Till Lindemanns Auftritt in MünchenDie Fans feiern, die Band feuert – So war das erste Rammstein-Konzert nach den Vorwürfen
Rammstein spielte am Mittwoch in München. Fans und Beobachter waren gespannt darauf, wie Sänger Till Lindemann sich verhalten wird. Am Ende passiert etwas, womit man nicht gerechnet hat.
Die wichtigste Frage zum ersten Konzert von Rammstein auf der plötzlich umstrittenen Europa-Stadion-Tournee lautet: Haben die schweren Vorwürfe gegenüber dem Rammstein-Sänger Till Lindemann einen Eindruck hinterlassen? Bei der Band? Bei ihren Fans? Bei der Art und Weise, wie Rammstein-Konzerte ablaufen, jetzt da alle Welt draufschaut? Die Antwort gleich vorweg: Ja.
Zum Beispiel passiert ziemlich am Ende des Konzertes in München etwas, womit kaum einer gerechnet hat. Oder besser: Es passiert eben nicht. Till Lindemann reitet nicht auf einem riesigen Penis und spritzt Sperma-Surrogat in die Menge. Und er singt dabei nicht sein sexistischstes Lied «Pussy» mit Zeilen wie «Schönes Fräulein, Lust auf mehr, Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr», wie er es sonst immer tat. Er tat es auch noch in Odense und Helsinki, nachdem bereits immer mehr Frauen öffentlich ein Lindemann-System des sexuellen Missbrauchs, der Demütigung, vielleicht sogar der Vergewaltigung unter Betäubung beklagt hatten.
Die Band will von nichts wissen, aber bald alles aufklären. Freilich, die Pimmelparade aus der Show zu streichen, ist kein Schuldeingeständnis. Freundlich könnte man es so auslegen, als nehme die Band nun Rücksicht auf jene, die sich als ihre Opfer fühlen, und jene, die mit ihnen leiden.
Aber wollen das die Rammstein-Fans überhaupt? Viele, die an diesem Abend da sind, sagen, die Karten seien «heiss umkämpft» gewesen, und es sei ja gar nichts bewiesen von den Vorwürfen. Die Debatte um ihr Idol, den netten Lindemann, scheint ihnen lästig zu sein. Oder «Wurst», es gehe «nur um die Musik», wie ein Mann mit dem T-Shirt-Aufdruck «Manche führen» (vorne), «Manche folgen» (hinten) sagt.
Es ist ein Volksfest der Schwarz-Gewandeten auf dem Platz vor dem Olympiastadion, beim Stand «Rammsteiner Bier» wird seit Nachmittag gezapft ohne Pause. Der Mann mit dem T-Shirt sagt dann auch noch etwas schroffer so etwas wie: Vielleicht hätten diese jungen Frauen sich sexy angezogen und von ihrem Star trotzdem nicht bekommen, was sie wollten. Und sich dann gerächt, mit ihren fiesen Verleumdungen, so mutmasst er. In seiner familiären Fan-Gruppe stehen drei Frauen dabei, zwei sind eventuell seine Töchter.
Er sagt, die beiden würden das genauso sehen wie er. Es sei doch allen bekannt, dass es auf Backstage-Partys Sex und Drogen gebe, er selbst sei freilich nie auf einer gewesen. Was hinter der Bühne und im Hotel passiert, ist weit, weit weg für die normalen Fans, unerreichbar. Vielleicht interessiert es viele deshalb nicht, was sich dort wirklich abspielt.
Die einzigen, die laut etwas sagen
Die Forderung von Jenny Schröder lautet: «Hört den Opfern zu.» Sie hat im Alleingang «als Privatperson» eine Demo angemeldet, weil sie das erschreckende «Victim-Blaming» selbsternannter Rammstein-Verteidiger nicht hinnehmen wollte. 30 Frauen, auch von den Aktivistinnen «Slutwalk», sind ihrem Twitter-Aufruf gefolgt. Am Hauptweg zum Stadion skandieren sie «Gewalt gegen Frauen ist Alltag» oder «Rammstein ist Schrott». Sie sind die einzigen, die laut etwas sagen.
