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Evergrande beantragt in den USA Insolvenz
Chinas Immobilienkrise weitet sich aus – verliert Peking die Kontrolle?

Ein Firmenname, der zunehmend mit Problemen verbunden ist: Ein Frau sitzt auf einem Platz vor Evergrande-Hochhäusern in Peking. 
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Chinas Immobilienmarkt kommt nicht zur Ruhe: Der hoch verschuldete Immobilienentwickler Evergrande hat in den USA Gläubigerschutz beantragt. Wie aus Gerichtsunterlagen hervorgeht, beantragte das Unternehmen am Donnerstag in Manhattan Gläubigerschutz nach Kapitel 15. Damit will es sich in den USA vor Forderungen schützen, während anderswo die Verhandlungen weitergehen. Der Artikel regelt Insolvenzfälle, die mehr als ein Land betreffen.

Evergrande ist schon seit Jahren in Schwierigkeiten, bereits 2021 war die Pleite des Konzerns befürchtet worden. Im vergangenen Monat veröffentlichte das Unternehmen nach mehrmaligen Verzögerungen Zahlen: Demnach machte Evergrande in den Jahren 2021 und 2022 insgesamt umgerechnet rund 100 Milliarden Dollar Verlust. Die Höhe der Schulden belief sich Ende 2022 auf mehr als 300 Milliarden Dollar. Ein Gericht in Hongkong soll im Oktober entscheiden, ob der Konzern zerschlagen wird.

Evergrande hatte im März in China einen Umstrukturierungsplan präsentiert. Teil davon war das Angebot an die Gläubiger, ihnen Anteile an den Tochtergesellschaften zu überlassen, etwa die Elektroautotochter Evergrande NEV. Hunderttausende Chinesen haben bei Evergrande Wohnungen gekauft, die noch nicht fertiggestellt sind.

Analyst Yan Yuejin vom Forschungsinstitut E-house China sagte, der Antrag auf Gläubigerschutz in den USA bedeute, dass Evergrande auf der Suche nach einem «besseren Weg der Umschuldung» sei. Das Kerngeschäft von Evergrande laufe weiter, der Konzern habe schliesslich eine grosse Verantwortung, seine in China schon verkauften Wohnungen auch zu bauen.

Auch die Nummer 2 stürzt ab

Der chinesische Immobiliensektor befindet sich seit geraumer Zeit in einer schweren Krise, für die Evergrande aufgrund seiner schieren Grösse zum Symbol geworden ist. Nicht nur profitgierige Immobilienentwickler, die unverhältnismässig und oft am tatsächlichen Bedarf vorbei gebaut haben, sind für die aktuelle Situation verantwortlich.

Auch Peking trägt seinen Teil dazu bei. Denn bevor die Branche in Schieflage geriet, wurde sie mit harten neuen Regeln zum Schuldenabbau konfrontiert. Dutzende weitere Immobilienentwickler sind seither in den Abgrund gerissen worden. Die allzu strengen Regeln wurden oft als Hauptursache der Krise angesehen. Inzwischen hat Peking die Vorschriften wieder etwas gelockert und Hilfe für die Branche signalisiert.

Die Regierung signalisiert nun Hilfe: Bereits 2021 war die Pleite des Immobilienentwicklers Evergrande befürchtet worden. 

Doch viel Vertrauen ist verspielt, die Verunsicherung gross. Erst vergangene Woche stürzte das Unternehmen Country Garden an der Börse ab, nachdem es zwei Kuponzahlungen für US-Dollar-Anleihen verpasst hatte. Dabei galt der zweitgrösste Entwickler des Landes zuvor als vergleichsweise stabil. Zwar handelt es sich zunächst nur um Zinszahlungen in Höhe von 22,5 Millionen US-Dollar. Dennoch wurden sofort Erinnerungen an Evergrande wach, wo die Probleme ähnlich begannen. Auch Country Garden soll gemäss Berichten 650’000 Wohnungen verkauft haben, mit deren Bau noch nicht begonnen wurde.

