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WEF 2024
Selenski warnt, der chinesische Premier verkauft – und Amherd macht den Spagat

Ursula von der Leyen, president of the European Commission, left, and Volodymyr Zelenskiy, Ukraine's president, center, at the 'CEOs for Ukraine' session on the opening day of the World Economic Forum (WEF) in Davos, Switzerland, on Tuesday, Jan. 16, 2024. The annual Davos gathering of political leaders, top executives and celebrities runs from January 15 to 19. (KEYSTONE POOL BLOOMBERG/Stefan Wermuth)
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Dutzende Handys schnellen gleichzeitig nach oben. Wolodimir Selenski tritt in seinem bereits ikonisch gewordenen schwarzen Pullover zwischen den Anzugträgern hervor und besteigt die Bühne des grössten Saals am Weltwirtschaftsforum (WEF). «Ist es Zeit, mit Russland zu verhandeln?», fragt er. Schnell wird klar: Hier steht kein Mann, der bereit ist, zu verhandeln. Der Grund dafür ist laut Selenski der russische Präsident Wladimir Putin. Er attackiert ihn direkt: «Ein einziger Mann hat mindestens 14 Jahre Frieden gestohlen. Und sie ersetzt durch: Schmerz, Schmerz, Schmerz.»

Selenski spricht auf Englisch, eindringlich, mit tiefer, leicht gepresster Stimme. Er will klarmachen: Es geht nicht nur um die Ukraine, es geht um alle. Speziell in Europa. «Welche europäische Nation kann eine Armee vorweisen, die bereit ist, sich zu verteidigen?», fragt der ukrainische Präsident. Russland erhalte mehr und mehr Waffen von Nordkorea und dem Iran.

Im Saal ist es still. Kaum jemand lässt sich von seinem Smartphone ablenken. Nie habe er die Congress Hall so voll gesehen, wird der Präsident des WEF später sagen.

Der Auftritt ist zentral für Selenski. Die Ukraine steht vor dem dritten Jahr des russischen Angriffskriegs. Doch die Solidarität des Westens, sie scheint zu bröckeln. Die Militärhilfe der USA ist blockiert, überhaupt dürfte die Regierung Biden im US-Wahljahr eine weniger verlässliche Partnerin für die Ukraine sein. Auch die Gelder aus EU-Staaten fliessen nicht mehr zuverlässig wie zu Beginn des Angriffskriegs. 

Amherd ringt um klare Worte

Selenski bedankt sich, aber er kritisiert den Westen auch. Für dessen zögerliches Handeln vor Kriegsausbruch, die späten Waffenlieferungen. Für die Sanktionen, die nicht umfassend genug seien und etwa die russische Nuklearindustrie verschonten. Und dafür, dass die eingefrorenen russischen Vermögen nicht für den Wiederaufbau der Ukraine verwendet werden könnten. Mit Letzterem meint er auch die Schweiz.

Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, sie sind Thema in den Gängen des Kongresszentrums und wohl auch in vielen bilateralen Treffen. Viele Spitzenpolitiker, die vor Selenski zu Wort kommen, vermeiden es hingegen, explizit über die Kriege zu sprechen – oder Schuldige zu benennen. Das gilt auch allen voran für Viola Amherd.

Während die Welt nach Davos blickt, vollführt die Bundespräsidentin einen diplomatischen Spagat. 

Am Montag war sie in Bern an der Seite Selenskis aufgetreten, der die Schweiz als «Freundin der Ukraine» bezeichnete. Amherd versprach Unterstützung, betonte die Verbundenheit der Schweiz zur Ukraine. Am Tag danach steht Viola Amherd in Davos an einem Rednerpult, hinter ihr prangen die WEF-Logos. Hier spricht sie zur Welt, und ihre Botschaft ist eine andere. 

Amherd kritisiert nur oberflächlich, bleibt abstrakt, nennt die Adressaten ihrer Kritik nicht beim Namen. 

Und während Selenski in seiner Rede auf das Treffen mit Amherd und den geplanten Friedensgipfel hinweist, erwähnt Amherd den Ukraine-Krieg nicht wörtlich. Menschenrechte würden weltweit zurückgedrängt, die globale demokratische Entwicklung ausgebremst, sagt sie. «Dass autoritäre Regimes auch ausserhalb ihrer Grenzen demokratische Werte und Institutionen untergraben, trägt zum Vertrauensverlust bei.» Amherds Ton ist ruhig, ihre Miene leicht mahnend, sie spricht Hochdeutsch, nicht Englisch.

