Dramatischer ZwischenfallNeue Boeing-Managerinnen sollen 737-Krise in den Griff bekommen
Der US-Luftfahrtkonzern steckt nach vielen Pannen in einer tiefen Krise. Nun soll ein Umbau in der Chefetage die Wende bringen.
Bei der Singapore Airshow tauchte in diesen Tagen gelegentlich die Frage auf, wo denn eigentlich Stan Deal sei. Schliesslich ist die Veranstaltung Asiens grösste Luftfahrtveranstaltung des Jahres, die Region einer der zwei wichtigsten Märkte für den amerikanischen Flugzeughersteller Boeing. Aber Deal, Chef der Boeing-Zivilflugzeugsparte, liess sich nicht blicken, weder in den Chalets, in denen normalerweise die Verkaufsverhandlungen stattfinden, noch in den Messehallen. Gut angekommen ist das bei den Gastgebern nicht.
Immerhin ist seit dem späten Mittwochabend klar, dass Deal zu Hause andere wichtige Dinge zu regeln hatte. In einem Schreiben an die Mitarbeiter kündigte er einen ziemlich radikalen Umbau seines Managements an. Den Chef des 737-Programmes, Ed Clark, verabschiedete er zwar mit freundlichen Worten, aber unter dem Strich war es wohl doch ein Rauswurf.
Elisabeth Lund, die bislang für die Produktion aller zivilen Flugzeuge zuständig war, wird neue Qualitätsoberaufseherin, ihre Vorgängerin scheint das Unternehmen auch verlassen zu müssen, obwohl das so nicht explizit in dem Memo steht.
Katie Ringgold, die Nachfolgerin Clarks an der Spitze des 737-Programmes, arbeitet seit zwölf Jahren bei Boeing. Sie war bislang für die Auslieferungen aus dem Werk in Renton im US-Bundesstaat Washington verantwortlich.
Seit Jahren plagen Qualitätsmängel die 737-Reihe
Die Änderungen haben mit der dramatischen Krise zu tun, in der sich Boeing gerade befindet. Zuletzt war Anfang Januar eine Türfüllung einer 737-9 der Alaska Airlines mitten im Flug herausgefallen, weil Boeing-Techniker vergessen hatten, diese nach einer Reparatur wieder ordentlich mit Schrauben zu befestigen. Nur mit viel Glück passierte bei dem Unfall nichts Schlimmeres.
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Seit Jahren plagen Qualitätsmängel die 737-Baureihe, die zudem gegenüber dem Airbus A320neo stark an Marktanteilen verloren hat, weil sich im Segment der Kurz- und Mittelstreckenjets die Nachfrage stark hin zu den grösseren Varianten verschoben hat. Dort ist die 737 vielen Kunden wegen ihrer geringeren Reichweite nicht gut genug.
Und natürlich ist das Image weiter belastet wegen der beiden Abstürze von Lion Air und Ethiopian, bei denen 2018 und 2019 346 Menschen ums Leben gekommen sind. Boeing hatte hastig eine neue Flugsteuerungssoftware eingebaut, ohne die Piloten angemessen zu schulen. Mittlerweile hat das Unternehmen die Software stark entschärft.
Schon längst gilt auch der Boeing-Chef als angezählt
Als Konsequenz der letzten Panne hat die amerikanische Luftfahrtbehörde Federal Aviation Administration (FAA) durchgegriffen: Boeing darf bis auf weiteres pro Monat nicht mehr als 38 Exemplare der 737 produzieren – Airbus lag 2023 bei durchschnittlich 48 Maschinen der A320neo-Familie und will bis 2026 auf 75 wachsen. Die FAA untersucht zudem derzeit die Produktion Boeings in mehreren Werken und versucht, Mängel ausfindig zu machen. Ein detaillierter Bericht wird in einigen Wochen erwartet.
In diesem Zusammenhang muss man auch die jüngsten Personalentscheidungen sehen. Ganz offensichtlich will Deal der FAA demonstrieren, dass Boeing einschneidende Änderungen vornimmt. Er tut das sicherlich nicht ohne Eigennutz. Denn schon längst gilt Deal als stark angezählt. In der Branche kursieren immer wieder Gerüchte, dass der Boeing-Boss angeblich gehen muss. Seit fast fünf Jahren hält er sich in dem Job, den er nach den beiden Unfällen übernommen hat, angesichts des allgegenwärtigen Dramas eine lange Zeit.
Die Frage ist nun, ob er sich mit den Personalien Clark und Lund wirklich genügend Freiraum geschaffen hat. Das FAA-Audit dürfte weitere Peinlichkeiten zu Produktionsmängeln zutage fördern, die er als Chef der Sparte letztlich zu verantworten hat. Und neu ist die Idee, Spitzenmanager in der Organisation auszutauschen, auch nicht: In den letzten sechs Jahren wurde das 737-Programm von fünf verschiedenen Chefs geführt, ohne dass dies nach aussen erkennbar zu wesentlichen Verbesserungen geführt hat.
Neue Position für Qualitätskontrolle
Die US-Unfallermittlungsbehörde NTSB geht nach einer mehrwöchigen Untersuchung davon aus, dass an dem Fragment Befestigungsbolzen fehlten. Ringgold übernimmt von Clark auch die Führung der Fabrik in Renton im Bundesstaat Washington, in der die Maschinen montiert werden. Der Zwischenfall setzte Boeing unter Druck, rasch die Qualitätskontrollen zu verbessern.
Boeing schafft nun eine neue Position im Topmanagement der Verkehrsflugzeug-Sparte. Elizabeth Lund werde sich um Qualitätskontrolle sowohl im Konzern als auch bei Zulieferern kümmern, schrieb Spartenchef Stan Deal in einer E-Mail an die Mitarbeiter. Sie beaufsichtigte zuvor die Produktion aller Passagierflugzeuge von Boeing. Der Rumpf der 737-Max-Modelle wird hauptsächlich vom Zulieferer Spirit Aerosystems gebaut.
Ausbau der Produktion gestoppt
Boeing sei darauf fokussiert, dass jedes ausgelieferte Flugzeug die Qualitäts- und Sicherheitsvorgaben erfülle oder übertreffe, versicherte Deal. Im 737-Programm hatte es unter anderem auch Probleme mit falsch gebohrten Löchern im Rumpf gegeben.
Die US-Luftfahrtaufsicht FAA inspiziert die Boeing-Produktion und stoppte nach dem Zwischenfall bis auf weiteres Pläne des Flugzeugbauers, die Produktion der 737-Max-Modelle auszubauen. Der Konzern braucht das, um die Auftragsbücher abzuarbeiten. Die Kunden müssen sich bereits auf lange Wartezeiten einstellen.
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