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Chef der Mangellagen im Interview
«Der nächste Winter wird wohl ähnlich riskant – einfach ohne russisches Gas»

Kurt Rohrbach, Chef des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung, sorgt sich bereits um die Energieversorgung im nächsten Winter. 
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Herr Rohrbach, der Winter ist vorbei, und es gab keine Strommangellage. Sind Sie erleichtert?

Es ist noch etwas früh, um Entwarnung zu geben. Der Füllstand in den Stauseen erreicht normalerweise erst Mitte Mai das Minimum. Aber es müsste viel passieren, damit es jetzt noch eine Mangellage gäbe.

Der Bund schätzte im Herbst das Risiko einer Mangellage als gross ein. Warum kam es weniger schlimm als befürchtet?

Der Hauptgrund ist das Wetter. Wir hatten einen warmen Winter. Das spielt eine grosse Rolle. Zudem ist bei uns kein Kraftwerk ausgefallen, und auch die französischen Atomkraftwerke waren grösstenteils verfügbar. Beim Gas gab es keine Blockade, und die Flüssiggasterminals in Europa konnten schneller in Betrieb genommen werden als gedacht.

War der Bund zu alarmistisch?

Wir haben unsere Einschätzung der Lage immer ehrlich und transparent kommuniziert. Wenn der Winter kälter gewesen wäre, hätte es anders kommen können. Mit dem warmen Winter hatten wir einfach Glück.

Wie schätzen Sie zurzeit die Lage für den nächsten Winter ein?

Wir haben ein strukturelles Problem, somit wird es im nächsten Winter ähnlich sein wie im vergangenen. Mit dem Unterschied, dass die Speicher nächsten Sommer wohl nicht mit russischem Gas gefüllt werden. Wir sind abhängig davon, wie gut die Gasspeicher in unseren Nachbarländern gefüllt werden können. Was den Strom betrifft, wird es beim Ausbau keine Wunder geben. Allerdings dürften das Reservekraftwerk in Birr und die Kapazität der Notstromaggregate bereitstehen. Kurz: Wir müssen den nächsten Winter ernst nehmen. Das ist natürlich schwierig zu vermitteln.

Ein weiteres Problem kommt hinzu: Wegen neuer EU-Regeln kann die Schweiz im Winter künftig weniger Strom importieren.

Die EU profitiert auch vom Stromhandel mit der Schweiz. Aber natürlich ist die Situation angespannter, solange wir kein Stromabkommen haben. Das müssen wir berücksichtigen – und uns bereits im Sommer auf den Winter vorbereiten. Zudem sollten wir weiterhin Strom sparen, damit die Stauseen möglichst voll sind.

Sollten wir auch weiterhin nur kurz duschen?

Energie sparen ist eine Daueraufgabe, ganz unabhängig von Mangellagen. Mit Effizienz kann man viel erreichen. Zudem schont es das Portemonnaie.

Glauben Sie, dass die Bevölkerung noch mitmacht? Dem Ständerat war die Raumtemperatur von 20 Grad zu kalt.

Ich bin überzeugt, dass die Einsicht vorhanden ist. Es ist immer auch eine Frage der Anreize. Der beste Anreiz ist der Preis.

«Wir verzichten auf Einschränkungen bei der Elektromobilität.»

In der Bundesverwaltung wurde die Temperatur auch auf 20 Grad reduziert. Fanden Sie das warm genug?

Mich dürfen Sie nicht fragen. Mir ist fast nie kalt, ich bin immer in Bewegung.

Haben die Sparaufrufe viel gebracht?

Die Wirkung lässt sich schwer nachweisen, zumal es nicht kalt war. Ich habe aber den Eindruck, dass Kampagnen zu einem bewussteren Umgang mit Energie führen.

Für den Fall einer Mangellage sind weitreichende Einschränkungen geplant, bis hin zum Bügeleisenverbot. Bundesrat Guy Parmelin wurde deswegen heftig kritisiert.

In der Vernehmlassung wurde breit akzeptiert, dass bei einer Verschärfung der Versorgungssituation Einschränkungen und Verbote verfügt würden. Bei den einzelnen Massnahmen gab es je nach Interessenlage unterschiedliche Reaktionen.

Tatsächlich? Dass die Spitäler Strom sparen müssten, während die Schneekanonen noch laufen würden, versteht niemand.

Das haben wir nach der Vernehmlassung korrigiert. Schneekanonen würden nun schon im zweitletzten Eskalationsschritt verboten, gleichzeitig wie die Nutzung von Streamingdiensten. Im letzten Eskalationsschritt würden auch Wellnessanlagen verboten.