Probleme springen auf Finanzbranche über

Die Krise wirkt sich bereits auf andere Bereiche der Wirtschaft aus, da der Immobiliensektor in China immer eine wichtige Stütze des Wachstums war. Die chinesische Wirtschaft ist derzeit ohnehin angeschlagen. Die Erholung nach der Corona-Pandemie fällt schwächer aus als von der Regierung erhofft. Laut Edgar Walk, Chefvolkswirt bei Metzler Asset Management, braucht China deshalb ein neues Wirtschaftsmodell. Dem «Spiegel» sagte er, die Unternehmen hätten jahrzehntelang von niedrigen Zinsen und Löhnen  profitiert und stark auf Exporte gesetzt, im Inland habe die Regierung in den Immobilienmarkt und Infrastruktur investiert. «Jetzt fallen die Wohnungspreise, es lässt sich kein Geld mehr mit dem An- und Verkauf von Immobilien verdienen. Deshalb bricht der Konsum ein, die Wirtschaft ist gelähmt.» China habe jetzt die Wahl zwischen harter Rezession und Stagnation. Walk rechnet mit Letzterem.

Die Krise im Immobiliensektor droht zudem auf die Finanzbranche überzugreifen. Mit Zhongrong International Trust scheint nun auch eine von Chinas berüchtigten «Schattenbanken» in ernsthafte Schwierigkeiten zu geraten. Dabei handelt es sich um Finanzunternehmen, die keine Banklizenz haben, aber im Auftrag von Investoren Geld anlegen – oft mit dem Versprechen hoher Zinszahlungen.

Zhongrong soll in Liquiditätsschwierigkeiten geraten sein, weil es grosse Summen in den krisengeschüttelten Immobiliensektor investiert hat. Vor der Zentrale in Peking kam es bereits zu Protesten verärgerter Anleger.

«China gilt nun als Belastungsfaktor»

Die Sorgen um Chinas Immobilienbranche dämpfen inzwischen auch die Stimmung an den Finanzmärkten. Beim Immobilienspezialisten Jones Lang LaSalle (JLL) sieht man aber keinen Grund zur Panik. «Die Zahlungsunfähigkeit von Evergrande betrifft in erster Linie die Anleihegläubiger, die ihr Investment sehr wahrscheinlich abschreiben müssen», sagt Jan Eckert, Chef Capital Markets bei JLL für die Region Deutschland, Österreich und Schweiz. «Auch wenn die Summen gewaltig sind, die hier im Feuer stehen, so ist es angesichts der Grösse des globalen institutionellen Kapitalmarkts in jedem Fall verkraftbar.» Die Folgen für die Immobilienmärkte blieben auf die Märkte beschränkt, in denen Evergrande tätig sei. «Für Europas Immobilienmärkte erwarte ich keine negativen Folgen.»

Die Anleger sorgen sich zudem um eine Abkühlung der Weltwirtschaft. Die Gefahr für die globalen Kapitalmärkte gehe weniger von direkten Ansteckungsgefahren vom Immobilien- und Schattenbankensektor aus, sagt Björn Jesch, globaler Investmentchef bei der Deutsche-Bank-Fondstochter DWS. Vielmehr liege sie in der Geschwindigkeit, mit der die Stimmung gedreht habe: «Galt China zu Jahresanfang noch als Hoffnungsträger für das globale Wachstum dank Wiedereröffnungsphantasie, gilt das Land nun als Belastungsfaktor.»

Auch könne die Krise in Chinas Immobilienbranche Vorteile für Europa haben. So entlaste eine Abschwächung der Bautätigkeit die globalen Rohstoffmärkte und schwäche damit den Inflationsdruck, meint Jesch. Auch an hiesigen Baustellen könnte die Krise sich in niedrigeren Kosten bemerkbar machen: Eine schwächere Nachfrage aus China nach Rohstoffen wie Stahl und Glas könne nach langer Zeit der Knappheit und gestiegener Preise dazu beitragen, «die Zwänge, mit denen europäische Bauunternehmer konfrontiert sind, weiter zu lockern».




















AFP/SDA/nlu