Mangel an Geld und AmbitionDer Bund bremst Forschung zu Giften aus
Ein Programm, das die Belastung der Schweizer Bevölkerung durch Chemikalien überwachen soll, kommt nach fünfzehn Jahren nicht vom Fleck.
In der Schweiz weiss niemand so genau, wie stark die Bevölkerung mit Chemikalien belastet ist. Entsprechende Daten wären wichtig – erst recht jetzt vor der Abstimmung über die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative. Das zeigt die aktuelle Studie zum Einfluss von Pestiziden, Weichmachern und anderen hormonaktiven Stoffen auf die Fruchtbarkeit. (Lesen sie dazu: Nun wird klarer, warum zwei Drittel der Schweizer Männer schlechte Spermien haben)
Einige Industriestaaten wie Deutschland, die USA oder Kanada kennen sogenannte Human-Biomonitoring-Programme, teilweise schon seit den Achtzigerjahren, die die Belastung erfassen sollen. In der Schweiz kommt ein solches Vorhaben hingegen seit den Nullerjahren kaum vom Fleck. (Lesen Sie den Kommentar: Wir müssen Ungeborene besser vor Chemikalien schützen)
Beim Abschluss des Nationalen Forschungsprogramms zu hormonaktiven Substanzen im Jahr 2007 wiederholten Fachleute die bestehende Forderung nach einer Langzeitüberwachung. Ein Jahr später folgte ein parlamentarischer Vorstoss und schliesslich ein Bericht des Bundesrates. Erst seit 2017 läuft eine Pilotstudie, inzwischen unter dem Namen Schweizer Gesundheitsstudie. Dabei sollen 1000 Erwachsene aus den Kantonen Waadt oder Bern Fragen zu ihrem Gesundheitszustand und ihrer Lebensumwelt beantworten. Ein Teil der Teilnehmenden wird zudem für einen Gesundheitscheck und eine Entnahme biologischer Proben (Blut und Urin) in ein Studienzentrum aufgeboten.
Über die Jahre wurden an den Hochschulen Stellen im Bereich Humantoxikologie abgebaut, und auch sonst fliesst das Geld in dem Bereich nur spärlich.
Untersucht werden die Belastungen durch das Pestizid Glyphosat, das Schwermetall Quecksilber und die breit verwendeten perfluorierten Chemikalien. Doch statt der für 2020 erwarteten Veröffentlichung der Ergebnisse wurde letztes Jahr erst mit der Rekrutierung der Teilnehmer begonnen. «Erste Resultate werden Ende 2021 / Anfang 2022 erwartet», sagt Daniel Dauwalder, Mediensprecher beim Bundesamt für Gesundheit.
Chemikalien-Monitoring ist «längst überfällig»
«Dieses Programm ist längst überfällig und sollte, wenn es umfassend und ambitioniert umgesetzt wird, Aufschluss über den Gesundheitszustand, die Chemikalienbelastung und den Ernährungszustand der Bevölkerung in der Schweiz geben», sagt Serge Nef, Forschungsleiter an der Universität Genf. Und im Hinblick auf die Spermienqualität: «Ich hoffe, dass ein echtes Biomonitoring- und prospektives Studienprogramm entwickelt wird, das eine Mutter-Kind-Kohorte einschliesst, um die In-utero-Belastung mit verschiedenen Substanzen zu bewerten.»
Die Gründe für die Verzögerungen dürften vielschichtig sein. Klar ist allerdings, dass die toxikologische Forschung in der Schweiz seit längerem klein gehalten wird. Über die Jahre wurden an den Hochschulen Stellen im Bereich Humantoxikologie abgebaut, und auch sonst fliesst das Geld in dem Bereich nur spärlich. Das zeigte sich auch bei der Studie zur Spermienqualität der Stellungspflichtigen. Weil die finanzielle Unterstützung trotz der grossen Bedeutung für die Bevölkerung fehlte, dauerte es dreizehn Jahre, bis sie 2019 mit grosser Verspätung veröffentlicht werden konnte.
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