Nancy Faeser (SPD) unterstützt, obwohl dieser eine dicke rote Linie überschritt, die die Grünen vor den Verhandlungen gezogen hatten: Geflüchtete Familien mit Kindern müssten von der Inhaftierung in Lagern an der EU-Aussengrenze ausgenommen werden.
Deutschland warb für diese Ausnahme, stand aber beinahe allein. Ohne die Zustimmung aus Berlin wären indes die gesamten Verhandlungen gescheitert. «Wenn wir die Reform als Bundesregierung alleine hätten beschliessen können», verteidigte sich Baerbock danach, «dann sähe sie anders aus.» Wer diesen Kompromiss für inakzeptabel halte, müsse wissen, dass ohne ihn auch die neu beschlossene Verteilung von Asylsuchenden in der EU nicht möglich gewesen wäre. «Ein Nein oder eine Enthaltung Deutschlands zu der Reform hätte mehr Leid, nicht weniger bedeutet.»
Baerbocks Erklärungen zum Trotz ist die Empörung bei den Grünen seither täglich gewachsen. Der junge Bundestagsabgeordnete Julian Pahlke, der sich für die Seenotrettung im Mittelmeer engagiert, sprach vom «bittersten Tag» in seinem politischen Leben und nannte die Zustimmung eine «historische Schande». Ein anderer sprach von einem «Hartz-IV-Moment» der Grünen – in Anlehnung an die von SPD-Kanzler Gerhard Schröder verantworteten Sozialreformen der 2000er-Jahre. Asylorganisationen brachten Bilder von Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck in Umlauf, die sich 2018 noch für «ein Europa, das rettet» engagiert hätten, und überschrieben sie mit: «ein Europa, das inhaftiert».
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Viele linke Grüne hegen Vorstellungen einer humanitären Flüchtlingspolitik, die mit der Realität an den europäischen Aussengrenzen nur noch wenig zu tun haben. Deutschland wiederum ist mit seiner vergleichsweise grosszügigen Aufnahmepraxis in Europa zunehmend isoliert, die Grünen ihrerseits unter den deutschen Parteien.
Bei den Grünen selbst reisst der Entscheid politische Gräben wieder auf, die in der Amtszeit der Parteichefs Habeck und Baerbock mit viel Fleiss zugeschüttet worden waren: die zwischen «Realos» und «Fundis».
Droht eine Blockade der Regierung?
Jürgen Trittin, unter Schröder einst Umweltminister und einer der führenden «Fundis», droht den aktuellen Regierungsmitgliedern Habeck und Baerbock denn auch bereits: Würden Familien und Kinder von den neuen Grenzverfahren nicht ausgenommen, müsse ein Sonderparteitag die Position der Grünen klären. Es gehe hier um «echte grüne DNA».
Maliziös fügt er hinzu, ein solches Vorgehen könnte die Partei und die Regierung monatelang lähmen. Mit einer ähnlichen Drohung hatte der 68-Jährige im letzten Herbst schon verhindert, dass Wirtschaftsminister Habeck den Weiterbetrieb dreier Atomkraftwerke über den Winter von sich aus hätte erlauben können.
Die Parteispitze kommt am Samstag zu einem kleinen Parteitag in Hessen zusammen und wird versuchen, die Lage fürs Erste zu entschärfen. Wahrscheinlicher ist, dass sich die Gräben dabei erst recht vertiefen. Ändern können die Grünen die Reform im Prinzip nur noch im Europäischen Parlament. Aber auch dort stehen sie in der Asylfrage ziemlich allein.
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