Abschaffung der StrichcodesCoop und Migros bekämpfen Foodwaste mit einem technischen Trick
Die Grossverteiler wollen genauer wissen, welche Produkte sie schon verkauft haben und welche noch im Laden sind. Was das für die Kundschaft bedeutet.
Der Detailhandelsriese Coop hat eine grosse Umrüstungsaktion hinter sich. Er hat all seine Filialen schweizweit fitgemacht für die zweidimensionale Produkterfassung. Das heisst, dass die Scanner sowohl an den bedienten Kassen wie auch am Self-Check-out nicht mehr nur eindimensionale Strichcodes, sondern neu auch zweidimensionale Codes lesen können.
«Aktuell führen wir in einem Pilotversuch rund hundert Food-Produkte mit 2-D-Barcodes im Sortiment», bestätigt ein Coop-Sprecher. Es handle sich dabei unter anderem um Artikel der Eigenmarken Betty Bossi und Yolo sowie um Produkte des Milchverarbeiters Emmi und aus den Produktionsbetrieben der Coop-eigenen Bell-Gruppe. Unter anderem sind die Verpackungen zahlreicher Sandwichs und eines veganen Käses mit 2-D-Codes bedruckt.
Ähnlich wie QR-Code
Die 2-D-Codes ähneln jenen der QR-Technologie, die während der Corona-Pandemie weitherum Verbreitung gefunden haben. Allerdings handelt es sich dabei um einen anderen Standard mit der Bezeichnung GS1 Datamatrix. Sie können etwa halb so viele Informationen speichern wie ein QR-Code, aber deutlich mehr als die eindimensionalen Strichcodes.
«Dadurch wissen wir, welches Mindesthaltbarkeitsdatum die verkauften Produkte aufweisen, können vorausschauender Waren bestellen und Food-Waste vermeiden», schreibt der Coop-Sprecher. Der Versuch läuft seit gut zwei Jahren, wurde aber bisher nicht öffentlich bekannt.
«Heute müssen Angestellte manuelle Haltbarkeitskontrollen machen. Das ist aufwendig und manchmal nicht möglich.»
Coop weiss jetzt zum Beispiel nicht nur, dass er eine Packung veganen Käse von Emmi verkauft hat, sondern auch, dass er einen veganen Käse verkauft hat, dessen Mindesthaltbarkeit am 13. Februar abläuft. Und vor allem, welche Produkte jetzt noch im Kühlregal liegen und welche Haltbarkeitsdaten sie haben.
«Heute müssen Supermarktangestellte für Frischeprodukte in aller Regel manuelle Haltbarkeitskontrollen machen», sagt Nordal Cavadini, Detailhandelsexperte beim Beratungsunternehmen Alix Partners. «Das ist aufwendig und manchmal aus Zeitgründen tagsüber gar nicht möglich. So verpasst man unter Umständen die Möglichkeit, betroffene Artikel den Kunden mit Rabatt anzubieten, bevor sie aussortiert werden.»
Der Handel hat einen deutlichen Hebel
Wenn dagegen ständig die Kontrolle darüber bestünde, welche Produkte schon verkauft wurden und wie viele mit näher rückendem Ablaufdatum noch zum Verkauf stehen, könnte man diese gezielter angehen, sagt Cavadini. «Das würde nicht nur zu weniger Food-Waste führen, sondern auch zu Effizienzgewinnen beim Detailhändler.»
Hinzu kommt das Potenzial, dass die 2-D-Technologie Food-Waste auch im Fall von Rückrufen verringern könnte. Werden in einem Produkt zum Beispiel Listerien entdeckt, muss der Detailhändler heute oft alle Artikel davon zurückrufen und wegwerfen. Neu dagegen könnte er eine genaue Rückverfolgung zur Produktionsstätte und zum Zeitpunkt der Herstellung anstellen – und so den Rückruf eingrenzen.
