Geheimdokumente in PrivatresidenzDas grosse Rätsel im Trump-Verfahren
In allen Details ist bekannt, wie liederlich Donald Trump mit US-Staatsgeheimnissen umgegangen ist. Nur eine Frage ist nicht geklärt: Warum nur hat sich der frühere Präsident so verhalten?
Krimis enden immer gleich. Die Detektivin überführt den wahren Täter, worauf es aus ihm herausbricht: Es war Hochmut, Gier, Wollust, Zorn, Neid, Eifersucht – eine der niederen Emotionen, die Menschen zu Verbrechern werden lassen. Donald Trumps Krimi entspricht nicht dieser Regel, wie so vieles nicht den üblichen Gesetzmässigkeiten unterworfen ist, was den früheren US-Präsidenten betrifft.
Fein säuberlich hat Sonderermittler Jack Smith in der Anklageschrift auf 49 Seiten festgehalten, wie Trump geheime Akten aus dem Weissen Haus mitgehen liess, wo er sie in seinem Anwesen in Mar-a-Lago aufbewahrte, wie er sie eigenhändig sortierte, wie er einen Teil vor seinen eigenen Anwälten versteckte.
Was ist Trumps Motiv?
Eine bemerkenswerte Lücke aber lässt Smith offen: das Motiv. Kein Wort dazu, warum Trump Staatsgeheimnisse hortete, warum er sie um keinen Preis dem Nationalarchiv aushändigen wollte, warum er seine Anwälte lügen lassen wollte, wie Smith geltend macht. Die Frage drängt sich umso mehr auf, als der Sonderermittler Trump vorwirft, ein Anti-Spionage-Gesetz verletzt zu haben. Der ehemalige Präsident ein Spion? Ein Verräter gar oder ein Whistleblower?
Hinweise auf das Motiv finden sich in der Anklageschrift nur zwischen den Zeilen. Trump habe detaillierte Anweisungen erteilt, wo die Kisten aus dem Weissen Haus zu lagern seien, «weil sie seine Papiere sind», schrieben Mitarbeiter einander in Textnachrichten. Die Anklage führt auch ein Zitat Trumps an, das einer seiner Anwälte notierte: «Ich will nicht, dass jemand meine Kisten durchsucht. Das will ich wirklich nicht.»
Gefällt Ihnen dieser Artikel? Entdecken Sie hier den passenden Newsletter dazu.
Warum die Kisten Trump so am Herzen lagen, ist indes damit nicht beantwortet. Smith dürfte der These nachgegangen sein, Trump könnte Staatsgeheimnisse verkauft haben, und liess Akten über dessen Geschäftsbeziehungen mit sieben Ländern beschlagnahmen. In der Anklageschrift wird das nicht erwähnt, Hinweise auf strafbares Verhalten scheinen die Ermittler dort nicht gefunden zu haben.
Trumps notorischer Narzissmus
Die Szenen aus seiner Sommerresidenz in Bedminster in New Jersey enthalten allerdings Hinweise auf ein mögliches Motiv: Der frühere US-Präsident wollte sich wichtig machen. Eine Trophäe seien die Akten für Trump, sagt Chris Christie, ein früherer Freund und heutiger Gegenspieler. «Sie sind eine Trophäe, die Trump herumzeigt. Er sagt: Schau her, was ich da habe», sagte Christie dem Sender ABC News.
Trumps Vorliebe für Trophäen ist notorisch; Mitarbeiter beschreiben ihn als «pack rat», als Sammelwütigen. Von den Wänden seines Büros in dem New Yorker Hochhaus, das seinen Namen trägt, lächelt Trump in hundertfacher Ausführung herunter: als Titelheld des «Playboy», beim Händedruck mit Ronald Reagan, als Karikatur der Zeitschrift «New Yorker». Besuchern präsentiert er weitere Schätze wie einen Turnschuh der Basketball-Legende Shaquille O’Neal.
Prahlen mit Geheimdienstinformationen
An Beispielen für Prahlen mit Geheiminformationen mangelt es nicht in Trumps Lebenslauf. Einmal versuchte er, Russlands Aussenminister Sergei Lawrow und Botschafter Sergei Kisljak zu beeindrucken, indem er den beiden Informationen über einen israelischen Spion verriet.
Im Verlust der Präsidentschaft vermuten einige ein mögliches Motiv: Trump behaupte nicht nur, die Wahl sei ihm gestohlen worden, er glaube das auch. Dieser These widerspricht die Anklageschrift allerdings. In den Gesprächen mit den Besuchern in Bedminster anerkannte Trump, dass er nicht mehr Präsident sei und die Akten gar nicht mehr haben dürfte, er scheint sich über die Situation gar lustig zu machen.
Die Theorie seiner Anhängerschaft
Das führt zu einem weiteren möglichen Motiv, favorisiert von seiner Anhängerschaft: Ihr Idol bewahrte die Geheimunterlagen bewusst auf, um sich gegen politische Attacken zu verteidigen. Als Hinweis dient erneut eine der Unterhaltungen in Bedminster. Demnach zeigte Trump den Besuchern militärische Angriffspläne gegen den Iran. Nicht er habe diese Pläne geschmiedet, sondern sein Generalstabschef Mark Milley, sagte Trump: «Das Papier ist der Beleg für mein Argument.» Zuvor war bekannt geworden, dass der General befürchtete, der Präsident könnte in den letzten Tagen seiner Amtszeit den Iran angreifen lassen, um an der Macht zu bleiben.
Welche dieser Möglichkeiten die zutreffendste ist, könnte Donald Trump am besten beantworten. Er hat bisher nur indirekt über sein Motiv Auskunft gegeben, als er behauptete, vor dem Ende seiner Amtszeit die Geheimhaltungsstufe sämtlicher Akten aufgehoben zu haben. Möglich ist auch eine Mischung der diversen Varianten, gepaart mit einem Gefühl der Unangreifbarkeit. Trump sei im Herzen ein «jugendlicher Delinquent», kommentierte «Politico», wie einer jener bösen Buben in der Schulklasse, die Briefkästen verschmieren, weil sie «keine Impulskontrolle» haben.
Schon als Geschäftsmann setzte sich Trump über allerlei Vorschriften und Einschränkungen hinweg. Als Präsident tat er dies erst recht. Und er scheint sich ziemlich sicher gewesen zu sein, dass die Justiz es nicht wagen würde, ihn für das Horten der Geheimdokumente zu belangen. Gerade das FBI hatte sich nicht mit Ruhm bekleckert, als es 2016 eine Untersuchung gegen ihn eröffnete wegen des Verdachts auf illegale Zusammenarbeit mit Russland. Trump dürfte darauf gesetzt haben, dass sie ihn, den Favoriten unter den Präsidentschaftsbewerbern der Republikaner, nicht noch einmal antasten würden.
Genau das geschieht allerdings nun. Trump steht unter dem Vorwurf, das Anti-Spionage-Gesetz verletzt zu haben, das Besitz und Aufbewahren von Geheimdokumenten unter Strafe stellt, auch ohne niedere Beweggründe. In diesem Krimi spielt das Motiv keine Rolle.
Fehler gefunden?Jetzt melden.