Olaf Scholz in «Spiegel»-Interview«Es darf keinen Atomkrieg geben»
Der deutsche Kanzler steht mächtig unter Druck. Jetzt hat er sich erklärt. «Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt.»
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz weist den Vorwurf zurück, er sei in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine zu zögerlich oder äussere sich widersprüchlich. «Für Deutschland war es ein tiefgreifender Kurswechsel, als ich angekündigt habe, Waffen in dieses Kriegsgebiet zu liefern», unterstrich der Kanzler im Interview mit dem «Spiegel» (Bezahlinhalt). «Viele, die diesen Schritt früher kategorisch abgelehnt haben, überbieten sich jetzt mit Forderungen, noch viel mehr zu liefern – ohne die genaue Sachlage zu kennen.»
«Eine Eskalation in Richtung Nato zu vermeiden, hat für mich höchste Priorität», sagte Scholz weiter. Es dürfe keine «direkte militärische Konfrontation zwischen der Nato und einer hochgerüsteten Supermacht wie Russland» geben. «Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt. Es darf keinen Atomkrieg geben.»
Frage der Ausbildung an schweren Waffen
Scholz will der Ukraine nun weiter Waffen liefern, bleibt bei schwerem Gerät wie Panzern aber weiter zurückhaltend. «Das militärische Gerät muss ohne langwierige Ausbildung, ohne weitere Logistik, ohne Soldaten aus unseren Ländern eingesetzt werden können», sagte Scholz. Dies gehe «am schnellsten mit Waffen aus ehemaligen sowjetischen Beständen, mit denen die Ukrainer gut vertraut sind».
Es sei deshalb «kein Zufall, dass mehrere osteuropäische Nato-Partner jetzt solche Waffen liefern und bisher kein Bündnispartner westliche Kampfpanzer», sagte Scholz. «Die Lücken, die durch diese Lieferungen bei den Partnern entstehen, können wir sukzessive mit Ersatz aus Deutschland füllen, wie wir es gerade im Fall Slowenien besprochen haben.»
Ringtausch mit Slowenien
Nach Angaben aus Regierungskreisen vom Donnerstag plant Deutschland mit dem Land einen Ringtausch bei Panzern. Der Nato-Verbündete soll dabei den noch in der Sowjetunion entwickelten T-72-Kampfpanzer an Kiew liefern. Im Gegenzug soll Slowenien dafür den Schützenpanzer Marder sowie den Radpanzer Fuchs aus Deutschland bekommen.
Hier gibt es aber offenbar noch Gesprächsbedarf: «Wir haben heute Vormittag zum ersten Mal mit der slowenischen Seite Verbindung aufgenommen», sagte ein hoher Beamter im deutschen Verteidigungsministerium am Freitag vor Journalisten. «Das wird also noch ein bisschen dauern.»
Scholz betonte, «die Möglichkeiten der Bundeswehr» seien «weitgehend erschöpft». Deutschland werde liefern, «was noch verfügbar gemacht werden kann» und nannte «Panzerabwehrwaffen, Panzerrichtminen und Artilleriemunition». Die Bundeswehr müsse ihrerseits in der Lage sein, «das Bündnisgebiet jederzeit verteidigen zu können (...) Denn die Bedrohung des Nato-Gebiets durch Russland besteht ja fort».
Scholz zeigte sich aber zur Finanzierung weiterer Waffenlieferungen über Rüstungsunternehmen bereit. Im Gespräch mit der deutschen Industrie sei inzwischen eine Liste von militärischer Ausrüstung erstellt worden, die rasch lieferbar sei, sagte der Kanzler. Es gehe wie bisher um «Verteidigungswaffen und Mörser für Artilleriegefechte».
Die oppositionelle Union von CDU und CSU will in der Debatte um schwere Waffen notfalls auch über den Bundestag Druck auf Scholz ausüben. «Sollte in den kommenden Tagen kein Umdenken der Bundesregierung stattfinden, ist mehr denn je das Parlament gefordert über die Lieferung schwerer Waffen abzustimmen», hiess es von Unionsseite. «Das Zaudern des Bundeskanzlers beim Thema Waffenlieferungen ist mehr als blamabel und lässt Zweifel daran aufkommen, auf welcher Seite die Bundesregierung eigentlich steht.»
