ZoomDer Buch-Gigant der Foto-Gigantin
Die Porträts der US-Fotografin Annie Leibovitz sind vordergründig verrückt. Und hintergründig komisch.
Wer den Bildband «Sumo» der Fotografin Annie Leibovitz erwerben will, braucht erstens ein stattliches Budget und zweitens ein starkes Büchergestell. Der Buch-Gigant misst 70 mal 50 Zentimeter, ist fast 50 Kilogramm schwer und kostet mehrere Tausend Franken.
Natürlich ist das Werk der amerikanischen Fotografin insgesamt gewichtig; trotzdem ist nun eine handlichere Ausgabe des 2014 erschienenen Monsterbands erhältlich, die keinen Couchtisch zum Einsturz bringen dürfte.
Leibovitz, die in den 1970er-Jahren Cheffotografin beim Magazin «Rolling Stone», später bei «Vanity Fair» war, versammelt darin viele jener Berühmtheiten, die sie im Lauf ihrer Karriere abgelichtet hat – von John Lennon bis Patti Smith, von Keith Haring bis Whoopi Goldberg, von Tony Curtis bis David Byrne.
Das Buch will kein Best-of sein, darum sind die Bilder nicht chronologisch angeordnet. Und doch bietet es einen guten Überblick über Leibovitz’ Werk – und damit auch eine Tour d’Horizon der amerikanischen Popkultur anhand ihrer grössten Stars.
In «Annie Leibovitz» kommen auch jene ikonischen Bilder vor, die ihrerseits ein Stück Popkultur geworden sind. Zum Beispiel die Fotografie von John Lennon und Yoko Ono von 1980, auf der sich der Sänger liegend an seine Frau klammert, sie angezogen, er nackt und schutzlos. Nur Stunden später wurde Lennon bei einem Attentat erschossen. Oder Demi Moore, hüllenlos und hochschwanger auf dem Titelbild von «Vanity Fair» – 1991 eines der meistdiskutierten Covers.
Leibovitz’ Bilder sind immer das Resultat einer Inszenierung: Sie verschafft ihren Protagonisten mittels Setting, Dekoration oder Kostüm eine Bühne für den fotografischen Auftritt. So hängt der britische Schauspieler John Cleese wie eine Fledermaus in einem Baum, Komiker Steve Martin posiert im bemalten weissen Smoking vor einem Kunstwerk, und Jack Nicholson scheint direkt aus einem Film heraus fotografiert worden zu sein.
Die Inszenierung kann aber auch nur darin bestehen, dass die Personen nackt sind – oder Farbe im Gesicht tragen wie die Blues Brothers John Belushi und Dan Aykroyd, deren Antlitze blau sind. Oder Moderatorin Ellen DeGeneres, die weiss geschminkt und mit Zigarette im Mund eine Art bizarren Clown im Glitzerbikini gibt.
Leibovitz sagte in einem Interview, dass sie bei ihrer Arbeit eine besonders enge Verbindung zu Comedians spüre, weil diese etwas Manisch-Depressives an sich hätten. Die Fotografin meint damit wohl die vordergründige Verrücktheit der Arrangements. Dadurch aber, dass die Figuren darin oft ziemlich stoisch blicken, entsteht eine hintergründige Komik, die viele ihrer Aufnahmen prägt. Siehe John Cleese, der im Ganzkörperanzug keine Miene verzieht.
Trotz aller Inszeniertheit gelingt es Leibovitz, den Porträtierten etwas Echtes abzuringen. Vermutlich, weil sie die Leute, sobald das Setting steht, einfach machen lässt. Und selber im Hintergrund bleibt: als stille Beobachterin.
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