Analyse zur US-AussenpolitikBiden sortiert Amerikas Freunde und Feinde
Der neue Präsident bringt die unter Trump ins Schlingern geratene Aussenpolitik wieder auf Kurs. Das hat Folgen für die Schweiz, vor allem mit Blick auf China.
Joe Biden lässt nichts mehr anbrennen. Kaum im Amt, hat der US-Präsident sein Land einer radikalen Impfkur unterzogen. Und um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu mildern, setzte er die Gelddruckmaschinen in Gang. Nun macht sich der 78-Jährige daran, auch die amerikanische Aussenpolitik neu zu justieren. Bereits während seines Wahlkampfs hatte er angekündigt, unter seiner Führung würden die USA «wieder oben am Tisch sitzen».
Biden hat sich erhoben, um diesen Platz einzunehmen. Ausserdem hat er die Tischordnung geändert: Nicht mehr dabei sind die Autokraten und Diktatoren von Wladimir Putin über Mohammed bin Salman bis zu Donald Trumps «Freund» Kim Jong-un. Zurück sind dafür die westlichen Alliierten, von Kanadas Premier Justin Trudeau, dem Biden einer alten Tradition folgend die erste Aufwartung machte, bis zu Angela Merkel und Emmanuel Macron. Der neue US-Präsident hat die Freunde und Feinde Amerikas wieder sortiert.
Biden ist alarmiert, weil der Westen an einem Wendepunkt steht im Wettstreit der Werte.
In seiner ersten Tischrede, die er an der Münchner Sicherheitskonferenz hielt, zeigte sich Biden alarmiert, weil der Westen an einem Wendepunkt steht im Wettstreit der Werte mit einem immer selbstbewusster auftretenden China und einem trotzigen Russland. «Demokratie entsteht nicht zufällig. Wir müssen sie verteidigen, stärken und erneuern», forderte der US-Präsident und grenzte sich damit klar ab von seinem Vorgänger.
Gleichzeitig nimmt er Amerikas Alliierte in die Pflicht. Während der Trump-Jahre hatten sie Anlass zur Klage, da sie vom amerikanischen Präsidenten brüskiert wurden. Was ihnen gleichzeitig eine Entschuldigung lieferte, um im Umgang mit autokratischen Regimen untätig zu bleiben. So kam es der deutschen Kanzlerin zupass, dass sie ungeachtet der Kritik aus Washington an der umstrittenen Nord-Stream-Gaspipeline von Russland nach Deutschland festhalten konnte.
Dass der amerikanische Präsident Wladimir Putin als «Killer» bezeichnete, war undiplomatisch, aber nicht falsch.
Inzwischen mehren sich jedoch die Anzeichen, dass die Europäer nicht alle hochgehaltenen politischen Prinzipien den Geschäftsinteressen unterordnen. Mit den Sanktionen gegen Russland sind sie den Amerikanern sogar zuvorgekommen. Kurz darauf beschloss auch die US-Regierung, auf die Vergiftung des Kremlkritikers Alexei Nawalny durch den russischen Geheimdienst zu reagieren. Dass der amerikanische Präsident Wladimir Putin als «Killer» bezeichnete, war undiplomatisch, aber nicht falsch – und nicht nur ein Signal an den Kreml, sondern auch an zaudernde Verbündete.
Ebenfalls koordiniert scheinen die Massnahmen gegen China. Wobei erneut die Europäer vorangingen mit den ersten Sanktionen seit dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989. Betroffen sind vorerst nur einige Provinzfunktionäre in Xinjiang. Dem kommunistischen Regime werden schwere Menschenrechtsverletzungen an der muslimischen Minderheit vorgeworfen, wie Satellitenbilder und geleakte Dokumente nahelegen. Bei seiner ersten Pressekonferenz am Donnerstag bekräftigte Biden, er wolle China dazu drängen, die Menschenrechte einzuhalten. Sein Aussenminister Antony Blinken und Josep Borrell, Chef der EU-Aussenpolitik, wollen fortan regelmässig über China reden, wie sie diese Woche vereinbart haben.
Das transatlantische Bündnis ist ein wichtiger Bestandteil von Bidens Strategie der Einkreisung Chinas.
Die Sanktionen schmerzen die Machthaber in Russland und China kaum. Bedeutend sind sie dennoch, da sie die alte Allianz zwischen den USA und Europa wiederbeleben. Das transatlantische Bündnis ist ein wichtiger Bestandteil von Bidens Strategie der Einkreisung Chinas. Aber nicht der einzige: Kürzlich lud der US-Präsident zum ersten Quad-Gipfel, was für «Quadrilateral Security Dialogue» steht. Dabei handelt es sich um ein loses Bündnis zwischen Japan, Indien, Australien und den USA, das nach dem Tsunami von 2004 gegründet wurde, um die Hilfe zu koordinieren.