Frankreich liefert der Ukraine schwere Waffen
Auch Frankreich beschäftigt sich mit Waffenlieferungen in die Ukraine: Wie Präsident Emmanuel Macron im Interview der Zeitung «Ouest France» am Freitag sagte, würden neben Panzerabwehrraketen des Typs Milan auch die Haubitze Caesar in die Ukraine geliefert. «Wir liefern immerhin beträchtliche Ausrüstung, von den Milan über die Caesar bis hin zu verschiedenen Waffenarten», sagte Macron. An dem Kurs wolle man festhalten, ohne selbst Kriegspartei zu werden. Die auf Lastwagen montierten Caesar-Geschütze mit einem Kaliber von 155 Millimeter können Ziele bis auf eine Entfernung von 40 Kilometern präzise treffen. Frankreich hatte sich bislang zu seinen Waffenlieferungen sehr bedeckt gehalten.
Wie die Zeitung unter Verweis auf Armeequellen berichtete, sollen zwölf Caesar-Haubitzen in den kommenden Tagen in der Ukraine eintreffen. Von Samstag an sollen 40 ukrainische Soldaten in Frankreich in der Bedienung der Haubitzen trainiert werden, hiess es unter Verweis auf den Élyséepalast. Die Ukraine soll ausserdem Geschütze aus den USA sowie aus den Niederlanden Panzerhaubitzen des Typs 2000 aus deutscher Herstellung erhalten.
Johnson: Grossbritannien prüft Panzerlieferung an Polen
Derweil prüft Grossbritannien nach Angaben des britischen Premierministers Boris Johnson die Lieferung von Panzern an Polen. Die T-72-Panzer sowjetischer Bauart sollen dann von Warschau an die Ukraine weitergegeben werden. Das teilte Johnson während eines Besuchs in der indischen Hauptstadt Neu Delhi am Freitag mit. London verzichteten bislang darauf, selbst Panzer an die Ukraine zu liefern. Grossbritannien hat Kiew aber bereits 150 gepanzerte Fahrzeuge versprochen. Dabei soll es sich um den schwer gepanzerten Typen «Mastiff» handeln.
Darüber hinaus hat die britische Regierung Tausende Panzerabwehrwaffen der Typen NLAW und Javelin sowie Boden-Luft-Raketen vom Typ Starstreak und Lenkwaffen geliefert. Zudem wurden jüngst auch moderne Schiffsabwehrraketen angekündigt. Nach Angaben Johnsons sei auch Artillerie-Munition geliefert worden.
Insgesamt beläuft sich der Wert der britischen Militärhilfe nach Angaben des Verteidigungsministeriums in London bislang auf 450 Millionen Pfund. Für wirtschaftliche und humanitäre Hilfe hat Grossbritannien 400 Millionen Pfund bereitgestellt.
USA liefern neuartige Kamikaze-Drohnen
Die USA wiederum wollen für weitere 800 Millionen Dollar zusätzliches Kriegsmaterial an die ukrainischen Streitkräfte liefern. «Dieses Paket umfasst schwere Artilleriewaffen, dutzende Haubitzen und 144’000 Schuss Munition für diese Haubitzen», sagte US-Präsident Joe Biden am Donnerstag im Weissen Haus. Geliefert werden sollen demnach auch zusätzliche taktische Drohnen.
Hierbei handelt es sich um ein Gerät mit dem Namen «Phoenix Ghost». Nach Angaben des Pentagons habe man einen neuartigen Drohnentyp entwickelt, der Anforderungen des ukrainischen Militärs entspricht und nun weiter angepasst werden soll.
«In Gesprächen mit den Ukrainern über ihre Anforderungen waren wir der Meinung, dass dieses spezielle System sehr gut für ihre Bedürfnisse geeignet wäre, insbesondere in der Ostukraine», sagte Pentagon-Sprecher John Kirby am Donnerstagnachmittag. Die Entwicklung der Drohne mit dem Namen «Phoenix Ghost» habe bereits vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs begonnen. Man wolle diese nun weiter so vorantreiben, dass sie noch besser zu den ukrainischen Anforderungen passe.
Mehr als 120 der Drohnen sollen im Rahmen des 800 Millionen US-Dollar schweren Militärhilfepakets der US-Regierung in die Ukraine geliefert werden. Am Morgen hatte Kirby noch erklärt, die Drohne sei «speziell als Reaktion auf die ukrainischen Anforderungen schnell entwickelt» worden. Er hatte betont, sie sei ein Beispiel dafür, wie man sich in Echtzeit an die Bedürfnisse der Ukraine anpasse. «Ich habe mich wahrscheinlich nicht so gut ausgedrückt, wie ich es hätte tun sollen», sagte Kirby später auf Nachfrage.
AFP/SDA/cpm
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