Vorsorgliche BrustamputationWenn die Krankenkassen trotz Krebsrisiko-Gen nicht zahlen
Wegen eines hohen Krebsrisikos liess sich Angelina Jolie vor zehn Jahren die Brüste entfernen. Als Rita Marugg in der Schweiz das Gleiche tat, bekam sie Ärger mit der Versicherung. Das soll sich nun ändern.
Vor gut zwei Jahren erfuhr Rita Marugg, dass sie Trägerin einer speziellen Genmutation ist. Diese geht mit einem mindestens 50-prozentigen Risiko für Brustkrebs einher. Sie hatte sich testen lassen, weil ihre Schwester mit erst 39 Jahren an Brustkrebs erkrankt war. Auch bei ihr fiel der Test positiv aus. Zudem starb im selben Jahr eine enge Verwandte an einem Brustkarzinom.
Die Ärzte rieten Rita Marugg zu einer vorsorglichen Operation, bei der das Drüsengewebe beider Brüste entfernt wird. Sie zögerte nicht lange. «Das Risiko war mir viel zu hoch», sagt die 43-Jährige. «Ich wollte den Eingriff so bald wie möglich vornehmen lassen.» Die Alternative wären engmaschige Kontrollen gewesen – also etwa zweimal jährlich Mammografien plus gelegentliche Untersuchungen im Magnetresonanztomografen (MRI). Beim kleinsten Befund wäre eine Chemotherapie nötig gewesen. Wie beschwerlich die Behandlung einer Krebserkrankung ist, hatte Marugg bei ihrer Schwester hautnah miterlebt.
Günstiger als Krebstherapie
Die Brustentfernung (Mastektomie) wegen hohen Krebsrisikos ist vor zehn Jahren zu einem grossen Thema geworden. Damals machte die amerikanische Schauspielerin Angelina Jolie mit 37 Jahren öffentlich, dass sie den Eingriff vornehmen liess. Bei ihr war eine Mutation im BRCA1-Gen entdeckt worden, die ihr Brustkrebsrisiko erhöhte.
In der Schweiz müssen die Krankenkassen die vorsorgliche Operation bei Mutationen im BRCA1- oder im BRCA2-Gen bezahlen. Doch in Rita Maruggs Familie wird eine Mutation in einem anderen Gen mit Namen PALB2 vererbt, die das Risiko jedoch gleichermassen erhöht. Ihre Krankenkasse wollte die Kosten nicht übernehmen.
Während die präventive Operation auf rund 25’000 Franken veranschlagt wurde, kann eine Brustkrebstherapie auf über 100’000 Franken zu stehen kommen.
Sie selbst habe damals keine Energie gehabt, mit der Versicherung zu streiten, sagt Marugg. Die Ungewissheit, ob die Kasse schliesslich doch noch bezahlen würde, sei zusätzlich belastend gewesen. «Ich fragte mich, ob ich unser Familienbudget so stark strapazieren darf», erzählt die zweifache Mutter. Deshalb war es ihr Mann, der mit dem Chef der Krankenkassen-Regionalvertretung Kontakt aufnahm und versuchte, ihn umzustimmen. Unter anderem argumentierte er mit den Kosten: Während die präventive Operation auf rund 25’000 Franken veranschlagt wurde, kann eine Brustkrebstherapie auf über 100’000 Franken zu stehen kommen. Bei einem Verzicht auf den Eingriff wären auch die häufigen Vorsorgeuntersuchungen ziemlich ins Geld gegangen.
Markus Maruggs Bemühungen blieben zunächst erfolglos. «Es kann doch nicht sein, dass sich in der Schweiz nur vermögende Leute diesen sinnvollen Eingriff leisten können», sagt der Bündner, der sich selbst als «a Bitz a stieriga Chopf» mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitsempfinden beschreibt. Schliesslich gelangte er mit einem Brief bis an den CEO der Krankenkasse, und die involvierten Ärzte doppelten mit einem weiteren Schreiben nach, in welchem sie die Wichtigkeit dieser Operation betonten. So liess sich die Krankenversicherung schliesslich überzeugen.