Nun geht es darum, Chinas zunehmendem Einfluss im indopazifischen Raum entgegenzuwirken, die Stichworte sind Taiwan, Südchinesisches Meer und natürlich die neue Seidenstrasse. Ausserdem haben die sogenannten «Fünf Augen», eine Kooperation der Geheimdienste Grossbritanniens, der USA, Neuseelands, Australiens und Kanadas, das chinesische Vorgehen in Hongkong verurteilt – zum unüberhörbaren Ärger Pekings.
Von der Entfremdung zwischen Washington und seinen Alliierten während der Trump-Jahre hat niemand so profitiert wie China. Regelmässig wurde in Peking der Refrain «Der Osten geht auf, und der Westen geht unter» angestimmt. Zuletzt nach dem Sturm auf das Capitol in Washington oder angesichts von Trumps nicht endendem Gerede vom Wahlbetrug. Inzwischen scheint sich in Peking jedoch eine gewisse Nervosität breitzumachen, wie die heftige Reaktion des Regimes auf die europäischen Sanktionen vermuten lässt.
Washington nimmt die Verantwortung wieder wahr, die der Status einer Supermacht, zumal einer demokratischen, mit sich bringt.
Zeigt Bidens Neujustierung der Aussenpolitik also bereits Wirkung? Zumindest hat er nie bezweifelt, dass die USA ihre Alliierten brauchen, um einer Herausforderung wie dem modernen China zu begegnen. Trumps kurzsichtiges «America First» war dafür denkbar ungeeignet. Inzwischen nimmt Washington die Verantwortung wieder wahr, die der Status einer Supermacht, zumal einer demokratischen, mit sich bringt.
Damit – und nicht nur mit Billionen-schweren Investitionsprogrammen – knüpft Joe Biden bei seinem Vorbild an. Franklin D. Roosevelt argumentierte kurz vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, dass eine Welt, in der mächtige Diktaturen wie Nazideutschland und das kaiserliche Japan ihre Regionen beherrschten, ein «schäbiger und gefährlicher Ort zum Leben» sei. In einer solchen Welt, so Roosevelt, seien selbst die USA nicht sicher, obwohl sie von zwei harmlosen Nachbarn und zwei Ozeanen umgeben sind.
Der Bundesrat muss sich von der aggressiven Reaktion des chinesischen Botschafters nicht beeindrucken lassen.
Auch die im Westen verankerte Schweiz kommt nicht darum herum, sich der Herausforderung in Fernost zu stellen. Mit seiner neuen China-Strategie hat der Bundesrat das Dilemma der Schweizer Politik benannt. Trotz grosser Geschäftsinteressen der hiesigen Wirtschaft wies Aussenminister Ignazio Cassis darauf hin, dass China die Menschenrechte verletze. Ausserdem sprach er von «autoritären Tendenzen», «geopolitischen Ambitionen» und «unterdrückten Minderheiten». Immerhin, das ist ein Anfang, den der chinesische Botschafter in Bern mit seiner aggressiven Reaktion umgehend zunichtemachen wollte. Davon muss sich die Schweizer Regierung nicht beeindrucken lassen, von Peking entsandte Diplomaten greifen gerne zum Mittel der Einschüchterung. (Lesen Sie hier den Kommentar zur Schweizer China-Strategie.)
Obwohl der Umgang mit China konfrontativer wird, ist das nicht das Ende des Dialogs. Selbst mit einer Diktatur wie der chinesischen hat der Westen gemeinsame Interessen, sei es bei der Klimapolitik, bei der Bekämpfung der Pandemie oder beim Umgang mit dem Iran und Nordkorea. Anders als Trump, der den chinesischen Herrscher Xi Jinping zunächst umgarnt und dann beschimpft hat, verfolgt Biden einen differenzierten Ansatz. Je nach Thema setzt man sich mit China an den Tisch. «Das Verhältnis der Vereinigten Staaten mit China wird konkurrierend sein, wenn nötig; kooperativ, wenn möglich; und feindselig, wenn es sein muss», brachte es US-Aussenminister Blinken auf den Punkt. Eine Haltung, die auch der Schweiz genügend Spielraum bietet für einen angemessenen Umgang mit Peking.
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