Schweizer im Markt für MedizinalcannabisCannabis für Krebspatienten
Therapien mit THC: Mit seiner Firma Medicrops will der Schweizer Unternehmer Ivan Mestrangelo im wachsenden Medizinalcannabis-Business mitmischen.
In der Cannabisbranche herrscht Goldgräberstimmung. Produzenten von Medizinalcannabis vermelden weltweit Rekordabsätze, weil aufgrund von Gesetzesänderungen immer mehr Patienten Zugang zu rezeptpflichtigen Medikamenten mit dem Wirkstoff THC erhalten. 73 Milliarden Dollar werden Cannabisfirmen nach Schätzungen der US-Firma Grand View Research im Jahr 2027 weltweit erwirtschaften. Die auf Cannabis spezialisierte Londoner Beratungsfirma Prohibition Partners errechnet sogar allein für Europa bis 2028 ein Marktvolumen von 115 Milliarden Euro.
Das Umsatzpotenzial für die Schweizer Cannabis-Industrie wird im European Cannabis Report auf rund 5 Milliarden Franken geschätzt.
Derzeit konzentriert sich das grosse Geschäft noch auf Nordamerika, aber auch in Europa bringen sich namhafte Akteure in Position. In der ersten Februarwoche kaufte das irische Pharmaunternehmen Jazz Pharmaceuticals für 6 Milliarden Euro die britische Firma GW Pharmaceuticals, die auf die Herstellung von THC-haltigen Medikamenten spezialisiert ist.
Lebensqualität von Krebspatienten verbessern
Ebenfalls kräftig investiert, wenn auch in ungleich kleinerem Ausmass, hat der Rapperswiler Unternehmer Ivan Mestrangelo. Er will bis in fünf Jahren mit seiner Zuger Firma Medicrops Grosshändler in ganz Europa mit rezeptpflichtigen Cannabispräparaten beliefern. Mehrere Hundert Angestellte sollen dann einen mittleren zweistelligen Millionenumsatz erwirtschaften. Die Realität sieht derzeit noch anders aus: 20 Angestellte stehen aktuell auf der Lohnliste, eine erste Finanzierungsrunde brachte 4 Millionen Franken ein.
Anfang März startet Mestrangelo die zweite Kapitalrunde, bis Ende Jahr sollen so weitere 20 Millionen Franken aufgenommen werden – von vermögenden Privatpersonen, Ärzten und Family Offices, wie Mestrangelo sagt. Bereits an Bord ist Felix Niggli, der langjährige Chef der Onkologie des Kinderspitals Zürich. Er bezeugt, dass medizinische Cannabispräparate mithelfen können, die Lebensqualität von Krebspatienten zu verbessern.
Den deutschen Markt im Visier
In der Schweiz hat der Nationalrat im Dezember einem Vorschlag des Bundesrats zugestimmt, der Ärzten erlauben will, Therapien auf Cannabisbasis ohne Sonderbewilligung des Bundesamts für Gesundheit direkt zu verschreiben. Folgt ihm der Ständerat, könnte das Betäubungsmittelgesetz entsprechend angepasst werden. Doch Mestrangelo hat nicht primär den Schweizer Heimmarkt im Visier, sondern Deutschland, wo Medizinalcannabis seit 2017 in Apotheken legal bezogen werden kann. (Lesen Sie hierzu mehr)
Mestrangelo hat 2019 in Nordmazedonien eine Produktions- und Verarbeitungsanlage aufgebaut und plant mit dem zusätzlichen Kapital einen grossen Ausbau der Kapazitäten. Vom Gesundheitsministerium hat er eine Produktionslizenz ohne Einschränkungen bezüglich Menge und Wirkstoffgehalt erhalten. Doch damit seine Produkte in EU-Ländern wie Deutschland zugelassen werden, braucht er eine Zertifizierung nach GMP-Standards (Good Manufacturing Practice), was zeit- und kostspielig ist.
