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Meinung

Kommentar zu Rammstein 
Das Recht wird den Fall kaum lösen – machen wir also Schluss mit Sexismus 

Die Behörden werden aktiv: Auf Vorwürfe, wie sie gegen Till Lindemann im Raum stehen, hat das deutsche Sexualstrafrecht durchaus passende Antworten. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt nun.
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Eine Prognose, eine ziemlich bittere: In ein paar Monaten wird man in der Öffentlichkeit auf die Enthüllungen zur Rockband Rammstein zurückblicken, und man wird dann – hoffentlich – sagen können, dass sexuelle Übergriffigkeit hinter der Bühne des Rock-’n’-Roll-Zirkus stärker ins Bewusstsein gerückt ist; aber man wird dann zugleich auch konstatieren müssen, dass strafrechtlich ja nicht viel herausgekommen ist. (Hören Sie dazu unseren Podcast «Apropos»: Rammstein und das ausgefeilte System der «Row Zero»)

Vielleicht sogar: gar nichts. Vielleicht wird sich der Rammstein-Sänger Till Lindemann hinstellen und sagen können: Alle Vorwürfe verbotenen Verhaltens gegen mich sind fallen gelassen worden; nichts davon war haltbar. Gerade hat die Berliner Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den Musiker aufgenommen. Es liegen zwei Anzeigen vor, ein Anfangsverdacht besteht.

Dass dieses Szenario, selbst wenn die Vorwürfe wahr wären, sehr wahrscheinlich ist, liegt nicht am deutschen Recht. Das ist durchaus scharf, wenn es um Vorwürfe der Art geht, wie sie gegen Lindemann im Raum stehen. Dabei geht es ja, anders als bei den #MeToo-Skandalen in der Filmbranche, die in den vergangenen Jahren viel diskutiert wurden, nicht «nur» um die Ausnutzung von Karriere-Machtgefällen. Um Dinge also, die in einen Graubereich fallen, moralisch verwerflich, aber in Deutschland nicht strafbar. Sondern der Vorwurf, den Frauen gegen Lindemann erhoben haben – und den er bestreitet –, ist die Überwältigung mit K.-o.-Tropfen.

«Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren», liest man im deutschen Strafgesetzbuch.

«Ich schlafe gerne mit dir, wenn du schläfst», hat der Sänger 2020 in einem Gedicht geschrieben. «Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas). Kannst dich gar nicht mehr bewegen. Und du schläfst, es ist ein Segen», so liest man da, heute noch angewiderter als damals. (Mehr dazu: Vorwürfe gegen Lindemann: Und wenn er doch tut, was er singt?)

Sollte derlei in der Realität geschehen: «Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren», liest man dazu im deutschen Strafgesetzbuch, dessen Vergewaltigungsparagraf erst 2016 verschärft worden ist. Und: Wer den Beischlaf an einer Person vollzieht, die «nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äussern», handelt genauso verwerflich, wie wenn das Opfer lautstark Nein gesagt hätte. So steht es in Paragraf 177, Absätze 2 und 6. 

Aussage gegen Aussage. Das ist das derzeit wahrscheinlichste Szenario.

Dass Ermittlungen wahrscheinlich nicht weit kommen, liegt an der Beweislage. K.-o.-Tropfen sind nur für wenige Stunden im Blut nachweisbar. Dieses Beweismittel – falls es denn existiert – löst sich rasend schnell im Nichts auf, da helfen auch die klarsten Paragrafen traurigerweise nichts, wenn die Betroffenen nicht rasch zur Polizei gelangen und dort – wichtig – ebenso rasch von der Polizei ernst genommen werden. Eine gynäkologische Spurensicherung funktioniert unter Umständen zwar noch etwas länger. Aber das hilft in einer Rockstar-Fan-Konstellation auch nicht, wenn nicht gleichzeitig die K.-o.-Tropfen nachgewiesen werden können. Weil sonst der Beschuldigte sagen kann: Das war einvernehmlich.

Und dann? Steht Aussage gegen Aussage. Das ist das derzeit wahrscheinlichste Szenario. Dann geht es um Zweifel. Solchen Zweifeln liegen oft auch gesellschaftspolitische Vorstellungen zugrunde. Den Frauen drohen dann oft Unterstellungen, die von Beratungsstellen als «Vergewaltigungsmythen» bezeichnet werden. Wie etwa: Frauen würden sich Vorteile davon versprechen, sich als Opfer zu inszenieren. Oft ist das sexistisch und abstrus. Wer in der notwendigen, durch den Fall Rammstein angestossenen gesellschaftlichen Debatte erst auf das Strafrecht wartet, wartet am Ende vielleicht vergeblich. (Lesen Sie zum Thema: «Sie wollen es doch auch»: Was die Debatte über Groupies offenbart)