Treffen in BerlinMit Bidens Besuch endet für Deutschland eine Ära
Die Unterstützung der Ukraine verband Olaf Scholz und Joe Biden. Der Amerikaner und der Deutsche nehmen die Angst vor einem dritten Weltkrieg ernst.
- Hurrikan Milton verhinderte Bidens Staatsbesuch in Deutschland in der Vorwoche.
- Die deutsch-amerikanischen Beziehungen waren zuletzt wegen Russlands Überfall auf die Ukraine besonders eng.
- Scholz’ Zögerlichkeit wird kritisiert, aber auch Biden geht sehr vorsichtig vor.
- Mit Biden verlässt der «letzte grosse Atlantiker» die Bühne.
Der gewaltige Hurrikan Milton verhinderte letzte Woche, dass der US-amerikanische Präsident Joe Biden zum Staatsbesuch nach Deutschland kam: Krisenmanagement im eigenen Land kurz vor den Wahlen war wichtiger als ein Abschieds- und Dankesbesuch beim Verbündeten in Europa.
Anders als etwa das Treffen der Ukraine-Unterstützer in Ramstein wurde der Besuch aber nicht abgesagt, sondern nur verschoben: Mit einer Woche Verspätung trifft Biden nun heute, Donnerstagabend, in Berlin ein und spricht morgen mit dem deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und mit Kanzler Olaf Scholz.
Es ist Bidens erster Besuch in der deutschen Hauptstadt, seit er Präsident ist; im Januar tritt er ab. 2022 war er bereits einmal Deutschlands Gast, beim G-7-Gipfel in Elmau. Seine Vorgänger, abgesehen von Donald Trump, hatten Deutschland häufiger besucht: Barack Obama in seinen acht Jahren als Präsident sechsmal, George W. Bush und Bill Clinton je fünfmal.
Allerdings waren die deutsch-amerikanischen Beziehungen in den vergangenen zweieinhalb Jahren so intensiv und vertrauensvoll wie selten zuvor. Der Grund dafür war Russlands Angriff auf die Ukraine, dem die USA und Deutschland in enger Absprache begegneten.
Biden und Scholz gingen ausgesprochen vorsichtig vor
Der 81-jährige Demokrat Biden und der 66-jährige Sozialdemokrat Scholz erwiesen sich dabei als Seelenverwandte. Beide versprachen der Ukraine, sie so lange und so stark zu unterstützen, wie es nötig sei, um zu verhindern, dass Russland den Krieg gewinne oder die Ukraine ihn verliere.
Der Amerikaner und der Deutsche wollten zugleich unbedingt eine Eskalation vermeiden, die das westliche Verteidigungsbündnis Nato in eine direkte militärische Konfrontation mit Russland führen würde. Biden und Scholz nahmen die Gefahr eines dritten Weltkriegs ernst und sprachen öffentlich darüber. In Berlin wie in Washington halten sich Gerüchte, Wladimir Putin habe beiden Regierungschefs mit Atomschlägen gedroht, falls sie gewisse Grenzen der Unterstützung überschritten.
Biden wie Scholz gingen die Sache jedenfalls vorsichtig an, Schritt für Schritt und eng abgestimmt. Wann immer eine neue Kategorie von Waffen an die Ukraine geliefert werden sollte – Flugabwehr, Artillerie, Raketenwerfer, Panzer oder Flugzeuge –, hielt sich Scholz peinlich genau hinter Biden. Sprach der Deutsche von Abstimmung unter den Verbündeten, meinte er nicht Paris, Brüssel oder London, sondern vor allem Washington.
Der deutsche Reflex aus dem Kalten Krieg
Scholz reaktivierte damit ein altes Muster aus dem Kalten Krieg, das deutsche Kanzler in Konflikten mit der Atommacht Russland stets befolgt hatten: Echten Schutz findet Deutschland nur unter dem Atomschirm der Vereinigten Staaten. Anders als Frankreich und Grossbritannien besitzt Deutschland bekanntlich keine eigenen Atomwaffen.
Ein Vermächtnis dieser sicherheitspolitischen Sonderbeziehung hinterliessen Biden und Scholz diesen Sommer, als die beiden überraschend ankündigten, die USA würden 2026 auf Wunsch Berlins neue nicht atomare Mittelstreckenraketen in Deutschland stationieren. Aus Sicht der deutschen Regierung ist es ein «starkes Signal», dass die USA sich der Sicherheit Deutschlands und Europas weiterhin «verpflichtet» fühlen.
Unter Scholz ist Deutschland nach den USA zum zweitwichtigsten Unterstützer der Ukraine aufgestiegen, militärisch, wirtschaftlich und finanziell. Dennoch werfen viele dem Kanzler «Zögerlichkeit» vor. Deutschland habe stets «zu spät zu wenig» getan und sich dabei hinter den USA versteckt, statt seine eigene Führungsverantwortung in Europa wahrzunehmen. So verliere die Ukraine den Krieg vielleicht nicht, könne ihn aber auch nicht gewinnen. Diese Kritik ist nicht nur in der christdemokratischen Opposition zu hören, sondern auch bei den regierenden Grünen und der FDP.
Zu einem Symbol der Zurückhaltung ist der deutsche Marschflugkörper Taurus geworden. Scholz weigert sich beharrlich, ihn der Ukraine zur Verfügung zu stellen, weil sich mit ihm weit nach Russland hinein schiessen liesse. In der Kritik daran geht oft vergessen, dass Biden zwar weitreichende Raketen geliefert hat, Kiew aber bis jetzt ebenso hartnäckig verbietet, diese für Schläge auf russischem Boden zu verwenden – abgesehen vom Grenzgebiet um die Grossstadt Charkiw darf die Ukraine russisches Territorium mit US-Waffen nicht beschiessen.
Auch mit Harris wird alles neu – mit Trump sowieso
Auch dass letzte Woche das Treffen der Ukraine-Unterstützer ausfiel, nur weil Biden in Washington festsass, werteten viele als Beleg dafür, dass die Europäer ohne die USA gänzlich führungslos dastünden. Die Kritik war auch ein Vorwurf an den deutschen Kanzler.
Mit Bidens Abgang endet für Deutschland in jedem Fall eine Ära, gilt der Amerikaner doch als der «letzte grosse Atlantiker». In der neuen Konfrontation mit Russland, so sehen es viele, hätte es Europa jedenfalls kaum besser treffen können als mit diesem Präsidenten. Mit Grausen denken die meisten an einen Nachfolger namens Trump. Aber selbst mit Kamala Harris dürfte sich die Statik der deutsch-amerikanischen Beziehung verändern. Wie einst Obama wird sie die USA stärker auf den Pazifik und China ausrichten als auf Europa wie Biden.
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