Einige Fans – Männer wie Frauen – fühlen sich gestört, verhöhnen die Demonstrantinnen schuhplattelnd, entreissen ihnen das Megafon. Schröder wundert die Aggression nicht, genauso erlebe sie es im Internet, sie sei beschimpft worden mit den Worten: «Wohl zu hässlich für ein Groupie.»
Frauen, die sich belästigt fühlen – überhaupt alle Gäste in Bedrängnis – dürfen sich an diesem Abend im Olympiastadion an das «Awareness Team» wenden. Das ist neu. Die fünf Menschen «mit medizinischem Background» im weissen Zelt hinter der Ost-Tribüne sagen, dass sie meistens gefragt werden, wo die Klos sind. Das mache nichts, denn jedem, der zu ihnen kommt, sagen sie, warum sie da sind. Hier wollen sie allen, die irgendeine Not verspüren, «ein offenes Ohr» schenken. Im Rückzelt, hinter einer Plane, ist ihr «Safe Space», ein Ruheraum. Noch sei aber alles friedlich, sagen sie, das Heavy-Metal-Publikum sei erfahrungsgemäss das pflegeleichteste.
Ein eigenes Awareness-Team für Till Lindemann gibt es nicht. Aber Aufpasser, gewissermassen. Etwa ein Dutzend Beamte passen auf, dass sich wirklich nur Sicherheitspersonal in der sogenannten «Row Zero» vor den Absperrgittern und neben der Bühne aufhält. Tatsächlich, nur Blauwesten dort, wo bisher auch ausgesuchte weibliche Fans Zutritt gehabt haben, von denen einige angeblich den Sänger sexuell befriedigen sollten – auch während der Show unter der Bühne.
Einige Grad kühler scheint die Stimmung als sonst
Wer mitfühlt, kann die Vorwürfe selbst bei diesem Rockspektakel von wagnerianischer Gewalt nicht ausblenden. Die anderen: feiern. Die Band: feuert. Es läuft fast genauso ab wie der «Neue deutsche Härte»-Rumms 2019: Ein Grusical mit Kanibalen-Kochshow («Mein Teil»), dem Gesinnungs-Marsch («Mein Herz schlägt links ...») und Kinderwagenverbrennung («Puppe»). Ein bisschen weniger Pyrotechnik als sonst, meinen einige auf der Pressetribüne sich zu erinnern, ehe bei «Sonne» die Luft doch zu brennen scheint.
Einige Grad kühler scheint die Stimmung als sonst. Beim heimlichen Wechsel auf die Nebenbühne in der Arena ist das Publikum seltsam ruhig – sonst gibt es an dieser Stelle eine Jubel-Phase. Die Band bleibt nur für eine von zwei Pianistinnen begleitete Ballade («Engel») drüben, ehe sie – noch so ein altes Ritual -in zwei Schlauchbooten auf dem Fan-Meer zur Hauptbühne zurücktreibt. Dort bringt sie die Setlist routiniert zum Abschluss, kastriert allerdings um den Penis-Song.
Einmal meint man hinter seinem Kunstfiguren-Horrorkabinett den persönlichen Lindemann herauszuhören, als er im Song «Ich will» betont aufschreit: «Ich will, dass ihr mich versteht. Ich will, dass ihr mir vertraut.» Am Ende sagt der Sänger das einzige, was er seit langem öffentlich geäussert hat: «München, danke, dass ihr bei uns seid.» Die sechs Musiker sinken nach «Adieu» in Reih und Glied auf die Knie. Die Band hat kurz gezweifelt an sich, Zweifel verträgt ihr Werk der Überwältigung nicht – ein erster Schritt zur Läuterung?
Die Süddeutsche Zeitung und der NDR hatte von schweren Vorwürfen berichtet, die mehrere Frauen Lindemann machen. In einer Stellungnahme von Rammstein hiess es, man nehme die Vorwürfe ausserordentlich ernst. «Unseren Fans sagen wir: Es ist uns wichtig, dass Ihr euch bei unseren Shows wohl und sicher fühlt – vor und hinter der Bühne.»
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