Studie zu CO₂-Bilanz Die eigene Klimafreundlichkeit wird überschätzt
Eine Studie legt den ökologischen Fussabdruck der Bevölkerung offen. Städter schneiden nicht besser ab als Personen auf dem Land. Ebenso interessant: Das Geschlecht spielt eine Rolle.
Weniger Fleisch essen, seltener fliegen, das Auto auch einmal stehen lassen: Mit solchen Vorsätzen dürften nicht wenige Menschen ins neue Jahr gestartet sein. Eine Studie des Forschungsinstituts Sotomo im Auftrag des Energielösungsunternehmens Helion zeigt nun, wie es um den ökologischen Fussabdruck der Bevölkerungsgruppen steht. In den Daten stecken einige Überraschungen.
Wenige Junge sündigen viel
Es ist noch gar nicht so lange her, da stand die «Generation Greta» für den Aufbruch in eine klimafreundlichere Zukunft. Inzwischen ist nicht nur das Image der einstigen Klimaikone Greta Thunberg gehörig angekratzt. Die Daten zeigen auch, dass das Klimabewusstsein der jungen Generation weniger ausgeprägt ist als gedacht.
So haben junge Erwachsene zwischen 18 und 35 Jahren von allen Altersgruppen den grössten ökologischen Fussabdruck. Sie verursachen pro Jahr einen CO2-Ausstoss von 11,3 Tonnen. In der Gesamtbevölkerung sind es durchschnittlich 10,5 Tonnen. Hauptgrund dafür ist, dass Junge im Schnitt deutlich mehr fliegen als ältere Personen.
Studienautor und Sotomo-Geschäftsführer Michael Hermann relativiert jedoch: «Es wäre falsch, alle Jungen in einen Topf zu werfen.» Vielmehr zeigten die Daten, dass ein kleiner Teil der jungen Generation sehr viel fliegt und konsumiert. «Diese Minderheit treibt den Schnitt nach oben und macht die Klimabilanz der Jungen kaputt.»
Städter sind nicht klimafreundlicher
Der Stadt-Land-Graben ist in der Schweiz in den vergangenen Jahren tiefer geworden. Auch in der Klimadebatte ist er relevant. So scheiterte das CO2-Gesetz vor knapp drei Jahren unter anderem an der starken Mobilisierung in ländlichen Gebieten.
Die Studie zeigt jedoch: Zwischen dem Fussabdruck eines durchschnittlichen Städters und einer Person vom Land bestehen keine markanten Unterschiede. Zwar ist in ländlichen Gebieten das Auto als Fortbewegungsmittel zentral, was sich im CO2-Ausstoss niederschlägt. Städterinnen und Städter fliegen dafür markant mehr und machen so ihren Vorteil wieder zunichte.
Reiche leben auf grossem Fuss
Dass reiche Menschen das Klima stärker belasten, ist bekannt. Die Helion-Studie bestätigt: Personen, die mehr als 16’000 Franken im Monat verdienen, haben mit 14,8 Tonnen im Jahr klar den grössten CO2-Fussabdruck aller untersuchten Bevölkerungsgruppen.
Bei genauerem Hinsehen stechen jedoch interessante Details heraus. So ist der hohe CO2-Verbrauch der Gutverdienenden vor allem damit zu erklären, dass sie mehr fliegen und shoppen. Wenn es ums Wohnen geht, scheren die Reichsten hingegen kaum aus – obwohl sie in der Regel mehr Wohnfläche beanspruchen.
Michael Hermann sagt: «Da Gutverdienende häufiger in gut isolierten Neubauten wohnen und über eine Solaranlage oder eine Wärmepumpe verfügen, können sie einen Teil ihres Mehrverbrauchs kompensieren.» Ähnlich verhält es sich im Strassenverkehr, da Menschen mit hohen Einkommen häufiger E-Autos fahren.
Das Geschlecht spielt eine Rolle
Im Schnitt emittieren Frauen etwas weniger CO2 als Männer. Wobei die Studienautoren die Diskrepanz vor allem auf das Mobilitätsverhalten zurückführen: Männer fahren wesentlich mehr Auto als Frauen. Frauen ernähren sich zudem häufiger vegetarisch. Dies fällt bei der Berechnung des Fussabdrucks allerdings nur geringfügig ins Gewicht.