Sie haben auch umweltpolitische Einwände berücksichtigt. Welche?

Wir verzichten auf Einschränkungen bei der Elektromobilität. Wichtig ist zu verstehen, dass es in einer Strommangellage darum geht, Netzabschaltungen oder sogar einen Netzzusammenbruch zu verhindern. Diese hätten gravierende Auswirkungen. Deshalb müssen alle vorher einen Beitrag leisten, damit es nicht so weit kommt. Vor allem bei der Kontingentierung für Grossverbraucher dürfen wir keine Ausnahmen machen.

Kurt Rohrbach beschäftigen auch Engpässe bei Medikamenten. 

Die Energie ist nicht Ihre einzige Baustelle. Bei bestimmten Antibiotika droht eine schwere Mangellage – im Pharmaland Schweiz. Wie kann das sein?

Das erstaunt im ersten Augenblick. Es geht vor allem um günstige Medikamente, also oft Generika, die nicht in der Schweiz produziert werden. Die Mangellage kommt daher, dass sich die Beschaffung auf wenige Länder konzentriert, auch aus Kostengründen. Der Bedarf stieg in den letzten Jahren an, doch die Produktionskapazitäten wurden nicht entsprechend ausgebaut. Die Pandemie und Lockdowns in den Produktionsländern haben die Situation verschärft. Kurzfristig kann man daran nichts ändern.

Der Bund hat die Pflichtlager geöffnet, zuletzt auch für orale Antibiotika. Wie lange reicht der Vorrat?

In der Regel sind die Pflichtlager auf etwa drei Monate ausgelegt für den Fall, dass kein Import mehr möglich ist. Dies ist zurzeit aber nicht der Fall, die Lager werden nach Möglichkeit laufend gefüllt.

Drohen auch Engpässe bei Medikamenten für chronisch kranke Menschen?

Einzelne Medikamente sind schlecht verfügbar, hier engagieren sich meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stark. Wir arbeiten eng mit der Wirtschaft zusammen und geben Inputs zur Beschaffung von Ersatzprodukten. Wir haben natürlich Verständnis dafür, dass es für die Betroffenen nicht immer einfach ist, das Produkt oder die Therapie zu wechseln.

Die Taskforce unter Ihrer Leitung empfiehlt seit kurzem, gewisse Medikamente in Teilmengen abzugeben. Was bringt das?

Medikamente werden in verschiedenen Packungsgrössen produziert. Dennoch kann es in der Praxis vorkommen, dass den Patienten aufgrund der vorrätigen Packungsgrösse mehr Medikamente abgegeben werden als nötig. Die überzähligen Medikamente müssen dann entsorgt werden. Wir empfehlen nun der Ärzteschaft und den Apotheken, wenn möglich und sinnvoll nur die Anzahl Medikamente zu verschreiben und abzugeben, die es für die Therapie braucht. Dadurch reichen die Mengen für mehr Patientinnen und Patienten.

«Covid, der Ukraine-Krieg und die Energieversorgung haben uns gezeigt, dass das Thema der Versorgung wichtig ist.»

Sie leiten die wirtschaftliche Landesversorgung interimistisch. Die Stelle ist vor einem Jahr ausgeschrieben worden, der neue Chef beginnt aber erst im Sommer. Was ist schiefgelaufen?

Zu Einzelheiten kann ich mich nicht äussern. Ich bin eingesprungen, weil als Übergangslösung vor allem mit Blick auf den Winter 2022/23 jemand gesucht wurde, der sich mit dem Energiethema auskennt.

Die wirtschaftliche Landesversorgung soll neu organisiert werden. Wo steht dieser Prozess?

Auch wenn wir grundsätzlich gut aufgestellt sind, werden bis Ende Jahr Anpassungen des Landesversorgungsgesetzes vorbereitet. Einiges wird bereits umgesetzt, zum Beispiel das höhere Pensum des Delegierten. Früher war das eine 40-Prozent-Stelle, damit die Person auch noch in der Privatwirtschaft tätig sein konnte. Mein Nachfolger wird eine 100-Prozent-Stelle haben.

Muss die wirtschaftliche Landesversorgung neu ausgerichtet werden?

Letztlich entscheidet die Politik, worauf man vorbereitet sein will und was es kosten soll. Covid, der Krieg gegen die Ukraine und die Energieversorgung haben uns vor Augen geführt, dass das Thema der Versorgung wichtig ist, und es bekommt jetzt zurecht wieder mehr Beachtung.