Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Neuer Streit auf dem Bau
Baumeister provozieren Streikwelle

Die meisten von ihnen sind gewerkschaftlich organisiert: Bauarbeiter im Juli im Zentrum von Bern.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Die Verhandlungen um einen neuen Gesamtarbeitsvertrag im Bauhauptgewerbe, der ab Anfang 2023 gelten soll, beginnen zwar erst im kommenden Frühling. Das Säbelrasseln der Sozialpartner, also der Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, hat aber schon begonnen. Besonders laut ist es aufseiten des Baumeisterverbands, der die Arbeitgeber vertritt: Er ist mit dem aktuellen Zustand nicht zufrieden.

Nicht nur hat der Verband in den vergangenen Wochen mehrere Beiträge auf seiner Internetseite aufgeschaltet, die sich kritisch mit dem aktuellen Vertrag und den darin festgesetzten Mindestlöhnen auseinandersetzen. Sondern er hat auch eine Studie in Auftrag gegeben, die ihn in seiner Argumentation stützen soll, und sie dieser Zeitung zur Publikation zur Verfügung gestellt.

Vertragsloser Zustand habe keine negativen Auswirkungen

Autor des Papiers ist George Sheldon, emeritierter Arbeitsmarktökonom an der Universität Basel und in der Schweiz eine der profiliertesten Stimmen auf diesem Gebiet. Sheldons Fazit nach der Analyse von Lohndaten der vergangenen 17 Jahre lautet: Ein vertragsloser Zustand würde sich wohl weder auf die Umsätze noch auf die Margen der Unternehmen negativ auswirken.

Ein Wegfall der Mindestlöhne könnte im aktuellen Umfeld mit hoher Bautätigkeit im Schnitt sogar einen positiven Effekt auf die Löhne haben, schreibt Sheldon. Allerdings bestünde dann für die Baumeister die Gefahr, dass ausländische Konkurrenten mit deutlich tieferen Löhnen im Schweizer Markt mitböten. Heute müssen sich diese an den Mindestlöhnen in der Schweiz orientieren.

«Wir wollen unseren Mitgliedern aufzeigen, dass die Branche auch in einem vertragslosen Zustand gut weiterproduzieren könnte.»

Gian-Luca Lardi, Baumeisterpräsident

Mit der neuen Studie will die Spitze des Baumeisterverbands an der Delegiertenversammlung vom Mittwoch und Donnerstag den Mitgliedern aufzeigen, dass sie einen vertragslosen Zustand als Option sieht.

«Viele Baumeister sehen einen Gesamtarbeitsvertrag als gottgegeben an», sagt Baumeisterpräsident Gian-Luca Lardi. «Wir wollen unseren Mitgliedern mit der Studie dagegen aufzeigen, dass die Branche auch in einem vertragslosen Zustand gut weiterproduzieren könnte.»

Ein Druckmittel gegen die Forderungen der Gewerkschaften

Insbesondere die vielen administrativen Vorgaben im aktuellen Vertrag sind den Arbeitgebern ein Dorn im Auge. Lardi nennt als Beispiel die Erfassung der Arbeitszeit.

Mindestens so stark wie als beabsichtigtes Zeichen gegen innen dürfte das Signal der Baumeister allerdings auch an die Gegenseite in den Vertragsverhandlungen, also die Gewerkschaften, gerichtet sein. «Wir schaffen uns so Optionen», sagt Lardi. «Wir gehen zwar mit dem Ziel in die Gespräche, uns auf einen neuen Gesamtarbeitsvertrag zu einigen. Aber wenn das nicht gelingt, müssen wir wissen, was die Alternative wäre.»

Bauarbeiter Ende September während der Grundsteinlegung beim Baustart für die zweite Röhre des Gotthard-Strassentunnels.

Klar ist, dass die Gewerkschaften einen vertragslosen Zustand mit ihrem wirkungsvollsten Instrument, nämlich Streiks, bekämpfen würden. «Wir gehen davon aus, dass die Leute sich wehren würden», sagt Nico Lutz, Leiter des Sektors Bau bei der Unia.

Das bedeutet: Die grösste Gewerkschaft würde zum Arbeitskampf aufrufen. «Die Mitglieder erwarten zu Recht, dass wir uns gemeinsam mit ihnen für ihre Arbeitsbedingungen einsetzen», sagt Lutz.

«Wir rechnen damit, dass es rund um die Verhandlungen zum Gesamtarbeitsvertrag zu Streiks kommen wird.»

Gian-Luca Lardi, Baumeisterpräsident

Die Unia vertritt gegen 40’000 Bauarbeiter und Bauarbeiterinnen. Weitere rund 15’000 sind bei der Syna organisiert. Die Gewerkschaften vertreten damit rund 70 Prozent der Arbeitnehmer im Bauhauptgewerbe – so stark und verhandlungsmächtig sind sie in keiner anderen Branche.

Der Baumeisterverband geht das Streikrisiko offenbar bewusst ein. Denn Lardi sagt: «Wir rechnen damit, dass es rund um die Verhandlungen zum Gesamtarbeitsvertrag zu Streiks kommen wird.» Die Gewerkschaften hielten sich leider immer weniger an die vertraglich festgelegte Friedenspflicht, die das Streiken untersagt. Doch sollte Anfang 2023 kein neuer Vertrag in Kraft sein, hätten sich die Arbeitnehmer nicht mehr daran zu halten.

Die Gewerkschaften haben mit der Streikdrohung ein gutes Argument auf ihrer Seite: Im Bild eine Protestkundgebung im Jahr 2018 in Zürich.

Wie diesen Herbst bekannt wurde, ist die Streikkasse der Unia prall gefüllt: Ihr Vermögen beläuft sich auf fast eine Milliarde Franken.

Die Erfahrung zeigt, dass sie bereit ist, dabei bis zum Äussersten zu gehen: So kam es 2007 zu einer monatelangen schweizweiten Streikwelle, nachdem der Baumeisterverband den Gesamtarbeitsvertrag gekündigt hatte. Sogar der Bundesrat griff ein und setzte einen Mediator ein.

Vorübergehend einigten sich die Parteien, doch dann blockierten die Baumeister die erzielte Einigung. Erst als der Bund damit drohte, die Löhne in der Branche ohne die Zustimmung der Arbeitgeber selber festzulegen, lenkten diese ein.

Auch 2011, 2015 und 2018 kam es zu heftigen Konflikten auf dem Bau. Letztlich mussten die Baumeister jedes Mal klein beigeben und den Vertrag verlängern.

Lohnverhandlungen zweimal hintereinander abgebrochen

«Natürlich sind Streiks und Blockaden nachteilig für die Arbeitgeber, das kann man nicht vom Tisch wischen», erkennt Lardi darum an. «Wir wollen die Diskussion über den Nutzen eines Gesamtarbeitsvertrags aber losgelöst von einem allfälligen Powerplay in einer Verhandlungssituation führen.»

Schon vor dem neusten Vorpreschen der Baumeister war die Stimmung unter den Sozialpartnern frostig: Trotz des Baubooms weigerten sich die Arbeitgeber sowohl im vergangenen als auch im laufenden Jahr, den von den Gewerkschaften verlangten Lohnerhöhungen zuzustimmen. Die Verhandlungen wurden jeweils ergebnislos abgebrochen.