Der Geschlechtergraben ist vor allem bei den älteren Generationen ausgeprägt – in der jungen Generation verhalten sich Männer und Frauen ähnlich klimaschädlich.
Eigene Klimafreundlichkeit wird überschätzt
Wer nun überrascht ist, einer wenig klimabewussten Gruppe anzugehören, ist in guter Gesellschaft. Die Ergebnisse legen nahe, dass ein Grossteil der Bevölkerung die eigene Klimabilanz zu positiv einschätzt. Besonders verzerrt ist die Wahrnehmung der Spitzenverdiener.
Insgesamt ist weniger als die Hälfte der Bevölkerung bereit, den eigenen Lebensstil noch weiter zugunsten des Klimas anzupassen. Viele verweisen darauf, sie hätten in der Vergangenheit bereits Anpassungen gemacht – indem sie etwa weniger Fleisch essen oder oder seltener fliegen.
Gleichzeitig ist eine Mehrheit der Meinung, es gehe mit der Bekämpfung des Klimawandels zu langsam voran. Nach Lösungsansätzen gefragt, hoffen die meisten Befragten auf den technischen Fortschritt. So können sich fast drei Viertel der Haus- und Wohnungsbesitzenden vorstellen, eine Solaranlage zu installieren. Weit weniger versprechen sich die Befragten von neuen Gesetzen oder von eigenverantwortlichem Handeln.
Akzeptanz der Bevölkerung ist der Schlüssel
ETH-Klimaforscher Reto Knutti findet die Resultate «hochinteressant». Es gebe in der Schweiz keine andere aktuelle Untersuchung, die das Umweltverhalten der Schweizer Bevölkerung so umfassend abbilde. «Dabei ist es im Kampf gegen den Klimawandel essenziell zu verstehen, wie die Bevölkerung denkt.»
Zwar ist das Konzept des individuellen Fussabdrucks umstritten, weil es den Fokus stark auf den einzelnen Menschen statt auf das System lenkt. Knutti hält die Erkenntnisse aber dennoch für wertvoll. «Sie können beispielsweise das Bewusstsein dafür schärfen, wie stark das Fliegen die persönliche Klimabilanz beeinflusst.» So recyceln viele progressive Städterinnen ihre Abfälle gewissenhaft – sparen damit aber weitaus weniger CO2, als sie mit ihren Ferienflügen emittieren.
Klar ist laut Knutti aber auch, dass noch nie ein ökologisches Problem dieser Dimension nur durch Eigenverantwortung gelöst wurde. «Die Abwasserproblematik hat man auch erst in den Griff bekommen, als ausnahmslos jeder Haushalt an die Kanalisation angeschlossen wurde.»
Die politische Herausforderung bestehe nun darin, einen Massnahmenmix zu finden, der von der Bevölkerung mitgetragen werde. Auch hier könnten Daten zur Einstellung der Bevölkerung helfen. «Wir sehen etwa, dass die Solarenergie grundsätzlich auf sehr viel Akzeptanz stösst.» Eine entsprechende Gesetzesvorlage, Anreize oder marktbasierte Ideen müssten nur richtig aufgegleist werden – dann sei auch die Finanzierung zu stemmen, ist Knutti überzeugt.
Zweifel am Einfluss des Menschen
Für jene, die auf eine griffige Klimapolitik hoffen, hält der Bericht allerdings auch bittere Erkenntnisse bereit. So bezweifelt mehr als jeder sechste Befragte, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Rechnet man die Menschen mit ein, die den menschengemachten Klimawandel «eher» infrage stellen, wächst das Lager der Skeptiker auf ein Drittel an.
Laut Knutti entspricht dies etwa den Erfahrungswerten aus anderen Ländern. Er sieht darin allerdings weniger eine Ablehnung der Wissenschaft als vielmehr eine psychologische Strategie, um die eigene Untätigkeit in Sachen Klima zu begründen. «Die meisten wollen mit dieser Antwort wohl signalisieren, dass die Freiheit des Individuums für sie über allem steht und sie nicht bereit sind, zugunsten des Klimas zu verzichten.»
Diese Menschen seien höchstens dann für den Klimaschutz zu gewinnen, wenn eine Massnahme für sie finanziell lukrativ sei – etwa, indem sie für die Solaranlage auf dem Dach Geld bekommen.
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