Krieg in NahostUSA und Frankreich erhöhen den Druck auf Israel
Die beiden Staaten fordern mit deutlichen Worten, dass Israel sein Vorgehen im Gazastreifen mässigt.
Israels Premierminister Benjamin Netanyahu will nicht hören, was ihm die Verbündeten in den westlichen Hauptstädten hinter den Kulissen gerade sagen. Also tragen sie die Kritik nun an die Öffentlichkeit. Zuerst stellte Aussenminister Antony Blinken vergangene Woche das Kriegsziel infrage, die radikalislamistische Terrororganisation Hamas zu vernichten, und verlangte mehr Schutz für die Zivilbevölkerung. Am Wochenende bekräftigten US-Regierungsvertreter und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Forderungen.
Vor einer «strategischen Niederlage» warnte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in einem Referat über die «Lektion» aus seinen Einsätzen im Irak und gegen die Terrormiliz IS. Einen Häuserkampf könne man nur gewinnen, «indem man Zivilisten schützt». Genau wie jetzt die Hamas habe sich der IS unter Zivilisten versteckt, warnte Austin: «Treibt man sie dem Feind in die Arme, ersetzt man einen taktischen Sieg mit einer strategischen Niederlage.»
«Treibt man sie dem Feind in die Arme, ersetzt man einen taktischen Sieg mit einer strategischen Niederlage.»
Das waren deutliche Worte von einer Regierung, deren Präsident sich bisher bedingungslos hinter Netanyahu gestellt hatte. Überraschend äusserte sich am Samstag auch Vizepräsidentin Kamala Harris zu dem Konflikt. Offiziell war sie zur UNO-Klimakonferenz nach Dubai geflogen.
USA warnen vor «Zwangsumsiedlung» von Palästinensern
Dort war der Krieg in Gaza jedoch das dominierende Thema, sie sprach mit den Machthabern von Ägypten, Jordanien, den Emiraten sowie Katar. Anschliessend warnte das Weisse Haus in einer Stellungnahme, es werde keine «Zwangsumsiedlung von Palästinensern aus Gaza oder dem Westjordanland zulassen». Die Idee einer Pufferzone lehnten die USA ab, sie würden «die Neuziehung der Grenzen von Gaza» nicht akzeptieren.
Mündlich äusserte sich Harris weniger scharf, sodass Fragen zurückblieben, inwiefern ihre Kritik der konsolidierten Haltung der Biden-Regierung entsprach. Die Vizepräsidentin habe ihre Sprachregelungen vergessen oder spiele gerade «good cop/bad cop» mit den Israelis, kommentierte Aaron David Miller vom Thinktank Carnegie Endowment for International Peace. Biden hatte bisher den netten Polizisten gemimt. Inzwischen äussert er sich etwas nuancierter. «Mit Angst und Gewalt und Töten und Krieg weiterzumachen bedeutet, der Hamas das zu geben, was sie will. Und das können wir nicht tun», sagte er vor zehn Tagen, als die Waffenruhe noch hielt.
Macron warnt vor «zehn Jahren» Krieg
Einen ähnlich kritischen Tonfall wie die US-Regierungsvertreter wählte auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Rand der Klimakonferenz in Dubai. «Wir sind an einem Punkt angelangt, da die israelische Regierung ihr Ziel genauer definieren muss», sagte Macron. «Die totale Vernichtung der Hamas – was ist das? Und denkt jemand, dass das möglich ist?» Sei die totale Zerstörung der Terrororganisation das Ziel, dann dauere dieser Krieg «zehn Jahre». Der richtige Kampf gegen den Terrorismus bestehe nicht «in einem systematischen und ständigen Bombardement». Es gehe darum, die palästinensische Zivilbevölkerung zu schützen, um dann mit gezielten Operationen gegen die Hamas vorzugehen. Macron forderte eine erneute Feuerpause zur Aushandlung eines dauerhaften Waffenstillstands.
«Die totale Vernichtung der Hamas – was ist das? Und denkt jemand, dass das möglich ist?»
Seit dem 7. Oktober hat Frankreichs Staatschef oft ohne Absprachen Initiativen ergriffen. So schlug er Ende Oktober überraschend die Bildung einer internationalen Koalition gegen die Hamas vor, wie sie 2014 für den Kampf gegen den IS geformt worden war. Als von allen Seiten Verwunderung laut wurde, korrigierte er seine Aussage. Seither wiederholt Macron bei jeder Gelegenheit drei Prinzipien: Erstens müsse für die Sicherheit Israels und der palästinensischen Zivilbevölkerung gesorgt sein; zweitens müssten die Menschen in Gaza humanitär versorgt werden; und drittens sei es dringend nötig, dass man Diskussionen über den politischen Prozess nach dem Kriegsende anstosse, der in der Gründung eines palästinensischen Staates münden müsse.
Biden ist innenpolitisch geschwächt – genau wie Netanyahu
Auf eine Zweistaatenlösung drängen auch die USA. Doch Netanyahu wies gleich am Samstagabend alle Kritik und Ratschläge der Verbündeten zurück. Er scheint darauf zu spekulieren, Bidens innenpolitische Schwäche vor den Präsidentschaftswahlen 2024 ausnutzen zu können. Als sich Biden hinter Israel stellte, protestierte der linke Flügel seiner Partei. Nun, da er zu Netanyahu auf Distanz geht, tadeln ihn die Republikaner.
Das Spiel mit dem innenpolitischen Druck versteht indes auch Biden. Netanyahu muss sich harte Fragen gefallen lassen, nachdem der «New York Times» Informationen über das Versagen der israelischen Geheimdienste zugespielt worden waren. Wenig später empfahl Tom Friedman, einer der Lieblingsautoren des Präsidenten, eine rasche Deeskalation des Konflikts. Es wäre nicht das erste Mal, dass die «New York Times» als Botin des Präsidenten wirkt.
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