Direktverkauf boomtDas ist der modernste Hofladen der Schweiz
Thomas Disch ist die einzige männliche Bäuerin der Schweiz. Und er führt den wohl fortschrittlichsten Hofladen im Land – an seinen Produkten hängen QR-Codes, und man kann mit Bitcoins zahlen.
Der Hofladen, sagt Thomas Disch, sei die Visitenkarte. Sein Betrieb steht im Freudental an Schaffhausens Stadtgrenze, und er beheimatet den wohl fortschrittlichsten Hofladen im und auf dem Land. Was nicht nur damit zu tun hat, dass man mit Bitcoins zahlen kann. Auch nicht mit den QR-Codes, die auf jedem Artikel angebracht sind und sofort Produktinfos ausspucken, oder den digitalen Leuchtschriften.
Vielmehr denkt Thomas Disch ziemlich modern – ganzheitlich und weit über die Grenzen seines Hofes hinaus.
Sein Hofladen liegt im Kellergeschoss des stattlichen Hofes, wo draussen alles blüht und man jederzeit Bienen summen hört. Ein paar Treppenstufen sind es nur, die hinunterführen, aber schon ist man in einer anderen Welt – einer verwirrenden. Im «Hofladen 2.0», so steht es auch auf der Website, riecht es nach frisch geernteten Äpfeln, nach Erde, nach alten, dicken Mauern. An denen hochmoderne Geräte hängen oder eine Kamera – sie kann einschätzen, wie alt man ist (und so den Kasten öffnen, in dem der Alkohol lagert). Es ist, als ob in diesem Raum eine Linie verläuft. Sie sagt: Hier ist, was war, und es war gut, aber wir müssen weitergehen.
Mobile Kassen, rare Schweine
Für Thomas Disch heisst das: Wenn jemand zwei Schachteln Wachteleier kauft, sieht er das auf seinem Handy und kann reagieren – nachfüllen. In seinem Laden hängt ein grosser Info-Bildschirm, es ist ein Fernseher, angeschlossen ans Tablet, er macht das Inventar am Computer und sagt Dinge wie: «So ist alles planbar.» Er will andere Betriebe animieren, es ihm gleichzutun.
Gut, das mit der mobilen Hofladenkasse geht vielleicht ein wenig zu weit: Sie kommt zum Einsatz, wenn jemand direkt ab Garten kaufen will. Dann holt Thomas Disch ein Messer, schneidet, reicht dem Kunden den Salatkopf, dieser zahlt mit Karte, bar, mit Apple Pay oder eben Bitcoin. Was erst einmal jemand gemacht hat, übrigens. Die Kasse, die aussieht wie ein Bauchladen eines Zirkusartisten, hat Winston konzipiert. Winston ist Thomas Dischs Partner, ein Informatiker, und eigentlich lebt er in Zürich, im Freudental aber ist sein Homeoffice.
Auch Thomas Disch arbeitete als Informatiker, 20 Jahre lang, dann, kurz vor seinem 50. Geburtstag, kaufte er diesen Hof, sein Erspartes ging drauf und die Pensionskasse auch. Jetzt kocht er Konfitüre, legt Beeren in Alkohol ein und überlegt sich gerade, ob er eigene Teigwaren im Laden führen soll. Er bietet Führungen an, erzählt, wie die Eier seiner Hühner schmecken (anders als die Bio-Eier aus dem Grossverteiler), kocht für die SRF-Sendung «Mini Chuchi, dini Chuchi».
Manchmal zeigt er an Kindergeburtstagen oder Projekten wie «Schule auf dem Bauernhof» seine ungemästeten Turopolje-Schweine, Pro Specie Rara, sie leben jahraus, jahrein draussen. Seine Perlhühner, die auf Bäumen übernachten und dem Fuchs gern ein Schnippchen schlagen, die jungen Wachteln, seine Schafe. Von denen ausser Bock Rambo, der gerade nach Uster zur Begattung von Artgenossinnen gerufen wurde, keines entwurmt ist.
Auf Freudental ist alles Natur. Die Weile haben will. Bis eine Steinmauer gebaut und eine Naturhecke gewachsen ist, dauert es. Auch Dischs grosse Vision von einer Biogasanlage ist – vorerst – noch ein Traum.
Dabei hört sich der gelernte Elektriker eher an wie einer, dem es nicht schnell genug gehen kann. Er kann reden ohne Unterbruch, seine Geschichten flackern wie Discolichter zwischen den Blättern der Artischocken herum, in denen er gerade steht. Der Eindruck, Thomas Dischs Leben sei einfach eine weitere Realität gewordene Fantasie eines Städters, täuscht. Zum einen hat er seine Wohnung in Zürich noch – und vermisst die Stadt oft schmerzlich.
Zum andern wollte Disch immer Bauer werden, schon als Teenager in Wädenswil. Was eigentlich fast klappte: Thomas Disch wurde Bäuerin. Die erste und einzige männliche in der Schweiz. Die Ausbildung an der Landwirtschaftsschule mit ihren drei Hauptthemen Ackerbau, Milchwirtschaft und Maschinentechnik wäre für seinen Hof irrelevant gewesen. Auf dem Lehrplan der Bäuerinnenschule aber standen: Kleintiere, Garten, Kochen, Einmachen. Alles, was es auf seinem Hof auch gibt. «Ich will wissen, was ich esse – bis zu meinem Tod», sagt Thomas Disch.
Betriebe müssen zusammenspannen
Ideen hat er viele. Ein grünes Amphitheater will er bauen, eine Besenbeiz eröffnen, ein Erdhaus ausgraben, das Projekt «Holabox» vorantreiben (bei dem Höfe ihre Produkte in mobilen Schiffscontainern verkaufen). Landwirtschaftsbetriebe, glaubt er, überleben nur, wenn sie zusammenspannen, um Potenzial voll auszuschöpfen. Für eine nachhaltige Lebensmittelproduktion sei diese direkte (saisonale und natürlich regionale) Vermarktung essenziell, sagt Thomas Disch. Sein Motor ist nicht Geld – was ihn antreibt, ist die Vorstellung einer weniger konsumorientierten Welt. Und für sich selbst: Leben auf einem selbstversorgenden, ressourcenschonenden, aber vernetzten Hof.
Auch deshalb lebt er bescheiden (und weil etwa der Hofladen wenig Geld abwirft). Kleider kauft er längst keine mehr. Das Futter für seine Tiere, Brot etwa und Gemüse, bezieht er bei einem Grossverteiler. Es sind Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden können, Disch bekommt sie gratis und rettet sie so vor dem Verderben. Mangos, Kiwis und Ananas trocknet er und verkauft sie unter dem Label «Freudental for Future» (das ein Permakultur-Projekt in Togo unterstützt).
Online im Hofladen Freudental einkaufen, das geht nicht. Man muss schon vorbeikommen. Zurück in der Zukunft, in diesem Keller, in dem Produkte auf wiederverwerteten Gestellen ordentlich aufgereiht sind. Hier stehen auch Säcklein mit Lindenblüten. Die, sagt Thomas Disch, könnten seine Kundinnen auch selber sammeln. Aber das mache jeweils niemand. Dabei ist das doch auch eines seiner Ziele: Die Leute zum Selbermachen animieren! Geht in die Natur! Und lernt etwas über Vorratshaltung! Er fuchtelt mit den Armen, und man hat ein wenig Angst um die beiden Flaschen Shrub auf dem Regal (das ist ein essiggesäuerter Fruchtsirup, «man muss ja irgendwie speziell sein!»). Digitalisierter Laden hin oder her: Runterfallen können sie trotzdem.
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