Viola Amherd, Switzerland's Federal President, reacts during a plenary session in the Congress Hall at the 54th annual meeting of the World Economic Forum, WEF, in Davos, Switzerland, Tuesday, January 16, 2024. The meeting brings together entrepreneurs, scientists, corporate and political leaders in Davos under the topic "Rebuilding Trust" from 15 to 19 January. (KEYSTONE/POOL/Laurent Gillieron)

Das Bild, das Amherd zeichnet, ist das einer Schweiz, für die Neutralität und Verlässlichkeit die höchsten Ideale sind. Ihr Land soll helfen, Konflikte zu lösen. Für den Aufbau von Vertrauen wolle sich die Schweiz einsetzen und dafür mit allen sprechen, sagt Amherd. Und sie wirbt für Kompromisse, für «Lösungen statt Blockdenken». Es sind fast dieselben Worte, wie sie der chinesische Premierminister Li Qiang später wählen wird. Amherds rhetorische Vorsicht dürfte auch dem Ziel der Schweiz geschuldet sein, China für den geplanten Ukraine-Friedensgipfel in der Schweiz zu gewinnen.

Pekings Chefverkäufer wirbt um Vertrauen

Qiang tritt gleich nach Amherd auf die Bühne. Er legt Vertrauen vor allem wirtschaftlich aus, tritt als Pekings Chefverkäufer im Ausland auf. Trotz der riesigen Schwierigkeiten im Immobiliensektor, mit denen das Land kämpft, schildert er die Errungenschaften der chinesischen Wirtschaft und deren Wiederaufbau nach den Jahren der Pandemie. Es klingt wie bei einer Jahreskonferenz eines Unternehmens.

«Synergien», «Kooperation», «Fortschritt» – und Vertrauen, immer wieder Vertrauen. Bei Qiangs Rede zeigt sich, was oft am WEF bemängelt wird: Es ist auch ein Wettbewerb der diplomatischen Floskeln. Die Botschaften, sie liegen in den Nuancen. Alle Länder müssten gleichermassen vom Fortschritt profitieren, sagt der chinesische Premier. Er will, dass Handelshemmnisse abgebaut und der technologische Fortschritt zwischen den Ländern geteilt wird. Eine wenig subtile Kritik an den USA und der Europäischen Union, die ihre Märkte für diverse chinesische Produkte geschlossen halten.

Als EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen auftritt, ist der Kontrast gross – zu Qiang wie zu Amherd. Von der Leyen greift den russischen Präsidenten direkt an, scheut das Pathos nicht:  «Wir alle tragen die blauen Flecken von Putins Handeln», sagt sie. 

Russland versage in der Ukraine auf ganzer Linie – militärisch, diplomatisch und wirtschaftlich. Es sei von China abhängig. Derweil sei Finnland der Nato beigetreten, Schweden werde in Kürze folgen. Von der Leyen betont die Nähe zwischen der Ukraine und der EU – Brüssel hat Mitte Dezember Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine eröffnet. Russland stehe nun isoliert da, und Europa werde zunehmend unabhängig, speziell bei der Energie. Die höchste EU-Vertreterin wirkt entschlossen, sie spricht in kurzen, scharfen Sätzen. Zwischendurch setzt sie immer wieder ein Lächeln auf. Als wolle sie zeigen, wer hier auf der guten Seite steht.

«Wir müssen unsere Unterstützung weiterführen, über 2024 hinaus», sagt von der Leyen. Es brauche einen ständigen Fluss von Waffen. Und überdies: Hoffnung. «Die bessere Zukunft der Ukraine heisst Europa.»

Von der Leyens Worte kontrastieren mit der politischen Realität. Weil sie etwa verschweigt, dass bei der EU Hilfsgelder für die Ukraine blockiert sind. Wie diese Blockade gelöst werden könnte, darauf geht sie in ihrer Rede nicht ein. 

Die Aktivisten dürfen nicht mehr auf die Bühne

Selenski gibt sich dagegen zuversichtlich. Es sei eine Frage von Wochen, bis die Gelder wieder fliessen. Die Ukraine habe positive Signale aus der EU erhalten, auch eine Zusage des US-Kongresses sei realistisch. 

Dazu hat der ukrainische Präsident am WEF auch bilaterale Gespräche geführt – so soll er sich mit von der Leyen und dem US-Aussenminister Antony Blinken getroffen haben. Daneben tauscht er sich mit hochrangigen Wirtschaftsvertretern aus, um sie für den Wiederaufbau seines versehrten Landes zu gewinnen. 

In diesem Jahr konnte das WEF wieder mehr hochrangige Politgäste gewinnen. Dafür stehen die Aktivistinnen und Aktivisten vor den Metallzäunen statt auf der grossen Bühne (wie zuletzt Greta Thunberg). Aber die meisten Reden sind so diplomatisch, so oberflächlich wie immer. 

Als sich Selenski zum Schluss noch einmal für die Unterstützung bedankt, erhält er minutenlangen Applaus. Hunderte WEF-Teilnehmende haben ihm zugehört, jetzt stehen fast alle auf. Für den Präsidenten, der aus dem Krieg in den Wintersportort gereist ist.  Ein undiplomatisches Zeichen.