Kommentar zum WEF Warum Davos kein richtiges Diskussionsforum ist
Am WEF 2024 ging es so politisch und kontrovers zu wie schon lange nicht mehr. Doch viele Teilnehmende suchten – zumindest auf der Bühne – Aufmerksamkeit statt Austausch.

Im Davoser Kongresszentrum und auf der Promenade beginnt das grosse Saubermachen. Metallzäune, Strassensperren und Sicherheitskontrollen werden wieder abgebaut. Genauso die zahlreichen Pavillons von Firmen und Ländervertretungen, die jedes Jahr wie Pilze rund um das World Economic Forum (WEF) aus dem Boden schiessen.
Davos hat seinen normalen Aggregatzustand zurück.
Anders der Rest der Welt.
Das diesjährige Forum war wieder deutlich stärker von der Politik geprägt als in den Jahren zuvor. Die grossen Krisenherde wie die Kriege in der Ukraine und dem Nahen Osten dominierten die Agenda. Zu erfüllen vermochte das Forum die Erwartungen allerdings nur begrenzt. Zu unterschiedlich ging es auf der Bühne zu und her.
So warnte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski zwar eindringlich vor dem russischen Aggressor und beschwor bei seinem Auftritt den Kampf der Ukrainerinnen und Ukrainer auch als eine Verteidigung des Westens. Tags zuvor hatte er mit der Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd und Aussenminister Ignazio Cassis einen Friedensgipfel für die Ukraine angekündigt, den die Schweiz organisiert.
Und auch der israelische Präsident Isaac Herzog verdammte bei seinem Auftritt den Terror der Hamas und nannte den Iran als dessen Unterstützer das «Reich des Bösen». Es gehe bei dem Krieg in Gaza nicht nur um sein Land. Ohne Israel wären Europa und die USA die nächsten Ziele der Terroristen, sagte er.
Zwischendurch wurde es jedoch deutlich kontroverser.
Der argentinische Präsident Javier Milei nutzte die erste Reise nach seiner Wahl ins Ausland dazu, den Sozialismus im grossen Saal des Kongresszentrums nach Kräften zu verdammen und sämtliche staatlichen Eingriffe zu verteufeln.
Der rechtskonservative polnische Präsident Andrzej Duda beklagte sich während einer Diskussion über einen «Terror der Rechtsstaatlichkeit», der nun nach dem Machtwechsel in Polen seiner Meinung nach herrsche.
Und dann gab es auch noch den iranischen Aussenminister Hossein Amir-Abdollahian. Dieser stritt rundweg ab, dass sein Land jemals Drohnen an Russland verkauft habe. Moskau setzt diese massiv im Krieg gegen die Ukraine ein. Angesprochen auf den Beschuss westlicher Schiffe durch Huthi-Rebellen aus dem Jemen, verknüpfte er die Sicherheit im Roten Meer mit den Entwicklungen in Gaza. Und drohte dem Westen: Solange Israel seine «Kriegsverbrechen» dort nicht stoppe, würden alle leiden.
Nacheinander statt miteinander reden
Ob derartige Auftritte dem Motto des Forums entsprechen, darf getrost bezweifelt werden. «Rebuilding Trust» – Vertrauen wieder aufbauen, schrieb sich das WEF in diesem Jahr auf die Fahnen. Ohne Dialog ist das allerdings schwierig. Hier herrscht in Davos Fehlanzeige. Die Staats- und Regierungschefs reden meist doch eher nacheinander und nicht miteinander.
Dass es in Davos Platz für unterschiedliche Ansichten und Positionen geben muss, ist klar. Ebenso klar ist, dass das WEF nur die Plattform bereitstellen kann und es an den Teilnehmerinnen und Teilnehmern liegt, diese zu nutzen oder es zu lassen.
Doch das Agenda-Hopping macht das Forum beliebig. Im Kongresszentrum folgt Rednerin auf Redner, die Themen wechseln andauernd. Echter Austausch kommt bei einer solchen Übungsanlage schwerlich zustande. Zumindest auf den diversen Bühnen des Kongresszentrums. «Davos? Oh, it’s a Zoo», sagte ein hochrangiger Manager eines Schweizer Konzerns dazu. Zu hoffen ist, dass wenigstens von den bilateralen Treffen etwas hängen bleibt.
Die Schweiz nutzt das Zusammenspiel mit der Ukraine
Immerhin ist die Bilanz aus Schweizer Sicht positiv. Der Schweiz ist es gelungen, während des Forums wieder eine stärker wahrnehmbare Rolle zu spielen als auch schon. Im vergangenen Jahr geriet die Schweiz wegen ihrer Haltung, die Weitergabe von Munition in die Ukraine zu ermöglichen, in die Defensive.
Jetzt nutzten Bundespräsidentin Viola Amherd und Aussenminister Ignazio Cassis insbesondere das Zusammenspiel mit der Ukraine, um internationale Anerkennung zu erwerben. Gegen den Friedensgipfel, den die Schweiz für die Ukraine organisieren will, kann zumindest öffentlich niemand anreden.
Was davon Bestand hat, ist eine andere Frage. Schlussendlich hat der viel beschworene «Geist von Davos» den aktuellen geopolitischen Krisenherden nur wenig entgegenzusetzen. Daran ändert auch der Ukraine-Gipfel nichts, für den Viola Amherd bei ihren zahlreichen bilateralen Treffen auf höchster Ebene während des Forums geworben hat.
Nach fünf Tagen WEF bleibt vielmehr der Eindruck eines Jahrmarktes beliebiger Ideen und Themen zurück. Die Teilnehmer suchten Aufmerksamkeit statt Austausch. Es zeigt sich, dass das Forum – auch ohne genuin wirtschaftliche Themen ganz oben auf der Agenda – ein kommerzieller Anlass ist und bleibt. Andere Erwartungen sind da schlicht zu hoch gegriffen.
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