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Meinung

Kommentar zu den Missbrauchsvorwürfen
Die Rammstein-Konzerte in Bern sollten abgesagt werden

Sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert: Rammstein-Sänger Till Lindemann. 
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«Wie gewohnt» sei es beim Rammstein-Konzert gewesen. So steht es in einem Bericht über den ersten von vier Auftritten der Band vom Mittwoch in München. «Alles wie gehabt», titelte eine andere Zeitung nach dem Konzertbesuch. 

Aber es ist nicht wie immer: Nach dem Rammstein-Konzert im litauischen Vilnius erhob eine junge Frau Missbrauchsvorwürfe gegen den Sänger Till Lindemann.

Seither sind Berichte und Recherchen erschienen, in denen Frauen von ihren Erfahrungen mit Till Lindemann berichteten: So soll es eine Art System gegeben haben, mit dem mögliche Sexualpartnerinnen für den Frontsänger gecastet und ihm zugeführt wurden. 

Es gibt den Verdacht, dass dabei Alkohol und weitere Substanzen im Spiel waren, mit denen Menschen gefügig gemacht werden können. Nicht zuletzt behaupten Frauen, es soll zu Übergriffen gekommen sein, die bei ihnen – neben psychischen – auch körperliche Schmerzen und Wunden hinterlassen hätten.

Rammstein hat angekündigt, die Vorwürfe durch eine Anwaltskanzlei näher untersuchen zu lassen. 

Eine Absage der Konzerte in Bern wäre im Sinne der Fans, der Veranstalter – und der Band.

Selbstverständlich gilt für Till Lindemann die Unschuldsvermutung, solange kein Verfahren eingeleitet und er nicht rechtskräftig verurteilt ist. Dennoch sollten die beiden Rammstein-Konzerte in der kommenden Woche in Bern nicht stattfinden. Zumindest nicht, solange die Vorwürfe gegen Lindemann sowie die mutmasslichen Helferinnen und Helfer im Raum stehen.

Das ist nicht nur im Sinne der möglichen Opfer von Missbrauch, die sich verhöhnt fühlen müssten, sollten die Vorwürfe tatsächlich zutreffen. 

Eine Absage der Rammstein-Konzerte in der kommenden Woche müsste auch im Sinne der Fans und der Schweizer Veranstalter sein. Die allermeisten Fans dürften davon ausgegangen sein, dass die Bühnenperson Till Lindemann mit ihren Missbrauchs- und Demütigungsfantasien eine doppelbödige Kunstfigur ist.

Kann diese Kunst – die gar keine Kunst mehr ist, wenn sie allenfalls reale Handlungen von Lindemann beschreibt – noch irritationsfrei konsumiert werden? Oder wie sollten sich Rammstein-Fans fühlen, wenn noch mehr Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs gegen Lindemann erhoben und später gar gerichtsfest gemacht würde, dass der Frontsänger Frauen missbraucht habe? Und wie könnten die Veranstalter sich rechtfertigen, dass sie über alle Hinweise und Vorwürfe hinweggegangen sind, damit die Konzerte in Bern trotzdem stattfinden können? 

Nein, eine Absage der Rammstein-Konzerte in Bern hätte nichts mit Cancel-Culture zu tun. Aber nun braucht es eine Pause, um die schwersten Vorwürfe noch vertieft abklären zu können. Das müsste nicht zuletzt auch im Sinne der Band sein, die in einem Statement festhielt, dass sie die Vorwürfe «ausserordentlich ernst» nehme – und dass sich ihre Fans bei ihren Shows «wohl und sicher» fühlen sollen.

Seit den Berichten der Frauen, die backstage bei Rammstein waren, sind Zweifel angebracht, ob der freie Wille zum Tragen kommen konnte.

Wir brauchen diese Pause auch für eine Debatte über Machtstrukturen im Rockstarbetrieb. In der bisherigen Diskussion hiess es, dass Groupies zu solchen Konzerten gehören würden – und zwar schon immer. Einige haben auch das Argument eingebracht, dass es doch sicher Frauen gibt, die sich den Sex mit Till Lindemann wünschten, es also ihrem freien Willen entsprach. 

Doch seit den Berichten der Frauen, die backstage bei Rammstein waren, sind Zweifel angebracht, ob der freie Wille zum Tragen kommen konnte: So hat die Influencerin Kayla Shyx in einem ausführlichen Youtube-Video anschaulich erzählt, wie sie in einen Raum hineingeführt wurde, der von Türstehern abgeschirmt war. Lindemann soll dort Frauen ausgewählt haben, mit denen er Sex wollte – was Shyx vorher nicht bewusst gewesen sei. Mehrere Frauen haben Ähnliches berichtet. Die Kontrolle in solchen Situationen lag ganz klar bei Lindemanns Team. 

Ist das sonst anders? Gibt es Treffen zwischen Fans und Stars auf Augenhöhe? Überschätzen wir nicht den freien Willen, wenn es um Ausnahmesituationen geht, in denen das Machtgefälle so gross ist, dass es nicht ohne weiteres aufgehoben werden kann? Was wäre die Konsequenz daraus?

Eines ist schon jetzt klar: In Sachen Missbrauch dürfen keine Ausnahmen gemacht werden. Er darf keinen Platz in unserer Gesellschaft haben, er war noch nie zeitgemäss.