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Cannabis-Legalisierung ist erst der Anfang
Das stille Ende des Kriegs gegen die Drogen

Der Anbau und Handel mit Cannabis ist in vielen Bundesstaaten ein Geschäft, das Millionen an Steuereinnahmen bringt: Arbeiter auf einer Hanfplantage in Colorado.
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Als der grosse Tag dann da war, als ein langer Abstimmungskampf endlich zu Ende ging, war Matthew Schweich nervös. Wie auch nicht? «Hey, das ist South Dakota, eine konservative Gegend», sagt der Aktivist. «Aber wir haben es geschafft.»

South Dakota ist Trump-Land. Am 3. November gaben 62 Prozent der Wähler des Bundesstaates ihre Stimme dem US-Präsidenten. Das war nicht überraschend. Doch gleichzeitig stimmten sie eben auch mit deutlicher Mehrheit zwei Verfassungsänderungen zu, mit denen der Konsum von Cannabis legalisiert wird, sowohl für medizinische Zwecke wie auch für den Freizeitgebrauch. Das dagegen war sehr überraschend, zumindest für Aussenstehende.

Nicht aber für Matthew Schweich, den stellvertretenden Direktor der Lobbyorganisation Marijuana Policy Project, der sich für die Volksinitiativen eingesetzt hat. «Ich habe schon an vielen Kampagnen mitgearbeitet», sagt er, «aber selten habe ich eine solche Energie gespürt wie hier. South Dakota hat Geschichte geschrieben.»

Eine kleine Revolution – wegen der direkten Demokratie

Und nicht nur South Dakota. In Montana wählten immerhin 57 Prozent der Bürger Trump, und auch dort stimmte eine Mehrheit am gleichen Tag für die Legalisierung von Cannabis. In Arizona und New Jersey sprachen sich die Bürger am 3. November ebenfalls für eine Legalisierung aus. Selbst in Mississippi, einer der konservativsten Ecken des Landes, stimmten die Bürger der Nutzung von Cannabis zu medizinischen Zwecken zu.

Es ist eine kleine Revolution, die sich da vollzieht – das stille Ende des «war on drugs», des Kriegs gegen die Drogen, den US-Präsident Richard Nixon vor bald 50 Jahren ausgerufen hatte. Ein Krieg, der das Land Unsummen gekostet, zu einem massiven Ausbau des Gefängniswesens geführt und doch keine Drogenepidemie verhindert hat.

Still endet der Krieg, weil es keine zentrale Entscheidung gegeben hat, ihn einzustellen. Doch in den Bundesstaaten entsteht – über die direkte Demokratie – eine neue Realität.

Jeder dritte Amerikaner, so hat es das Webmagazin «Politico» vorgerechnet, lebt inzwischen in einem Bundesstaat, in dem der Gebrauch von Cannabis ganz legal ist. In 38 von 50 Bundesstaaten ist er inzwischen für medizinische Zwecke erlaubt.

Sogar «Zauberpilze» zugelassen

Und es bleibt nicht bei Cannabis: In Oregon beschlossen die Bürger am 3. November, auch harte Drogen wie Heroin und Kokain zu entkriminalisieren. Der Besitz von kleinen Mengen gilt dort künftig nicht mehr als Verbrechen, sondern als Vergehen, das mit Busse statt mit Haft bestraft wird.

Gleichzeitig stimmten die Bürger in Oregon sowie in der Hauptstadt Washington der Legalisierung von Psilocybin zu, dem Wirkstoff, der in sogenannten Zauberpilzen enthalten ist. Diese dürfen künftig in überwachten Therapien zum Einsatz kommen.

Eine Welle der Legalisierung also, von Küste zu Küste. Diese werde sich in den nächsten Jahren fortsetzen, glaubt Mason Marks, Spezialist für Gesundheitsrecht an der Harvard-Universität. Die Einstellung zu Drogen sei keine Frage der parteipolitischen Zugehörigkeit mehr, besonders, was Cannabis angehe.

68 Prozent der Amerikaner unterstützen die Legalisierung von Cannabis – eine Mehrheit, wie es sie nur für wenige Themen gibt.