In der Schweiz geht laut dem Bundesamt für Umwelt ein Drittel aller verwertbaren Lebensmittel verloren oder wird verschwendet. Pro Jahr mache das 2,8 Millionen Tonnen aus – das sind 330 Kilogramm pro Einwohnerin und Einwohner. Diese Menge ist für 7 Prozent des gesamten ökologischen Fussabdrucks des Landes verantwortlich.
Um diese Auswirkungen zu verringern, hat der Bund einen nationalen Aktionsplan mit dem Ziel lanciert, bis 2030 die Lebensmittelverschwendung um 50 Prozent gegenüber 2017 zu verringern. Zahlreiche Firmen aus dem Lebensmittelbereich – unter anderem die grossen Supermarktketten – haben sich in einer Vereinbarung dazu verpflichtet, dabei mitzuhelfen. Allerdings sind im Parlament Vorstösse hängig, die die Wirtschaft noch stärker in die Pflicht nehmen wollen.
Der mit Abstand grösste Teil der Ökobelastung durch Food-Waste fällt laut einer Studie der ETH Zürich zwar in den Haushalten an. Mit 8 Prozent hat der Handel allerdings trotzdem einen grossen Hebel.
Coop schreibt dagegen, dass schon heute nur 0,2 Prozent der Lebensmittel, die in die Läden gelangten, nicht verwendet werden könnten. Das Unternehmen arbeite hierfür unter anderem mit dem Verein «Tischlein deck dich» zusammen, der Lebensmittel an Bedürftige verteilt. Und es verkaufe überschüssige Mahlzeiten vergünstigt über die Plattform «Too Good to Go».
Migros tüftelt ebenfalls an 2-D-Barcodes
Insbesondere im angelsächsischen Raum setzen etliche Händler die 2-D-Technologie schon flächendeckend ein. Unter den Schweizer Detailhändlern ist Coop am weitesten fortgeschritten. Aldi und Lidl schreiben, sie verfolgten gegenwärtig keine derartigen Pläne. Die Fenaco-Genossenschaft schreibt, bei ihren Töchtern Volg und Landi sehe es ähnlich aus; allerdings bearbeite die Informatiktochter des Konzerns das Thema bereits.
Die Migros setzt wie Coop auf den 2-D-Barcode. Ein Sprecher schreibt, derzeit fänden intern verschiedene Machbarkeits- und Wirtschaftlichkeitsanalysen statt. «Da ein 2-D-Barcode deutlich mehr Informationen enthalten kann als ein 1-D-Barcode, können diese Vorteile auch für Kundinnen und Kunden einen Vorteil darstellen.»
Ziel der Migros ist einerseits die Verbesserung der internen Abläufe, was zur Vermeidung von Food-Waste beitragen soll. Anderseits will die Migros ihren Kundinnen und Kunden mit dem 2-D-Barcode zusätzliche Informationen liefern, etwa genauere Angaben zu den Inhaltsstoffen, Gebrauchsanweisungen oder Links auf Produkte-Websites.
«Detailhändler sollten Informationen für ihre Produkte anbieten, hier geht es auch um Deutungshoheit.»
Experte Nordal Cavadini hält das für sinnvoll: «Wenn die Detailhändler nicht selbst gewisse Informationen für ihre Produkte anbieten, übernehmen das halt andere Firmen für sie – hier geht es auch um Deutungshoheit.»
Cavadini nennt als Beispiele die Smartphone-Apps Yuka und Codecheck, mit denen Kundinnen und Kunden für zahlreiche Produkte detaillierte Nährwerte oder ein Klima-Skore einsehen können – Angaben, für die zunehmendes Interesse herrscht.
Coop ist bei diesem Punkt noch nicht so weit. Die 2-D-Codes auf den Produkten lassen sich im Moment nicht mit dem Handy scannen, um an weitere Informationen zu gelangen. Stattdessen sind auf zahlreichen Produkten zusätzlich zu den herkömmlichen Strichcodes QR-Codes aufgedruckt, mit denen die Kundinnen und Kunden Produktinformationen abrufen können.
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