Papablog: Corona und FremdbetreuungBitte keine Kitaschliessung!
Winterkälte und Wut statt Frühlingswetter und Solidarität: Was ein weiterer Lockdown für unseren Papablogger bedeuten würde.
Zugegeben, es ist paradox. Mein Wohnort liegt in Deutschland und gehört zu den derzeitigen Hotspots der zweiten Coronawelle. 145 Neuinfektionen pro 100’000 Einwohner in den letzten sieben Tagen. Zwei Häuser von unserer Wohnung entfernt gibt es eine Artpraxis, die Coronatests durchs Fenster anbietet. Jeden Morgen führt die Schlange der Testwilligen einmal um den Block.
Das Virus kommt meiner Familie derzeit also nah wie nie zuvor. Öfter als sonst fühle ich meinen Kindern an der Stirn herum, jedes Husten kommt mir verdächtig vor. Trotzdem ist unsere grösste Angst nicht, dass wir uns anstecken könnten. Wovor meiner Freundin und mir wirklich graut, ist eine abermalige Schliessung der Kitas.
Überforderung, Wut und Existenzängste
Strenggenommen gab es bisher keinen Lockdown in Deutschland – wie auch in der Schweiz nicht. Als sich das Coronoavirus im März erstmals ausbreitete, mussten Restaurants, Sportvereine und viele Unternehmen zwar zunächst ihren Betrieb herunterfahren und sogenannte Kontaktbeschränkungen wurden eingeführt. Die Menschen konnten sich aber weiterhin frei bewegen und sogar demonstrieren, etwa für die Black-Lives-Matter-Bewegung oder gegen die angeblich freiheitsberaubenden Coronamassnahmen der Regierung. Weil auch Schulen und Kitas geschlossen wurden, ergaben sich im Frühling vor allem für Alleinerziehende, vollumfänglich berufstätige und sozial schlechter gestellte Eltern aber doch Lockdown-ähnliche Umstände.
Ab Mitte März betreuten wir unsere Kinder zu Hause und versuchten nebenher den Arbeitsalltag aufrechtzuerhalten. Das klappte vor allem, weil wir zu zweit sind und unsere Jobs flexibel gestalten können. Von Eltern in weniger privilegierter Position hörte ich andere Geschichten: Überforderung, Wut, Weinkrämpfe, Existenzängste. Verständnislose Chefs und planlose Politiker, belastende Monate für alle Mitglieder der Familie. Obwohl wir uns vergleichsweise gut hielten, waren auch meine Partnerin und ich froh, als uns nach sechs Wochen ein Notbetreuungsplatz zugesprochen wurde. Zumindest unser älterer Sohn konnte nun wieder drei Tage pro Woche zur Kita gehen.
Notbetrieb
Dort hatte sich einiges verändert, im Kleinen wie im Grossen. Es gibt nun separate Eingänge für beide Gruppen der Einrichtung. Neben der Haustür hängt ein Desinfektionsmittelspender, maximal vier Eltern dürfen die Kita gleichzeitig betreten und sind angehalten, die Verabschiedung möglichst schnell über die Bühne zu bringen. Nur wenige Kinder erfüllten zunächst die Auflagen der Notbetreuung, erst nach und nach kamen wieder mehr Betrieb und Leben ins Haus. Ausflüge, Turn- und Musikprogramm wurden bis in den Hochsommer weitgehend gestrichen, der erste Elternabend zu Coronazeiten fand als überdimensionierter Stuhlkreis im Hinterhof der Kita statt.
Schnell bemerkte ich, dass sich nicht nur Kleinigkeiten verändert hatten. Eine neue Stimmung war eingekehrt, einerseits zwischen den Eltern, andererseits zwischen Eltern, Erzieherinnen und Vorstand der Einrichtung. Viele Mütter und Väter hatten sich während der Schliesszeit schlecht informiert gefühlt über neue Entwicklungen. Einige hatten sich mehr digitale Angebote gewünscht, zum Beispiel Bastelanleitungen via Zoom, was die Erzieherinnen ablehnten. Andere Eltern verstanden nicht, warum ihr Kind keine Notbetreuung erhielt. Fast alle waren verärgert, als kurz nach der ausserplanmässigen Schliesszeit die regulären Sommerferien begannen und nur eine Erzieherin bereit war, Ferienbetreuung anzubieten.
