Ein neuer Schweizer Gesamtsieger?«Dann wird keiner mehr sagen, dass ich gar nicht richtig Ski fahren kann»
Josua Mettler erlitt als Bub zwei Beinbrüche, als Profi einen schweren Sturz. Nun steht der Toggenburger vor dem Gewinn des Europacups. Und erinnert an prominente Vorgänger.
Drei Jahre alt war Josua Mettler, als er aus der Skischule ausbüxte. Er wollte seinem älteren Bruder nacheifern, raste ihm hinterher, stürzte – und brach sich das Bein.
Eine frühe Ohrfeige fürs Leben sei das gewesen, sagt der Toggenburger. Sie hat ihn nicht davon abgehalten, weiterzufahren. 24 ist er nun, und mittlerweile ist sein Name zumindest den eingefleischten Skifans geläufig. Mettler führt die Gesamtwertung des Europacups an, dieser zweitklassigen Rennserie, die eine Plattform bildet für aufstrebende Talente. Aber auch als Auffangbecken dient für renommierte, ihre Form suchende Athleten und solche, die schlichtweg nicht loslassen können vom Traum, es ganz nach oben zu schaffen.
Verteidigt Mettler in den verbleibenden sieben Rennen seinen komfortablen Vorsprung, dann hat er im nächsten Winter seine Ruhe. Will heissen: Er hätte einen Fixplatz im Weltcup, in sämtlichen Disziplinen. Er bräuchte keine zermürbenden teaminternen Qualifikationen mehr zu bestreiten wie etwa letzten November, als er nach den Trainings unverrichteter Dinge wieder aus Lake Louise abreisen musste.
Wie viele Stars – und einige Unbekannte
Den Europacup gewonnen, das haben Grössen wie Aleksander Kilde (mit 20), Marcel Hirscher (21), Alexis Pinturault (21), Benjamin Raich (20) und Hermann Maier (23). Aber auch Athleten, von denen nicht einmal die Experten unter den Experten richtig Notiz genommen haben. Der Schweizer Christian Spescha triumphierte 2010, im Weltcup fuhr er danach nie in die Punkte. Und drei Jahre zuvor hatte mit Peter Struger ein Österreicher triumphiert, der auf höchster Stufe nie über Platz 28 hinauskam. Der Triumph auf zweithöchster Stufe ist kein Freifahrtschein nach oben, Mettler weiss das, doch er sagt: «Vielleicht hilft solch ein Erfolg, damit die Trainer länger auf dich setzen. Nach einigen schlechten Rennen wird bei mir kaum mehr einer sagen, dass ich gar nicht richtig Ski fahren kann.»
Bei den Junioren war Mettler kein Überflieger, er vergleicht seine Karriere mit einer Treppe, auf welcher der Weg auch mal eine Stufe nach unten führt. Er geht auch nicht davon aus, im Weltcup gleich durchzustarten, zumal er sich vorab in den Speed-Disziplinen erst einmal an die Strecken gewöhnen muss. Mettler ist kein Draufgänger, «ich bin nicht der Typ, der erstmals eine Abfahrt bestreitet, den Kopf zwischen die Beine klemmt und gleich sein Leben riskiert», sagt der einstige Schweizer Meister im Super-G. Geprägt hat ihn ein folgenschwerer Sturz im Sommertraining 2020 in Zermatt; Mettler verlor die Brille und prallte kopfvoran in eine Stange des Sicherheitsnetzes. Dabei zog er sich einen Schädelbruch, ein Schädel-Hirn-Trauma und eine Herzprellung zu; wäre die Prellung heftiger gewesen, hätte sie den sofortigen Tod bedeuten können. «Als ich das gehört habe, musste ich schon leer schlucken», sagt Mettler.
Den Unfall hat er verarbeitet, nun bezeichnet er sich als Heugümper, der von Trainingsgruppe zu Trainingsgruppe springt, mal mit Odermatt und Hintermann reist, immer mal wieder aber auch mit dem Europacupteam. Es sind zwei verschiedene Welten; im Europacup gibt es keine Fernsehproduktion, keine Tribünen, keinen Rummel, «meistens ist kein einziger Zuschauer vor Ort». Aus dem Produkt werde sehr wenig herausgeholt, sagt Mettler. Dass die Pisten vergleichsweise einfach sind mit vielen Gleiterstücken und gerade die Abfahrten eher kurz, macht das Sich-Zurechtfinden eine Stufe höher im Weltcup kaum leichter.
Selbst für den Sieg gibt es nur ein Sackgeld
Mettler lebt in Unterwasser, unweit eines Skigebiets, wo auch Simon Ammann aufgewachsen ist. Er kennt den Skispringer, als Bub besuchte er die Empfänge im Dorf zu dessen Ehren, nach den Olympiasiegen und dem Weltmeistertitel. Bei den Junioren hat er Fussball gespielt, und er ist überzeugt, dass er auf diesen Sport gesetzt hätte, wäre er im Unterland geboren. Doch nebenan in Alt Sankt Johann gibt es nur einen Fussballplatz, der selbst für die C-Junioren zu klein ist.
Bei den Mettlers strebten einmal drei Kinder nach einer glanzvollen Karriere. Mit dem gemeinsamen Brand «Schi-Blitz» suchte die Familie nach Sponsoren; übrig geblieben ist Josua, der noch immer daheim lebt und nun zumindest keine Verluste mehr schreibt. Gerade mal 900 Euro gibt es für einen Sieg im Europacup, als Sackgeld bezeichnet das der Gesamtführende, für Rang 20 in Kitzbühel hat er mehr als das Doppelte erhalten. Doch natürlich strebt Mettler nach mehr, so wie er das schon immer getan hat. Nicht nur beim Ausbüxen aus der Skischule, sondern auch später als 13-Jähriger, als es nicht schnell genug gehen konnte auf der Piste. Und er sich das Bein ein zweites Mal brach.
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