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Die Anfänge des WEF
Dorfpolizist Siegenthaler und die schiessenden Manager

Alle entspannt vor dem Kongresshaus Davos. Kurt Siegenthaler, flankiert von seinem Hund Nico.
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Tausende Armeeangehörige, Scharfschützen auf Dächern, gesperrte Strassen, Drohnenabwehr. Davos ist in diesen Tagen eine Hochsicherheitszone. 

Darüber informierte Walter Schlegel, Kommandant der Bündner Kantonspolizei, an einer Pressekonferenz im Vorfeld. Der Gesamteinsatzleiter für die Sicherheit des WEF sagte aber auch: «Ganz anders war das früher.» 

Damals, Anfang der 70er-Jahre, hiess das WEF noch Europäisches Managersymposium. Für die Sicherheit reichte damals ein Dorfpolizist mit einem Hund. «Das haben mir Leute erzählt, die damals dabei waren», sagte Schlegel. Dieser Dorfpolizist heisst Kurt Siegenthaler.

Ein Standardeinsatz

80 ist er. Der Davoser weiss noch genau, wie es damals «zu- und herging». Nicht einen, sondern zwei Polizisten vor Ort hätte es gebraucht. Ein Standardeinsatz.

«Neben mir stand stets einer von der Kantonspolizei, der jeweils eine Maschinenpistole umgehängt hatte.»

Kurt Siegenthaler (l.) mit einem Kollegen von der Kantonspolizei.

Er selbst, ein sogenannter Landschaftspolizist, hatte seinen schwarzen Schäfer Nico dabei. Das reichte. Es gab ja nicht viel zu bewachen. Das Treffen von einigen Managern im neu gebauten Kongresszentrum von Davos interessierte die Öffentlichkeit kaum.

So stand Siegenthaler mit einem Kollegen in 8-Stunden-Schichten am Lieferanteneingang des Kongresszentrums. Es gab keine Badges, keine Absperrungen. Als Einheimischer kannte der Polizist die Lieferanten, die an ihm vorbeigingen. Ein kurzer Schwatz da, ein Grinsen hier. Vertrauenssache.

Zwei Pistolen als Gaudi

Am Abend und am Wochenende fanden die Aktivitäten statt. Eisstockschiessen, Skifahren, Schlittschuhlaufen. Dank Kurt Siegenthaler und seinen Polizistenkollegen gabs eine Ergänzung zum winterlichen Rahmenprogramm: Schiessen mit der Pistole. Auf 50 Meter.

Zwei SIG der Davoser Landschaftspolizei lagen im Schiessstand Islen für die Leute vom Symposium bereit. Der Andrang, erinnert sich Siegenthaler, war gross. «Besonders die Hostessen, die Frauen aus dem Staff, waren ganz wild darauf, abzudrücken.»

Kurt Siegenthaler (r.) mit einem Kollegen.

So schossen Manager und Mitarbeiterinnen unter Anleitung der Polizei im Schiessstand Islen auf Zielscheiben. Ein Gaudi. Besonders selbstbewusste Schützen waren laut Siegenthaler dabei überdurchschnittlich oft Manager aus Deutschland. 

Am Abend fand im benachbarten Restaurant nach der amtlich bewilligten Schiesserei eine Preisverleihung statt. Die selbstbewussten deutschen Manager waren unterdurchschnittlich in den vorderen Rängen vertreten.

Das Symposium wuchs in den nächsten Jahren. Kurt Siegenthaler hielt Stellung. Er stand stets am Lieferanteneingang des Kongresshauses. Es war eine Arbeit ohne Komplikationen – bis zum Jahr 1975.

Die Welt änderte sich

In Wien geschah ein Drama. Palästinensische Terroristen überfielen die Ministerkonferenz der Organisation der erdölexportierenden Länder (Opec). Der damalige saudische Erdölminister kam dabei um, Geiseln wurden genommen. 

Danach änderte sich einiges. Die Sicherheitsanforderungen an Anlässen wie jenem in Davos wurden komplexer und grösser. Die Welt änderte sich und machte die Arbeit am Hintereingang, wo Kurt Siegenthaler Wache hielt, schwieriger.

In den 80er-Jahren kam schliesslich der Protest auf die Promenade von Davos: Demonstranten, Wasserwerfer, Polizisten in Kampfmontur. Es wurde hektischer, nervöser.

Polizisten und Demonstranten stehen sich am Samstag, 24. Januar 2004, im Anschluss an eine Demonstration gegen das World Economic Forum in Chur, auf dem Bahnhof in Landquart gegenueber. Nachdem ein Zug blockiert wurde kam es zwischen den Demonstranten und der Polizei auf dem Bahnhofsgelaende zu Scharmuetzeln. (KEYSTONE/Martin Ruetschi)

Einmal sei plötzlich eine Gruppe Kurden vor dem Kongresszentrum ausgestiegen, sagt Kurt Siegenthaler. «Zuvorderst Frauen mit Kinderwagen, hinten die Männer, die lautstark Parolen skandierten und Einlass ins Kongresszentrum forderten.» Vor dem Eingang standen Polizisten mit Hunden. 

Und Kurt Siegenthaler dazwischen. Ein Davoser zwischen den Fronten der Weltpolitik.

Arafats Spaziergang

Aus dem Manager-Symposium wurde das Weltwirtschaftsforum. Kurt Siegenthaler sah grosse Figuren der Weltpolitik an sich vorbeilaufen. Minister, Präsidenten, Wirtschaftsführer. An Arafat, den Palästinenserführer, erinnert er sich besonders gut. «Er wollte immer spazieren gehen entlang der Landwasser.» Ein Autokonvoi begleitete ihn und blieb dann schon mal im Schnee stecken. 

Bis zu seiner Pensionierung war Kurt Siegenthaler am WEF im Einsatz. 1994 war Schluss. 

Sieben Jahre später erschütterten am 11. September die Anschläge in den USA die Welt. Kurt Siegenthaler war da schon längst weg. Während des WEF geht er jeweils ins Tessin. So auch in diesem Jahr. 

Dort hat Kurt Siegenthaler seinen Frieden. Weit weg von der Weltpolitik.