Verglichen mit anderen Kitas schien unsere jedoch einen eher moderten Coronakurs zu fahren. Ich hatte von Einrichtungen gehört, in denen die einzelnen Gruppen voneinander isoliert wurden. Geschwisterkinder mussten prinzipiell gemeinsam betreut werden, ungeachtet des Altersunterschieds, der sich in den neu zusammengesetzten Gruppen ergab. Beim kleinsten Anzeichen eines Schnupfens wurden Kinder nach Hause geschickt. Ich nahm diese Geschichten mit zwiespältigen Gefühlen zur Kenntnis. Einerseits schienen andere Kitas mehr zu tun, um Ansteckungen zu vermeiden. Andererseits ermöglichte unsere Kita den Kindern einen weitgehend uneingeschränkten Alltag.
Zurück auf Normal
Nach den Sommerferien kehrte für einige Wochen sogar Normalität in die Kitaabläufe zurück. Die Kommunikation zwischen Erzieherinnen und Eltern funktionierte nun besser, auch wenn noch immer nicht alles so demokratisch entschieden wurde, wie sich manche Eltern das wünschten. Als die Frage aufkam, ob Ausflüge nun auch wieder mit Busfahrten verbunden werden sollten, stimmten die meisten Eltern zu, wünschten sich jedoch Maskenpflicht und zusätzliche Hygienemassnahmen für ihre Kinder. Eine Massnahme, die die Erzieherinnen nicht umsetzen wollten. Es blieb erst einmal bei Spaziergängen zum nächstgelegenen Spielplatz.
Nun ist der Herbst da und auch das Coronavirus wieder zurück. Bei uns und in der Schweiz produziert die zweite Welle täglich Fallzahlen, die weit über denen des Frühjahrs liegen. Anders als damals stehen Primarschul- und Kitaschliessungen bisher jedoch nicht auf der Agenda der Gegenmassnahmen. Die Politik hat offensichtlich registriert, dass ihr Umgang mit jungen Familien während der ersten Welle grossen Unmut ausgelöst hatte. Viele Eltern haben nicht vergessen, dass längst wieder Fussballspiele stattfanden und offene Biergärten und Schlachthöfe das Virus verbreiteten, während von Familien verlangt wurde, noch eine Zeit lang im Homeoffice mit selbst organisierter Kinderbetreuung durchzuhalten.
Aufgeheizte Stimmung
Die Entwicklung der Infektionszahlen wird in den nächsten Tagen zeigen, ob sich das Ruder auch mit weniger grossen Einschnitten und mehr Vertrauen in die Vernunft und Selbsteinschränkung der Bevölkerung herumreissen lässt. Sollte das nicht der Fall sein, könnten auch Schul- und Kitaschliessungen wieder zur Option werden. Davor graut nicht nur meiner Freundin und mir – zumal sich bei vielen Eltern der Eindruck verfestigt hat, dass Betreuungs- und Bildungseinrichtungen sowie Politik in den vergangenen sieben Monaten kaum Konzepte für diesen Fall entwickelt haben.
Die Stimmung dürfte sich bei einem Lockdown ohnehin schneller aufheizen als während der Phase der ersten Kontaktbeschränkungen im Frühling. Niemand hat mehr Lust, sich die Zeit mit gut gemeinten Kulturtipps und Sauerteigrezepten zu vertreiben. Viele haben am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, in Kurzarbeit geschickt zu werden – oder zu Hause weiterzuarbeiten, während die Kinder in Telefonkonferenzen und Zoom-Meetings dazwischenpfuschen. Deshalb wird es im Fall erneuter Kitaschliessungen auch um Fragen der Verantwortung gehen.
Die Schlüsselfragen des Winters
Darf man Grosseltern in die Kinderbetreuung einbeziehen, obwohl gerade ältere Menschen vor dem Virus geschützt werden müssen? Ist die Betreuung in privat organisierten Kleingruppen vertretbar oder ginge auch davon ein zu hohes Infektionsrisiko aus? Kann ein Kind mit leichten Erkältungssymptomen in die Kita gehen oder muss es aus Gründen der Vorsicht unbedingt zuhause bleiben?
Für Eltern könnten das die Schlüsselfragen des Winters werden. Vieles deutet in der aktuellen Situation darauf hin. Es kann aber nicht allein ihre Aufgabe sein, Antworten zu finden. Auch umsichtige Arbeitgeber und politische Entscheidungsträger stehen weiterhin in der Pflicht.
Lesen Sie morgen an dieser Stelle, wie Familien-Weihnachten dieses Jahr aussehen könnten.
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