Der Markt sei derzeit noch klein und unübersichtlich, viele Ärzte müssten zuerst vom Potenzial des Wirkstoffs überzeugt werden, sagt Mestrangelo. Derzeit gäben vor allem kanadische Firmen den Ton an. Er und sein Team setzten aber alles daran, möglichst rasch eine wichtige Rolle zu spielen in diesem Wachstumsmarkt. Mittelfristig schwebt ihm vor, nicht nur die Grosshändler zu beliefern, sondern eine firmeneigene Schmerzklinik zu betreiben. Denn nach mehrjähriger Recherche und Gesprächen mit vielen Ärzten ist Mestrangelo überzeugt, dass THC speziell bei chronischen Schmerzpatienten und Spastikern besser und sanfter wirkt als klassische Schmerzmittel wie Opiate.
Erst Millionär, dann pleite
Obwohl Ivan Mestrangelo erst 29-jährig ist, hat er bereits eine beachtliche Unternehmerlaufbahn vorzuweisen. Schon in der Schulzeit hat der Sohn italienischer Einwanderer alles daran gesetzt, möglichst rasch der Armut zu entkommen. Der Schmerz darüber, dass der Vater die Familie früh verlassen hatte und er von einer Tagesmutter betreut wurde, stachelte seinen Ehrgeiz an. Mit 13 Jahren wusch er im Quartier die Autos, bald darauf besserte er mit diversen Nebenjobs seinen Maurer-Lehrlingslohn auf und mit 18 kaufte er sich das erste Auto, dann zwei weitere und eine Wohnung.
Reich geworden ist Mestrangelo als Teenager mit dem Einkauf und Vertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln. Selber Kraftsportler seit seinem 13. Lebensjahr, importierte er aus Asien Kreatin, Protein, Vitamin C und Aminosäuren im grossen Stil und verkaufte das Kraftfutter gewinnbringend an Grosshändler und Shops weiter. So wurde er laut eigener Aussage noch vor seinem 20. Geburtstag zum Selfmade-Millionär. Keine drei Jahre später war er allerdings so pleite, dass er wieder bei der Mutter einziehen musste – eine prägende Erfahrung, die ihn gelehrt hat, fortan auf ein paar grundlegende Dinge wie die Budgetplanung, die Überwachung des Geldflusses und das Anlegen von Reserven zu achten.
Von der Fussoperation zum Cannabis
In den letzten Jahren hat Mestrangelo parallel mehrere Gastrobetriebe und ein Bauunternehmen geführt und so das Geld für das Cannabisabenteuer gespart. Für Medizinalcannabis begann er sich zu interessieren, als er sich 2018 nach einer Fussoperation nach wirksamen Therapieformen ohne Nebenwirkungen umsah. Das Interesse hielt auch dann noch an, als die Fussverletzung verheilt war. Mestrangelo besuchte internationale Kongresse, traf Experten, landete schliesslich in der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje an der Universität und gründete dort schon am dritten Tag die Firma, die heute als Tochterbetrieb der Schweizer Holding Cannabis anbaut und zu THC-Präparaten verarbeitet.
Sein starker Wille und seine Unternehmererfahrung würden ihm helfen, im Wettrennen um die beste Marktposition zu bestehen, glaubt Mestrangelo. Am Einsatz wird es nicht scheitern. Der 29-Jährige sagt, er beginne sein Tagwerk stets um 5 Uhr und arbeite in Spitzenzeiten bis zu 100 Stunden pro Woche – und zwar ohne pharmazeutisches Doping.
* Mathias Morgenthaler war Wirtschaftsredaktor bei Tamedia und ist heute als Autor, Coach und Referent tätig. Er ist Autor der Bestseller «Aussteigen – Umsteigen» und «Out of the Box» und Betreiber des Portals www.beruf-berufung.ch
Fehler gefunden?Jetzt melden.