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Wettlauf der Pharmafirmen
Zwei Spritzen ins Auge zielen auf den Komfort der Erkrankten

NORTH ANDOVER, MA - NOVEMBER 10: Ruth Gordon, 89, takes a vision test in the Retina Service department at Massachusetts Eye and Ear in Boston on Nov. 10, 2017. Gordon is being treated for age-related macular degeneration in both eyes. After years of financial losses, despite growing patient numbers, hospital leaders say they can no longer go it alone. They want to become part of a larger system, and theyve chosen Partners HealthCare, the most dominant health care provider in Massachusetts, with which they already share close ties. (Photo by Craig F. Walker/The Boston Globe via Getty Images)
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Um Patientinnen und Patienten, die an einer weitverbreiteten Augenkrankheit leiden, ist ein Wettlauf unter den Medikamentenherstellern entbrannt. Er dreht sich um die Angst der Betroffenen vor einer Spritze. Und auch um ein bequemes Leben. Für sie geht es darum, bei welchem Medikament sie sich seltener eine Injektion direkt ins Auge setzen lassen müssen.

Für die Pharmaindustrie ist dies ein umkämpfter Milliardenmarkt, denn die Zahl der an feuchter, altersbedingter Makuladegeneration (kurz feuchte AMD genannt) Erkrankter nimmt wegen der steigenden Lebenserwartung stetig zu. Ab 85 Jahren leidet rund eine von zehn Personen darunter, aber auch bei weniger Betagten ist sie verbreitet. Sie benötigen bis zum Rest ihres Lebens immer wieder eine Injektion, um nicht immer unschärfer und verzerrter zu sehen und blinde Flecken in der Mitte des Blickfeldes zu haben.

Sind verschiedene wirksame Therapien auf dem Markt, spielt auch ihr Komfortfaktor eine Rolle. Im Fall von feuchter AMD heisst dies: Je seltener Patientinnen und Patienten für eine Injektion zur Ärztin oder zum Arzt müssen, desto geringer ist ihr Zeitaufwand, und sie erschaudern seltener vor der Nadel, die genau neben ihre Linse ins Weisse ihres Auges sticht.

So heben Pharmafirmen die Zeitabstände hervor, in der die Erkrankten keine Augenspritze brauchen: vier, acht, zwölf oder zwanzig Wochen.

Vernebelte Sehschärfe: So kann das Blickfeld mit feuchter AMD aussehen.

«Der medizinische Effekt ist natürlich das wichtigste», sagt Augenärztin Malaika Kurz-Levin vom Talacker-Augenzentrum in Zürich. «Ist er erfüllt, geht es aber für die Erkrankten und die behandelnde Spezialistin um die Intervalle, mit der die Spritze gesetzt werden muss.»

Vergangene Woche hat der deutsche Bayer-Konzern die Zulassung für eine neue Spritze in der Schweiz und in der Europäischen Union erhalten. Das Heilmittel heisst Eylea, genau wie Bayers bewährte Augenspritze, enthält aber eine viermal höhere Dosierung dieses Wirkstoffes.

Das Neue: Bayer preist es als einziges Medikament an, das bei feuchter, altersbedingter Makuladegeneration für verlängerte Behandlungsintervalle von bis zu zwanzig Wochen zugelassen ist.

Weniger Arztbesuche, weniger Kosten

Mit der neuen Dosierung will Bayer sich gegen den Schweizer Pharmakonzern Roche behaupten. Denn der macht dem deutschen Konzern seit 2022 mit seinem Medikament Vabysmo Konkurrenz, das bis zu alle 16 Wochen gespritzt werden muss.

Bei diesem Pharma-Wettlauf liegen die Preise vom niedrig dosierten Eylea wie auch Vabysmo mit rund 1000 Franken je Spritze auf gleichem Niveau. Über den Preis wollen sich die Pharmakonzerne nicht konkurrenzieren. Je weniger Arztbesuche und Spritzen es allerdings braucht, desto geringer fallen die Jahreskosten für die Krankenkassen aus.

