Schweizer Werber im Interview zu Rammstein «Etwas bleibt immer hängen»
Rammstein hat wegen der Vorwürfe des Sex-Castings eine Kommunikationsagentur engagiert. Was kann sie korrigieren? Was wäre der Worst Case? Der renommierte Werber David Schärer antwortet.
Die jüngste Meldung im Rammstein-Skandal lautet: Die Band hat eine Kommunikationsagentur engagiert. Hätten Sie diesen Auftrag angenommen, Herr Schärer?
Das kann ich so nicht beantworten. In einer solchen Situation muss man sich fragen: Funktioniert man mit dem Klienten, kann man sich vorstellen, so eine Schlacht zusammen durchzustehen? Bei mir spielen eigene Werte eine Rolle, andere verfolgen eine Ethik, die man aus dem legalistischen Bereich kennt, dass nämlich jeder und jede ein Anrecht hat, seine oder ihre Argumente in der Öffentlichkeit bestmöglich darzustellen.
Gibt es auch Aufträge, die Sie ablehnen, weil Sie nur scheitern können?
Natürlich. Aber die Frage ist eher: Wie bemisst man den Erfolg in einer solchen Ausgangslage? Was sind realistische Ziele? Gesetzt den Fall, die Anschuldigungen stimmen, dann ist die Schadensbegrenzung das Höchste, was man erreichen kann. Wenn die Sachlage nuancierter ist, besteht die Chance auf einen Ausgleich, sogar die teilweise Wiederherstellung der Reputation. Aber in der Krise ist die Realität: Etwas bleibt immer hängen, und das muss man den Klienten auch sagen und sie entsprechend beraten.
Was würden Sie denn nun konkret tun?
Unter der Prämisse, dass die Vorwürfe stimmen, würde ich als Berater versuchen, schnell als Sofortmassnahme eine eigene Erklärung einzubringen, und das basierend auf einer mittelfristigen Strategie.
Es kommt einiges zusammen: Casting, Blowjob-Raum, Pornofilm. Gibt es eine Chance, da herauszukommen, im Sinne von: Das ist einfach Rock ’n’ Roll?
Wenn es tatsächlich zu Handlungen kam, die nicht einvernehmlich waren, ist das kommunikativ nicht zu bewältigen. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Wenn nicht, sieht es anders aus. Dann mag man moralische Vorbehalte haben, aber man muss auch in Betracht ziehen, dass Rammstein nun mal Rammstein ist, mit der ganzen sexuellen Symbolik, den Riesenpenissen auf der Bühne et cetera. Man mag das moralisch daneben finden, aber es ist Bestandteil des Markenkerns.
Bislang hat die Band bloss ein Statement auf Instagram abgegeben: War das ein guter Schachzug?
Es hat sicher nicht geschadet, dass sich die Band äussert. Allerdings ging es relativ lange, und es war auch unentschlossen und unklar, kein Dementi, aber auch kein Eingeständnis. Es gab keine Antworten auf die Fragen, die alle bewegen. Man muss sich bewusst sein: Die grössten Fehler begeht man meist am Anfang einer Krise.
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Worauf kommt es denn am Anfang an?
Es muss extrem schnell gehen. Am Anfang geht es vor allem darum, Fehler zu vermeiden, und man sollte vom Ende her denken. Man muss starke Botschaften formulieren, jedes Wort auf die Goldwaage legen und sich fragen, was in der jetzigen Situation mit welchem Schritt zu erreichen ist. Wichtig ist es, zu wissen, wie die Medien und vor allem die sozialen Medien funktionieren, denn man mag einen eigenen Standpunkt haben, aber die Medienlogik hat ihre eigenen Gesetze. Nur weil man den eigenen Standpunkt hat, heisst das nicht, dass das auch in einer Medienlogik funktioniert. Diese Assessments richtig zu machen, daraus eine Strategie abzuleiten und taktische Massnahmen umzusetzen, ist entscheidend. Da braucht es Erfahrung und Talent. Es geht darum, eine Kakofonie zu verhindern, wie wir sie jetzt gerade sehen.
Was meinen Sie mit Kakofonie?
Die Situation ist unübersichtlich und unkontrollierbar, alle Akteure und Akteurinnen reden und spekulieren, die Band hingegen spricht gar nicht. Im Idealfall muss man auf so etwas sofort reagieren, aber das scheint bei Rammstein nicht der Fall gewesen zu sein. Es kann auch gut sein, dass man zum Schluss kommt, in einer ersten Phase bunkern zu müssen. Und dann gibt es hier ja noch einen juristischen Aspekt: Manchmal ist das, was kommunikationstechnisch klug wäre, aus juristischen Gründen nicht ratsam oder auch umgekehrt.
Mit den sozialen Medien ist die Lage auch für Kommunikationsberater ungleich komplexer geworden. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
Es gibt den Clinch zwischen dem Court of Law, also dem Gericht, und dem Court of Public Opinion, dem Gerichtssaal der Öffentlichkeit. Im Strafprozess muss jemandem die Schuld nachgewiesen werden. In der Öffentlichkeit hingegen geht es oftmals darum, dass die betroffene Person ihre Unschuld beweisen soll.
Ist es in einer solchen Situation überhaupt möglich, entsprechende Botschaften zu platzieren?
Das Problem ist: Jeder Akt von Kommunikation löst ein Feedback aus, und das ist auch der Grund, warum viele am Anfang bunkern. Das ist manchmal legitim, aber selten die beste Strategie für Personen, die in der Öffentlichkeit stehen. Bekanntlich kann man nicht nicht kommunizieren.
«Kommunikativ ist es also ungünstig, sich jetzt im Rahmen von Livekonzerten zu exponieren.»
Man hat hier eine Gemengelage von moralischer Empörung und möglicherweise strafrechtlichen Vorwürfen. Wie aussichtsreich ist es, aus einem solchen Sturm heil herauszukommen?
Wenn strafrechtlich nichts vorgefallen ist, hat man gute Chancen, sich zu erklären. Gerade bei Rammstein gehört es ja zum Image der Band, dass sie keine Chorknaben sind. Eine falsche Strategie etwa wäre, Till Lindemann als gutbürgerlichen Star darzustellen.
Die Band ist momentan auch noch auf Tour: Ist das ein Vor- oder ein Nachteil?
Eher ein Nachteil, die Band ist jetzt unter öffentlicher Beobachtung. Natürlich hat das eine starke geschäftliche Komponente. Wenn man eine solche Tour abbricht, wird das teuer. Kommunikativ ist es also ungünstig, sich jetzt im Rahmen von Livekonzerten zu exponieren.
Würde ein Abbruch nicht als Schuldeingeständnis verstanden?
Das würde wohl so gelesen werden und wäre mit einem extrem hohen Kommunikationsbedarf verbunden. Man müsste also ganz genau erklären, warum gerade jetzt nicht der Zeitpunkt ist, die Tour durchzuziehen.
Welche Prognose geben Sie der Band?
Man redet jetzt eher von einem Fall Till Lindemann als von einem Fall Rammstein. Wahrscheinlich findet eine interne Diskussion darüber statt, wie man als Band weitermachen kann. Die Bandmitglieder werden sich überlegen, wie es weitergeht.
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