Kampf um AfghanistanDer rasante Vormarsch der Taliban
Seit dem Abzug der internationalen Truppen hat die radikalislamische Gruppierung innert wenigen Tagen sechs Provinzhauptstädte eingenommen. Eine Übersicht über die Lage in Afghanistan.
Die radikalislamischen Taliban haben am Montag die sechste afghanische Provinzhauptstadt innerhalb weniger Tage erobert. Seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen im Mai verzeichnen sie einen rasanten Vormarsch.
Heftige Kämpfe
Anfang Mai beginnen die USA und ihre Nato-Verbündeten mit ihrem Abzug aus Afghanistan. In der südlichen Provinz Helmand beginnen daraufhin heftige Gefechte zwischen Talibankämpfern und Regierungstruppen. Die Taliban erobern Burka in der nördlichen Provinz Baghlan.
Am 8. Mai werden bei einem Anschlag vor einer Mädchenschule in Kabul 85 Menschen getötet, die meisten davon Schülerinnen. Die Regierung macht die Taliban für die Bluttat verantwortlich.
Mitte Mai räumen die US-Streitkräfte den Luftwaffenstützpunkt in Kandahar, einen der grössten im Land.
Taliban-Vorstoss
Die Islamisten nehmen mehrere Gebiete in der nur 40 Kilometer von der Hauptstadt Kabul entfernten Provinz Wardak sowie in der Provinz Ghazni ein, die an zwei wichtigen Verbindungsstrassen zwischen Kabul und Kandahar liegt.
Mitte Juni melden die Taliban die Eroberung mehrerer Bezirke in den nördlichen Provinzen Farjab, Takhar und Badakhshan. Die Regierungsarmee zieht sich aus mehreren Gebieten zurück.
Grenze zu Tadschikistan
Die Taliban übernehmen die Kontrolle über den wichtigen Grenzübergang Shir Khan Bandar an der Grenze zu Tadschikistan. Das zentralasiatische Nachbarland lässt daraufhin die Kampfbereitschaft seiner Streitkräfte überprüfen.
Auch weitere Verbindungsstrassen nach Tadschikistan fallen in die Hand der Islamisten. Die Taliban erobern mehrere Bezirke nahe Kunduz.
US-Truppen verlassen Bagram
Am 2. Juli verkünden die USA den Abschluss des Abzugs aller US- und Nato-Truppen vom Luftwaffenstützpunkt Bagram, dem grössten des Landes. Von dort aus hatten die US-Truppen zwei Jahrzehnte lang ihre Einsätze in dem Land gesteuert.
Nur zwei Tage später erobern die Islamisten den Bezirk Panjawi in der Provinz Kandahar, Gründungsort und frühere Hochburg der Taliban.
Grenzen zum Iran und zu Pakistan
Am 9. Juli verkünden die Taliban die Einnahme des grössten Grenzübergangs Richtung Iran, Islam Qala.
Am 14. Juli übernehmen die Islamisten die Kontrolle über den Grenzübergang Spin Buldak an der Grenze zu Pakistan.
Am 22. Juli erklären die Taliban, 90 Prozent der Landesgrenzen befänden sich unter ihrer Kontrolle. Die Regierung dementiert dies, von unabhängiger Seite sind die Angaben nicht zu überprüfen.
Offensive auf Provinzhauptstädte
Am ersten August-Wochenende konzentrieren sich die Angriffe der Taliban auf grössere Städte. Mindestens drei Provinzhauptstädte – Lashkar Gah, Kandahar und Herat – werden angegriffen. Die USA und Grossbritannien werfen den Islamisten mögliche Kriegsverbrechen und «Massaker an Zivilisten» in der Stadt Spin Buldak vor.
Am 3. August verüben die Taliban einen Anschlag auf den afghanischen Verteidigungsminister und mehrere Abgeordnete in Kabul, acht Menschen werden dabei getötet, der Minister überlebt.
Am 6. August erschiessen Talibankämpfer in einer Moschee in Kabul den Chef des Presseinformationsamts der Regierung. Am gleichen Tag erobern sie die erste Provinzhauptstadt, Zaranj, im Südwesten des Landes.
Einen Tag später fällt die nördliche Provinzhauptstadt Sheberghan in die Hände der Islamisten, keine 24 Stunden später gefolgt von den Provinzhauptstädten Kunduz, Sar-i Pul und Taloqan im Norden.
Am 9. August nehmen die Taliban kampflos die Provinzhauptstadt Aibak im Norden ein. Die Stammesältesten hätten die Behörden nach den wochenlangen Gefechten in den Randbezirken der Stadt gebeten, weitere Gewalt zu verhindern, erklärte Vizegouverneur Samangani. «Der Gouverneur hat das akzeptiert und alle Truppen aus der Stadt abgezogen.» Ein Taliban-Sprecher bestätigte die Einnahme der Stadt.
Sorge um Mazar-i Sharif
Sollten die Taliban auch die wirtschaftlich bedeutsame Stadt Mazar-i Sharif, Hauptstadt der Provinz Balkh, einnehmen, wäre dies ein harter Schlag für die Regierung. Damit würde Kabul die Kontrolle über den Norden des Landes endgültig verlieren.
In Mazar-i Sharif, der grössten Stadt im Norden Afghanistans, befand sich während des internationalen Kampfeinsatzes das grösste Feldlager der deutschen Bundeswehr.
Ein Taliban-Sprecher erklärte, die Kämpfer seien bereits in die Stadt eingedrungen. Behördenvertreter und Bewohner bestritten dies jedoch. Demnach begrenzten sich die Gefechte auf die umliegenden Bezirke. «Der Feind versucht, durch seine Propaganda die öffentliche Meinung zu verfälschen und die Zivilbevölkerung in Angst zu versetzen», erklärte die Provinzpolizei von Balkh.
Der Ex-Gouverneur von Balkh, Ata Mohammed Noor, der grossen Einfluss im Norden hat, kündigte Widerstand «bis zum letzten Tropfen Blut» an. «Ich ziehe es vor, in Würde zu sterben, als in Verzweiflung zu sterben», schrieb er auf Twitter.
Auch im Süden des Landes lieferten sich die Taliban heftige Kämpfe mit dem afghanischen Militär. Seit Wochen versucht die Miliz dort, Kandahar und Lashkar Gah einzunehmen. «Wir räumen Häuser, Strassen und Gebäude, die von den Taliban besetzt sind», sagte General Sami Sadat von der afghanischen Armee, der mit seinem Korps in Lashkar Gah kämpft.
Hunderte Talibankämpfer wurden nach Angaben des Verteidigungsministeriums in den vergangenen 24 Stunden getötet oder verletzt. Allerdings übertreiben beide Seiten die kaum überprüfbaren Opferzahlen für gewöhnlich.
AFP/sep
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