Mamablog: Vertrauen statt Druck«Das musst du noch lernen!»
Oder warum unsere Autorin nichts von diesem Erziehungsleitspruch hält.
«Mmmh, das war fein!», rief meine Tochter und wischte sich genüsslich die Hände an ihrem neuen Pullover ab. Wir hatten gerade Besuch und sassen beim gemeinsamen Abendessen. Während ich mich noch über das Kompliment für meine Kochkünste freute, kam prompt die Bemerkung von einem der Gäste: «Also, du musst mal langsam lernen, deine Serviette zu benutzen!» Muss sie das wirklich?
Klar, mir wäre es auch lieber, sie würde die Serviette nehmen. Weniger Wäsche und so. Ich kann sie auch immer wieder daran erinnern, es ihr immer wieder vorleben — ich benutze meine Servietten übrigens gerne und regelmässig. Und wenn sie dann so weit ist, wird sie von ihr Gebrauch machen, da bin ich mir ziemlich sicher. Aber ich finde: Lernen muss sie es nicht.
Zu hohe Erwartungen an Kinder
Dabei geht es mir aber gar nicht mal um die Serviette. Mir ist die Wortkombination «lernen müssen» einfach unsympathisch. Weil ich Lernen mit etwas Positivem verbinde. Weil sie nach angestaubten Erziehungsmustern klingt und ich finde, dass Druck nie der richtige Weg sein kann. Und weil mir ein fröhliches Kind, dass seine Hände halt mal am Pullover abwischt, viel lieber ist als ein zurechtgewiesenes.
Wie oft werden schon ganz kleine Kinder mit Erwartungen und Bedürfnissen der Erwachsenen konfrontiert? Allein der Mythos, Babys müssten lernen, alleine zu schlafen — und am besten gleich durchschlafen — hält sich hartnäckig. Dann müssten sie langsam lernen, zu krabbeln oder doch mal lernen, dass man mit Essen nicht wirft. Sie müssen lernen, dass das leuchtend rote Feuerwehrauto aus der Spielgruppe nicht mit nach Hause kann. Später müssen sie lernen, still zu sitzen, Schere und Stift richtig zu halten, sich die Schuhe zu binden und sich alleine anzuziehen. Kommen sie in die Schule, geben ihnen die Lehrpläne vor, was sie lernen müssen.
Auf die kindliche Entwicklung vertrauen
Steckt aber nicht hinter jedem unruhig hervorgebrachten «das musst du noch lernen» eigentlich die Sorge, das Kind würde sich nicht gut oder nicht schnell genug entwickeln? Oder später nicht gesellschaftsfähig werden? Dabei sind Kinder doch die ganze Zeit am Lernen. Nur lernen sie eben nicht unbedingt das, was wir Erwachsenen gerade gerne von ihnen hätten. Von Anfang an erschliessen sie sich aber die Welt in ihrem eigenen Rhythmus.
Sie lernen das, was ihre Augen gerade zum Leuchten bringt. Dann, wenn sie dazu bereit sind. So lernen sie schon das Sprechen, Krabbeln und Laufen, ohne, dass wir es ihnen beibringen müssen. Zwar immer in Beziehung zu uns und zu ihrer Umwelt, aber immer aus eigenem Antrieb. Durch Nachahmung, spielerisches Ausprobieren und Wiederholungen.
«Lernen ist nicht etwas, das wir tun, sondern etwas, was mit uns geschieht», schreibt Autor und Freilerner André Stern in seinem neuen Buch «die Rhythmen und Rituale unserer Kinder - Vom Reichtum, der von innen kommt». Darin plädiert er auf seine unnachahmliche Weise für mehr Gelassenheit im Hinblick auf die kindliche Entwicklung, für weniger Erziehung und dafür, Kindern neu zu begegnen. Grund für die vielen Erwartungen von Erwachsenen sei das fehlende Vertrauen ins Kind. Laut Stern können Kinder aber nur dann ihr ganzes Potenzial entfalten, wenn wir «aufhören, sie zu erziehen, und beginnen, ihnen das Vertrauen zu schenken, von dem wir alle wünschen, dass es uns entgegengebracht wird.»
Ich finde, er hat recht. Wie oft habe ich mir schon heimlich gewünscht, meine Kinder würden endlich lernen, ihre Jacken aufzuhängen, ihre Schuhe wegzuräumen. Aber ich glaube, mit mehr Verständnis und Respekt für die kindliche Entwicklung ist es leichter, die eigenen Erwartungen zurückzuschrauben. Bei sich selbst und dem Kind den Druck rauszunehmen und einfach zu vertrauen. Bei uns hat sich dieser Weg auf jeden Fall bewährt. Auch wenn er oft viel Geduld erfordert, fühlt es sich einfach richtig an. Und wenn bei all der kindlichen Lebensfreude der Pullover mal zur Serviette wird, dann ist es eben so. Bei unseren Wäschebergen fällt das ohnehin nicht mehr ins Gewicht.
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