Schiffsunglück in USA 10 Tage nach dem Brücken-Kollaps klafft in Baltimore eine Wunde
Einer der bedeutendsten US-Häfen ist weitestgehend lahmgelegt. Der grösste Teil des Schadens liegt im Flussbett versunken. Und der Wiederaufbau wird kompliziert.
Selbst am helllichten Tag tasten sie sich durch undurchdringliche Dunkelheit da unten, die Taucher im Patapsco River, zwischen den tonnenschweren Überresten der Francis-Scott-Key-Brücke in Baltimore. Die majestätische Brücke aus Stahl und Beton brach in den frühen Nachtstunden des 26. März zusammen, als das riesige Containerschiff Dali einen ihrer Hauptpfeiler rammte. Die Bilder der verkrümmten und geborstenen Stahlkonstruktion gingen um die Welt.
Für die Augen verborgen geblieben ist der grössere Teil des Schadens, versunken in einer bis zu zwei Meter tiefen Schicht aus Schlick am Grund des Patapsco, einer jener breiten Flüsse, die die ganze flache Ostküste der USA zerfurchen. Das schlammige Wasser verschluckt jedes Licht, im Dunkeln müssen sich die Taucher vorarbeiten, Scheinwerfer würden sie nur blenden, wie bei einer nächtlichen Autofahrt durch einen schweren Schneesturm, beschreibt es das U.S. Army Corps of Engineers, Baltimore District. Jene Einheit des US-Militärs, die immer dann zum Einsatz kommt, wenn in den Vereinigten Staaten das Unglück grossflächig zuschlägt, wie diesmal in Baltimore.
In der Stadt klafft eine Wunde, die einzige Autobahnbrücke über den Patapsco ist unterbrochen, die zwei Tunnel unter dem Fluss sind chronisch überlastet. Gestört ist auch der Betrieb im Hafen von Baltimore, einem wichtigen Knotenpunkt für die Anlieferung von Autos, Lastwagen, Baufahrzeugen und Ersatzteilen für die ganze US-Ostküste, täglich wurden hier Waren im Wert von 200 Millionen Dollar umgeschlagen. Nur eines der Hafenterminals liegt ausserhalb der eingestürzten Brücke. Lahmgelegt ist hingegen der innere, grössere Hafenbereich mit seinen 8000 Jobs. 1300 Hafenarbeiter hätten bereits ihre Stelle verloren, berichtete der Sender NPR.
Nur zwei der sechs Todesopfer wurden bislang geborgen
Besonders getroffen hat das Unglück die Latino-Gemeinde. Sechs Männer kamen bei dem Einsturz der Brücke ums Leben, Bauarbeiter aus Mexiko, Guatemala, El Salvador und Honduras, die zum Zeitpunkt des Aufpralls damit beschäftigt waren, Schlaglöcher in den Fahrspuren auszubessern. Nur zwei der Opfer wurden bisher geborgen, die Suche nach den anderen vier Leichen läuft, aber Priorität haben für die Behörden die Aufräumarbeiten. Wie lange diese dauern werden, wagt noch niemand abzuschätzen.
Inzwischen haben die Ingenieure der Armee zwei Notzufahrten freigeräumt, schmale Kanäle mit 3,3 Metern Tiefgang, weit weniger als die 15 Meter, die für die grossen Frachtschiffe nötig wären, befreit haben sie nur ein paar kleinere Boote, die im Hafen von Baltimore festsassen. Von «chaotischen Trümmern» sprach diese Woche der Gouverneur des Staats Maryland, Wes Moore, bei einer Pressekonferenz. Die Aufräumarbeiten würden viel komplizierter als ohnehin schon befürchtet, warnte er. Einen Zeitplan für den Wiederaufbau der für Baltimore so wichtigen Brücke gibt es damit ebenfalls noch nicht, es ist von mehreren Jahren auszugehen.
Kosten von mehreren Hundert Millionen Dollar
Am Freitag wird US-Präsident Joe Biden von Washington die 60 Kilometer nach Baltimore reisen und die Unfallstelle besuchen. Er wird den Menschen in der Nachbarstadt sein Mitgefühl ausdrücken und weitere Hilfe des Bundes versprechen. Hilfe werden die Stadt Baltimore und der Staat Maryland benötigen; die Kosten für die Bergungsarbeiten und den Neubau der Brücke werden auf mehrere Hundert Millionen Dollar geschätzt, doch so genau weiss das bisher noch niemand. Klar ist nur, dass der Staat für einen Grossteil der Summe aufkommen müssen wird. Biden verspricht, Washington werde die Rechnung übernehmen. Er bekräftigt auch, er werde versuchen, Private zu belangen, um die Steuerzahler zu entlasten. Ob das gelingen wird, ist mehr als fraglich.
Die Betreiber des Containerschiffs Dali, zwei Firmen in Singapur, haben bei den lokalen US-Gerichten bereits beantragt, ihre Haftung zu beschränken. Geradestehen wollen sie nur für eine Summe, die dem Wert der Dali und ihrer Ladung entspricht, rund 40 Millionen Dollar, basierend auf einem Gesetz aus dem 19. Jahrhundert, das die amerikanischen Reeder vor ruinösen Haftungsansprüchen nach Stürmen und Piratenangriffen schützen sollte.
Auf viele offene Fragen haben Gouverneur Wes Moore und Präsident Joe Biden noch keine Antworten zu bieten. Etwa, warum auf der Dali der Strom ausfiel und der mehr als 100’000 Tonnen schwere Frachter den Brückenpfeiler rammte. Oder warum die Francis-Scott-Key-Brücke nur winzig kleine Schutzeinrichtungen für ihre Pfeiler besass – anders als die meisten anderen Brücken im Land, die von massiven Fels- oder Betoninseln geschützt sind (lesen Sie hier, wie Brücken geschützt werden). Warum der Staat Maryland nicht früher die Brücke über die wichtige Hafeneinfahrt von Baltimore sicherte, obwohl er wusste, dass sie sanierungsbedürftig war. Leider hätten die Behörden die Sicherheit zu lange für selbstverständlich betrachtet, sagte Roberto Leon, Professor für Baustatik an der Hochschule Virginia Tech, in einem Interview mit dem Radiosender NPR. «Wir haben die nötigen Unterhaltsarbeiten und Verbesserungen nicht gemacht. Und das ist das Resultat.»
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