Krebsliga wird aktiv
Der Fall der Familie Marugg veranlasste die Krebsliga, sich dem Thema anzunehmen. Gemeinsam mit der Schweizerischen Gesellschaft für Senologie (SGS) und weiteren Organisationen hat sie beim Bundesamt für Gesundheit einen Antrag zur Anpassung der Krankenpflege-Leistungsverordnung eingereicht. Damit sollen die risikoreduzierenden Operationen künftig allen Personen offenstehen, die aufgrund einer Genmutation ein stark erhöhtes Risiko für Brust- oder Eierstockkrebs haben. Zudem sollen sie vorher eine ausführliche Beratung erhalten.
Gynäkologin Eliane Sarasin unterstützt das Begehren. Auch vielen Ärzten sei nämlich nicht bekannt, dass der Eingriff nicht bei allen Mutationen bezahlt wird, die im Zusammenhang mit Brustkrebs stehen, sagt die Ärztin von Swiss Breast Care in Zürich und am Brustzentrum Seefeld. Somit komme es manchmal nach dem Eingriff zu bösen Überraschungen. Einige Krankenversicherungen seien zwar kulant, andere würden sich stur an den Katalog der Grundversicherung halten. «Wenn Krebs familiär deutlich gehäuft auftritt, vor allem in jungem Alter, und eine stark risikoerhöhende Mutation vorliegt, sollte die Leistung zur Pflicht werden», fordert Sarasin. Das Gesetz hinke, wie so oft, den wissenschaftlichen Erkenntnissen nach. Die Genmutation, die in Rita Maruggs Familie kursiert, sei nämlich noch nicht so lange bekannt.
Auch Väter vererben Mutationen
Eine Mutation im PALB2-Gen ist deutlich seltener als in den Genen BRCA1 und BRCA2, die bei 0,5 bis 0,7 Prozent der Bevölkerung vorkommen. Bei diesen drei handelt es sich um die gefährlichsten Mutationen, die Brustkrebs betreffen, doch insgesamt kennt man fast 20 verschiedene. Wie häufig welche Mutation in der Gesamtbevölkerung auftritt, ist unklar, weil die meisten Menschen sich nicht testen lassen, solange sie gesund sind. Unter Personen, die an Krebs erkrankt sind, wurde aber bei 5 bis 10 Prozent Mutationen nachgewiesen, welche die Risiken für bösartige Tumore in Brüsten, Eierstöcken, Gebärmutter, Darm oder Nieren erhöhen können.
Vor der Empfehlung zu einer Operation müsse jede Person individuell beraten werden, betont Eliane Sarasin. Dasselbe gelte für die Gentests, die in der Schweiz nur unter bestimmten Voraussetzungen von den Kassen vergütet werden. Seit dem Fall Angelina Jolie habe die Test- und Operationsfreudigkeit nämlich stark zugenommen – in den USA noch stärker als in Europa.
Männer bleiben trotz Genmutation häufig gesund. In seltenen Fällen erkranken jedoch auch sie an Brustkrebs oder noch häufiger an Prostatakrebs.
Die Genmutationen werden nicht nur von Mutter zu Tochter weitergegeben, sondern auch über die Väter. Dies könne besonders in männerlastigen Familien übersehen werden, sagt Sarasin. Denn Männer bleiben trotz Genmutation häufig gesund. In seltenen Fällen erkranken jedoch auch sie an Brustkrebs oder noch häufiger an Prostatakrebs. Wichtig findet die Ärztin zudem, dass Mütter, die von einer eigenen Mutation wissen, ihre Töchter informieren. «Das darf kein Tabu sein.»
Auch Rita und Markus Marugg haben eine Tochter und einen Sohn im Jugendalter. Ob sie sich testen lassen wollen, können sie ab dem 21. Altersjahr selbst entscheiden. «Sie haben bei mir gesehen, dass es mir gut geht nach der Operation und ich keine Nachteile habe», sagt Rita Marugg. Ihre Brüste seien zwar nicht mehr so empfindsam wie früher, doch dank der Implantate sehe man ihr nichts an. «Ich habe meinen Entscheid noch keinen Moment bereut.»
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