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Internationale Enthüllung
Tickende «Kohlenstoff­bomben» setzen das Weltklima aufs Spiel

Steam comes out of the chimneys of the coal-fired power station Neurath near the Garzweiler open-cast coal mine in Luetzerath, Germany, Monday, Oct.25, 2021. The climate change conference COP26 will start next Sunday in Glasgow, Scotland. (AP Photo/Michael Probst)
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Ende November wird in der Wüstenmetropole Dubai die 28. UN-Klimakonferenz stattfinden, die sogenannte COP 28. Dort sollen sich die Staaten zu einem «kohlenstoffarmen Wirtschaftswachstum» bekennen, wie es der Vorsitzende Sultan Ahmed Al Jaber ausdrückte. Doch viele zweifeln an einer ernsthaften Absicht, griffige Massnahmen gegen den Klimawandel zu beschliessen. Nicht zuletzt, weil Al Jaber neben seinem Amt als Minister der Vereinigten Arabischen Emirate auch Chef der staatlichen Ölgesellschaft ist.

Von «entscheidender Bedeutung» sei es darum, dass im Vorfeld der Konferenz darüber diskutiert werde, wie viel Kohle, Öl und Gas noch immer gefördert werde. Das schreiben die zwei französischen Nichtregierungsorganisationen Data for Good und Éclaircies, die heute ihr Projekt «Carbon Bombs» veröffentlichen, auf Deutsch Kohlenstoffbomben.

Gemeinsam mit Fachleuten aus der Klimawissenschaft haben sie sämtliche Kohle-, Öl- und Gasförderprojekte ausfindig gemacht, die während ihrer Lebensdauer mehr als eine Gigatonne CO2 ausstossen werden, kurz gesagt: die grössten CO2-Schleudern. Zum Vergleich: Die gesamten CO2-Emissionen der Schweiz letztes Jahr betrugen nicht einmal ein Zwanzigstel einer Gigatonne.

Wettlauf gegen die Zeit

Weltweit gibt es 425 solcher Kohlenstoffbomben. Sie alle sind ab heute auf der Website carbonbombs.org öffentlich einsehbar, inklusive deren Finanzierung. Führende europäische Medien wie «Le Monde» oder «Der Spiegel» konnten die Daten bereits im Vorfeld einsehen und auswerten, darunter auch der Tamedia-Recherchedesk.

Die gute Nachricht: Mindestens 128 dieser Kohlenstoffbomben sind noch nicht in Betrieb. Deren CO2-Emissionen könnten also noch verhindert werden. Und das wäre wichtig, denn sie allein würden im Lauf ihres Lebenszyklus knapp 300 Gigatonnen CO2 emittieren. Das ist fast so viel, wie überhaupt noch in die Atmosphäre gelangen darf, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Gemäss letztem IPCC-Bericht verbleiben dafür seit Anfang 2020 noch 500 Gigatonnen.

Das effektiv verbleibende Kohlenstoffbudget dürfte heute wohl bereits deutlich tiefer liegen. Die CO2-Emissionen haben in der Zwischenzeit weiter zugenommen. Letztes Jahr waren es knapp 37 Gigatonnen.

Die geplanten Glencore-Kohleminen sind mitentscheidend für den Kampf gegen den Klimawandel.

Viel vom Wettlauf gegen den Klimawandel hängt also davon ab, ob diese Projekte realisiert werden. Etwa die Hälfte dieser noch nicht in Betrieb genommenen Projekte sind Kohleminen. Sie gelten als die klimaschädlichste Form der Energiegewinnung. Rund jede zweite davon liegt in China, das nicht dafür bekannt ist, besonders entschlossen gegen dreckige Energiegewinnung vorzugehen.

Doch auch was im Rest der Welt passiert, ist relevant. Und dabei spielt auch die Schweiz eine wichtige Rolle, wie Recherchen dieser Redaktion zeigen. Zwei dieser zwanzig grössten geplanten Kohleminen ausserhalb Chinas gehören Glencore, dem Schweizer Rohstoffriese mit Sitz in Baar im Kanton Zug. Beide sind bislang öffentlich kaum bekannt. Eine davon ist das Kohleprojekt Valeria im australischen Queensland, das andere heisst Paardekop und liegt im Osten Johannesburgs in Südafrika.

Auf Anfrage bestätigt Glencore den Besitz der beiden Projekte und beteuert, man sei sich der Verantwortung bewusst, einen Beitrag zu den globalen Bemühungen zur Erreichung der Ziele von Paris zu leisten. «Wir haben uns verpflichtet, unsere Emissionen bis Ende 2026 um 15 Prozent und bis Ende 2035 um 50 Prozent zu reduzieren, mit der Ambition, bis Ende 2050 unsere industriellen Emissionen auf null zu reduzieren.»

«Keine Pläne», sagt Glencore

Doch diese Ziele sind mit Vorsicht zu geniessen. Glencore selbst schreibt, diese seien unter der Annahme eines «förderlichen politischen Umfelds» getroffen worden. Das australische Projekt Valeria sei gegenwärtig «auf dem Prüfstand». Allerdings kann es genauso gut jederzeit in Angriff genommen werden. Dann wird Valeria gemäss Angaben von Glencore für 37 Jahre Kohle produzieren, also bis weit nach 2050.

Ähnlich ist es beim Paardekop-Projekt in Südafrika. «Wir haben keine Pläne, dieses zu erschliessen», beteuert der Zuger Rohstoffriese. Auch gebe es noch einen laufenden Rechtsstreit mit dem südafrikanischen Ministerium für Mineralressourcen und Energie. Doch auch hier besitzt Glencore seit 2017 ein Abbaurecht für 30 Jahre, wie aus dem letzten Ressourcenbericht hervorgeht.

Hier wird viel Kohle gescheffelt: Letztes Jahr verdiente Glencore allein mit ihrer El-Cerrejón-Mine im Norden Kolumbiens 3,6 Milliarden Dollar.

Und klar ist auch: Nach wie vor verdienen Rohstoffkonzerne mit dem schmutzigen Gold viel Geld. Glencore profitiert stark von den Folgen des Ukraine-Kriegs. Viele Staaten, darunter auch Deutschland, setzen wieder vermehrt auf Kohle, um weniger abhängig vom russischen Gas zu sein. Letztes Jahr betrug der bereinigte Betriebsgewinn von Glencore allein für ihre grösste Mine, der El Cerrejón im Norden Kolumbiens, 3,6 Milliarden Dollar. Das ist mehr, als das Unternehmen mit dem Geschäft mit Nickel und Zink zusammen verdient hat.

Doch trotz den grossen Gewinnen bemüht sich der Zuger Konzern um eine glaubwürdige klimafreundliche Zukunftsstrategie, um keine Investoren und Aktionäre abzuschrecken. Denn deren Fragen werden bei jeder Generalversammlung kritischer. Seit ein paar Jahren sind die Glencore-Verantwortlichen sehr bemüht darum, das Wort Kohle zu meiden. Viel lieber betont man, wie wichtig die Förderung von Mineralien sei, die es für die grüne Transformation brauche.

Doch was auch immer an der Klimakonferenz entschieden wird, für die Ziele von Paris wird es sowieso sehr knapp. Bereits in diesem Jahr könnten die globalen Durchschnittstemperaturen zum ersten Mal die 1,5-Grad-Grenze überschreiten. Ob in den kommenden Jahren auch das langfristige Mittel darüber liegt, entscheiden nicht zuletzt eine Handvoll Minenfirmen.