Tatsächlich unterstützen nach einer Umfrage des Gallup-Instituts 68 Prozent der Amerikaner die Legalisierung von Cannabis – eine Mehrheit, wie es sie in den gespaltenen USA für wenig andere politische Forderungen gibt. Selbst die Hälfte der republikanischen Parteigänger spricht sich dafür aus.

Der republikanische Cannabis-Lobbyist

Festmachen lässt sich dieser Sinneswandel an John Boehner. Der frühere republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses ist in Washington bekannt für seine Liebe zu Zigarren und Rotwein, doch von einer Legalisierung von Cannabis wollte er nie etwas wissen – bis er 2018 im Verwaltungsrat eines Cannabis-Unternehmens Platz nahm. «Meine Ansichten über Cannabis haben sich weiterentwickelt», twitterte er.

Boehner setzt sich nun für eine Legalisierung ein und verspricht Investoren in Werbevideos, dass sie in der Cannabis-Branche «ein Vermögen» verdienen könnten.

Es geht dabei natürlich um Geld, und zwar nicht nur für die Privatwirtschaft. Jene Bundesstaaten, die Cannabis bereits legalisiert haben und den Handel damit besteuern, nehmen Millionen an zusätzlichen Steuern ein, was gerade in der Corona-Krise gelegen kommt.

Die Folgen der Opioid-Epidemie

Aber es geht eben um mehr als Geld. Mit der Corona-Pandemie, die viele Amerikaner in die soziale Isolation treibt, ist auch die Opioid-Krise neu aufgeflammt. Sie wütet besonders in ländlichen Gegenden, und zuletzt sind wieder mehr Menschen nach einer tödlichen Opioid-Überdosis gestorben – eine halbe Million Drogentote waren es in den vergangenen 20 Jahren. Manche Gesundheitsexperten sehen im erleichterten Zugang zu Cannabis eine Alternative zu den Schmerzmitteln und dem Heroin.

Das US-Repräsentantenhaus stimmte Anfang Dezember dafür, Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz zu streichen – ein Schritt mit Symbolwirkung.

Die Opioid-Krise habe das Bewusstsein dafür geschärft, dass der Umgang mit Drogen eine Frage der öffentlichen Gesundheit sein sollte und nicht der Strafjustiz, sagt Jurist Mason Marks, der die Legalisierungsdebatte schon länger verfolgt. Will heissen: Wer regelmässig harte Drogen nimmt, ist in erster Linie krank, nicht kriminell.

In der Debatte über Polizeigewalt sei zudem vielen Amerikanern klar geworden, dass ihre Gefängnisse voll seien mit Leuten, die wegen geringfügiger Drogendelikte dort landeten, sagt Marks. «Viele Amerikaner haben genug von einer Drogenpolitik, die Millionen von Cannabis-Konsumenten kriminalisiert.»

Was macht Joe Biden?

Auf nationaler Ebene wird Cannabis wohl trotzdem noch einige Zeit verboten bleiben. Der designierte Präsident Joe Biden gehörte in den 1990er-Jahren zu den Hardlinern in Drogenfragen, und auch heute will er von einer kompletten Legalisierung von Cannabis nichts wissen. Doch im Wahlkampf sprach sich Biden unter anderem dafür aus, die Strafregistereinträge für den Besitz von Cannabis zu löschen.

Dass sich in Washington auch sonst etwas bewegt, zeigte sich vergangene Woche: Das von den Demokraten beherrschte Repräsentantenhaus stimmte dafür, Cannabis aus dem nationalen Betäubungsmittelgesetz zu streichen. Konkrete Folgen hat dies nicht, da der Senat unter der Führung der Republikaner auf den Gesetzesentwurf nicht eintreten wird.

Viele Beobachter sprechen dennoch von einem Schritt mit Signalwirkung. «Cannabis ist nun Mainstream», kommentierte das Magazin «Prospect», «auf der gleichen Stufe wie Alkohol und Tabak.» Und das ist nach 50 Jahren Krieg gegen die Drogen schon mal etwas.

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