«Seit letztem Sommer stellen wir einige Patientinnen und Patienten von der bisherigen Form von Eylea auf Vabysmo um», sagt Augenärztin Malaika Kurz-Levin. In erster Linie sei dies der Fall, wenn Eylea das Fortschreiten der Erkrankung nicht genügend vermindern könne, denn heilen könne man die Krankheit mit keiner Behandlung. Die Spritze von Roche hat im Unterschied zu der von Bayer nicht nur einen, sondern zwei verschiedene Hemmeffekte, die das Fortschreiten der feuchten, altersbedingten Makuladegeneration aufhalten sollen.

«Alle bisher erhältlichen Medikamente wirken trotz teilweise unterschiedlicher Mechanismen ähnlich gut», sagt Christoph Kniestedt, der Präsident der Schweizerischen Opthalmologischen Gesellschaft. Er vermutet deshalb, dass Roche und Bayer in ihrer Marketingstrategie den grösseren Intervallabstand hervorheben, was die Behandlung für die Patientinnen und Patienten angenehmer, günstiger und auch sicherer macht. «Zwischen der Empfehlung der Pharmafirmen und der individuellen Betreuung der Patientinnen in der Realität gibt es jedoch Unterschiede.»

Die benötigte Zahl der Spritzen variiere und hänge von der Ausprägung der Krankheit ab, sagt Malaika Kurz-Levin. «Wir versuchen herauszufinden, welches Medikament bei einer erkrankten Person wirkt und auch am wenigsten gespritzt werden muss.» Das sei je nach Patientin und Patient verschieden.

Für Roche ist es ein neuer Kassenschlager

Für Roche ist Vabysmo der aktuell grösste Wachstumstreiber und dürfte dem Pharmariesen im vergangenen Jahr gemäss seinen eigenen Erwartungen einen Umsatz von mehr als zwei Milliarden Franken eingebracht haben. Für ein neues Medikament ist ein so rasanter Aufstieg zum Kassenschlager ungewöhnlich. Sind schon wirksame Medikamente auf dem Markt, braucht es normalerweise mehrere Jahre, um die Ärzteschaft von einem Wechsel ihrer Verschreibungspraxis zu überzeugen.

Bei Vabysmo ist das anders. In der Schweiz lag der Marktanteil gemäss Roche nur ein Jahr nach der Lancierung schon bei 20 Prozent. Bei der Verschreibung als Ersttherapie in den USA fällt der Anteil noch höher aus. Dort verschreiben schon fast 40 Prozent der Ärztinnen ihren neuen Patientinnen und Patienten als Mittel erster Wahl Vabysmo. Dies gilt normalerweise als Anzeichen dafür, ob sich ein Medikament durchsetzt.

«Dass es Pharmafirmen bei einem neuen Medikament auch um Marktanteile geht, ist völlig klar», sagt der Direktor der Universitätsklinik für Augenheilkunde des Inselspitals Bern, Martin Zinkernagel. Auch wenn zurzeit Vabysmo einen hohen Anteil habe, heisse dies nicht, dass es zur Standardtherapie werden wird. «Denn die Behandlungsstrategie ist individuell verschieden und abhängig von der Erkrankungsform und der Situation der Patientinnen und Patienten.»

Zinkernagel betont, dass es noch ein anderes Roche-Medikament gegen feuchte, altersbedingte Makuladegeneration gibt: Lucentis. Je nach Fall werde auch dieses Mittel weiterhin verabreicht. Es war das erste, das 2006 gegen die Krankheit auf den Markt kam, und es galt als Wunderspritze. «Es ist das Medikament, mit dem wir am meisten Erfahrung haben», sagt Zinkernagel. Auch seine Wirkung könne über mehrere Monate anhalten.

Auch bei Lucentis kostet die Spritze rund 900 Franken. Inzwischen ist jedoch der Patentschutz abgelaufen, und günstigere Nachahmermedikamente kommen auf den Markt. Noch viel günstiger und mit gleicher Wirkung wie Lucentis wäre allerdings Avastin. Das Krebsmittel von Roche ist rund dreissig Mal billiger – und hat die gleiche Wirkung gegen die tumorartigen Wucherungen in der Mitte der Netzhaut.