Premiere bei Börsengang Bringen sie Londons Finanzplatz zurück auf die Beine?
Als erste Firma geht das Fintech-Start-up Wise per «Direct Listing» an den Londoner Aktienmarkt. Experten sprechen von einem Wendepunkt.
In den Nullerjahren arbeitete Kristo Käärmann bei einer Unternehmensberatung in London. Tolle Stadt, toller Job, nur eines ging ihm wahnsinnig auf die Nerven: Immer wenn er Geld von seinem britischen Konto in seine Heimat Estland überweisen wollte, musste er ziemlich hohe Gebühren zahlen.
Und damit nicht genug: Die Bank setzte einen Wechselkurs an, der mit der Realität nicht viel zu tun hatte. Unter dem Strich verlor Käärmann bei jeder Überweisung von seinem britischen Pfund-Konto auf sein estnisches Euro-Konto einiges an Geld. (Zum Thema: Benachteiligte Onlinebanken gehen gegen Diskriminierung vor)
Es dauerte nicht lange, da merkte er, dass er nicht allein war mit seinem Frust. 2010 gründete er mit einem Gleichgesinnten das Fintech TransferWise, das Zahlungen zwischen verschiedenen Währungsräumen kostengünstiger abwickelt als die meisten Banken. Seitdem ist ein Jahrzehnt vergangen, die Firma heisst inzwischen Wise und schreibt nach eigenen Angaben seit 2017 schwarze Zahlen.
10 statt 6 Milliarden Euro
Am Mittwoch wagte Wise nun den nächsten Schritt: Das Unternehmen ging in London an die Börse. Ursprünglich wurde in Finanzplatz-Kreisen mit einer Marktkapitalisierung von umgerechnet rund 6 Milliarden Franken gerechnet, doch im Laufe des Tages wurde dann klar: Der tatsächliche Börsenwert liegt bei etwa 10 Milliarden Franken.
Für die London Stock Exchange war der Börsengang von Wise eine Premiere: Das Fintech ist das erste Unternehmen, das es in der britischen Hauptstadt via «Direct Listing» probierte. Bei einer solchen Direktplatzierung werden keine neuen Aktien ausgegeben, sondern in den Handel kommen nur Papiere, die bestehende Aktionäre verkaufen. Wise sammelt dabei kein frisches Geld ein. An der Wallstreet ist diese Methode nicht neu. Dort wählten bereits die Unternehmen Spotify und Slack diesen Weg.
Was in New York zur Routine gehört, ist für London Neuland. Wise ist die erste grosse Fintech-Notierung dieser Art in Europa. Alasdair Haynes, Vorstandschef der Aktienhandelsplattform Aquis Exchange, spricht von einem «Wendepunkt» für London.
«Eine Schwalbe macht zwar noch keinen Sommer, aber innovative Deals dieser Art werden dazu beitragen, Grossbritannien als globales Drehkreuz zu etablieren, das mit den USA konkurrieren kann», sagte er der Nachrichtenagentur «Bloomberg».
Gerade nach dem gefloppten Börsengang des Lieferservices Deliveroo im Frühjahr braucht der Finanzplatz London gute Nachrichten. Vor allem die britische Regierung ist nach dem Brexit bemüht, Investoren anzulocken.
Schatzkanzler Rishi Sunak kündigte in der vergangenen Woche an, London zum «fortschrittlichsten und aufregendsten Finanzdienstleistungszentrum der Welt» zu machen. So sollen etwa Zulassungsvorschriften für Börsengänge gelockert werden. Nach dem Brexit muss London mehr denn je um seine Bedeutung als internationaler Finanzplatz kämpfen.
Grosse Versprechen
«Wir haben uns bewusst gegen einen traditionellen Börsengang entschieden», sagt Käärmann per Videotelefonat aus Tallinn. In der estnischen Hauptstadt arbeiten etwa 1000 der insgesamt 2400 Angestellten bei Wise. Siebzehn Standorte gibt es weltweit. In London sind gut 500 Menschen beschäftigt.
Dann erklärt er, was sein Unternehmen ausmacht. Mit Wise sollen Menschen kostengünstig Geld in andere Währungen wechseln können. Das heisst: Wise verspricht keine versteckten Wechselkursaufschläge, dafür schnelle Überweisungen und vor allem Transparenz. Wer über Wise etwa Geld von einem Schweizer Konto auf ein britisches Konto transferiert, erfährt vor der Überweisung, wie viel das kostet.
Am Donnerstag veröffentlichte das Fintech noch eine in Auftrag gegebene Studie, die Käärmanns Argumente untermauern soll. Demnach zahlen Menschen weltweit 190 Milliarden Franken pro Jahr an versteckten Gebühren für Fremdwährungstransfers. Ein gutes Geschäft für die Banken. Doch genau das will Wise den etablierten Instituten kaputtmachen, indem es die Dienstleistungen günstiger anbietet.
Auch Kunden in der Schweiz
Nach eigenen Angaben hat Wise derzeit zehn Millionen Kunden. Monatlich werden grenzüberschreitende Geldtransfers in Höhe von über 6 Milliarden Franken abgewickelt. Der Marktanteil am weltweiten grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr liegt derzeit bei 2,5 Prozent. Für Käärmann bedeutet das: noch viel Luft nach oben.
Neben den Geldtransfers bietet Wise auch ein Multi-Währungs-Konto an, über das Kunden lokale Bankverbindungen in Pfund, Euro, US-Dollar und anderen Währungen – nicht aber Franken – erhalten. Wise stellt seine Plattform auch Banken zur Verfügung. In der Schweiz setzen etwa die beiden Onlinebanken Neon und Yapeal auf Wise, in Deutschland hat N26 die Plattform integriert. Geht es nach Käärmann, sollen weitere folgen.
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