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Schweizer Traditionsmarke
Als Bally noch für alli war

Beschriftung "BALLY" von Grafiker Gérard Miedinger. Architekten: Max Ernst Haefeli, Werner Max Moser, Rudolf Steiger, Eröffnung: 1968
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Mit den Händen können die Füsse es nicht aufnehmen. Sie sind weniger geschickt und weniger schön. Darum haben sie unterm Tisch zu bleiben und im Schuh zu verschwinden. Aber manche Füsse haben Glück: Sie tragen Schuhe von Bally, «made in Switzerland».

Vor 50 Jahren genoss der Weltkonzern aus dem Kanton Solothurn international einen ähnlich exquisiten Ruf wie die damalige Swissair und beglückte fast den ganzen Globus mit qualitativ hochwertigem und elegantem Schuhwerk. Die Modezeitschrift «Vogue» stellte jeweils die neuesten Modelle vor, Bally war Weltspitze – Bally aus Schönenwerd SO, nicht aus London, Paris oder New York. Bally hat die internationale Schuhmode geprägt wie keine andere Firma und Industrie- und Kulturgeschichte geschrieben, deren Spuren bis heute in der Gemeinde zwischen Aarau und Olten zu sehen sind.

Später Freitagnachmittag in Schönenwerd: Das Dorf macht es dem Besucher nicht leicht. Ein Bagger reisst die Hauptstrasse auf, die sich stauenden Autos hupen, der Intercity Bern–Zürich donnert vorbei. Philipp Abegg erhebt seine Stimme gegen den Lärm: «Dieses Gebäude war Ballys erstes Magazin», er zeigt auf ein grosses Haus, das dringend renoviert werden müsste. Abegg, ein Nachfahre der Ballys, zählt weitere Bauwerke in Schönenwerd auf, die alle der Firma Bally gehörten.

Einst…
Schweizer Familie, Die Bally Saga, Schönenwerd, SF43, Wissen

Schönenwerd ist Bally, nur sieht man es nicht. Das Dorf vernachlässigt sein kulturelles Erbe. Der weitläufige, einst so kunstvolle Garten um den ehemaligen Familiensitz Felsgarten, der heute in Privatbesitz ist, ist entstellt. Der nicht zu übersehende Outletshop Fashion Fish, der direkt am Bahnhof liegt, ist in der ehemaligen Herrenschuhfabrik untergebracht, die mit Werbeblachen zugepflastert ist. «Der Neubau war in den 1960er-Jahren der Stolz der Firma: die grösste tragstützenfreie Halle der Schweiz, die eine noch effizientere Produktion ermöglichen sollte», erläutert Abegg.

Hosenträger und Seidenbänder

Der grau melierte Jurist trägt stilvolle Lederschuhe. Am Rand von Schönenwerd betreibt Philipp Abegg mit fast 50 Freiwilligen das Museum Ballyana. Mit seiner nostalgischen Note erinnert der Name an die Zeiten, als Angestellte der Firma sich stolz «Ballyaner» nannten, weil sie sich als Teil der Erfolgsgeschichte fühlten. Seit rund 20 Jahren rettet Abegg von der Firmengeschichte, was zu retten ist. Seine Forschungen hat er in mehreren Publikationen aufgezeichnet.

Philipp Abegg im Ballyana 

Schweizer Familie, Die Bally Saga, Schönenwerd, SF43, Wissen, Philipp Abegg
Rebekka Gerber im Bally Archiv

Schweizer Familie, Die Bally Saga, Schönenwerd, SF43, Wissen

Die Bally-Saga startet 1851 mit Franz Bally: Er eröffnet in Schönenwerd seine Schuhfirma. Rund 500 Menschen leben im Dorf, die meisten sind Bauern und Bäuerinnen. Franz ist eines der 14 Kinder des ebenfalls hier ansässigen, gestrengen Bandfabrikanten Peter Bally, dessen Vater aus dem Vorarlbergischen eingewandert ist. Der Patriarch, von seinen Söhnen und Töchtern mehr gefürchtet denn geliebt, verfertigt Hosenträger sowie seidene und baumwollene Bänder zum Schmuck von Hüten, Kleidern und Schuhen. Das Geschäft floriert, Peter Bally kommt zu Wohlstand.

Sohn Franz steigt mit seinem ältesten Bruder Fritz ins väterliche Unternehmen ein, hat aber mehr im Sinn. In seinen Memoiren schreibt er, wie er auf Geschäftsreise in Paris auf entzückende Damenstiefelchen stösst, wie er sie noch nie gesehen hat. Da er die Schuhgrösse seiner Frau nicht kennt, die er beschenken will, kauft er zur Sicherheit gleich 12 Paar «Bottinen» in unterschiedlichen Grössen ein. Als er zurück im Dorf ist, reissen ihm die Schönenwerderinnen die überzähligen Schuhe förmlich aus der Hand.

Carl Franz Bally, Gründer der weltbekannten Schuhmarke, hiess eigentlich Franz Ulrich – und machte sich für das Marketing zu «C. F. Bally».

Bally junior hat eine Marktlücke entdeckt. Und wenn Frauen schöne Schuhe lieben, wieso sollten dies nicht auch Männer tun? Er denkt gross. Sein Unternehmen soll industriell viele Schuhe herstellen. Die jungen Näherinnen der Bandfabrik, die meist daheim arbeiten, sollen beides produzieren: Hosenträger und Schuhe. Die Schuhmacher der Umgebung, die bloss ihre klobigen Teile im Angebot haben, müssen wohl oder übel das Feld räumen.

Die Anfänge sind harzig. Franz und Bruder Fritz, die sich aus ganzem Herzen hassen, bringen zunächst Schuhe mit seitlichen Elastikbändern, die heute Chelsea Boots heissen, auf den Markt. Doch die Ware ist schlecht, es fehlt ihnen an Know-how und Kapital. Bally hat unterschätzt, wie anspruchsvoll die Herstellung von Fussbekleidung ist. Nur schon die Gestaltung des hölzernen Leistens, um den herum der lederne oder seidene Schuh gebaut wird, ist eine Kunst. Ein guter Schuh benötigt für seine Herstellung über 200 Arbeitsschritte.

Franz und Fritz trennen die Firma auf. «Bally Band» stellt in Schönenwerd weiterhin Bänder und textile Etiketten her. «C. F. Bally», wie Franz sich nun nennt, gibt nicht auf und setzt immer mehr auf Schuhe. Dank Geld vom Basler «Daig» und dank den internationalen Geschäftsbeziehungen, die er von der Bandfabrik übernommen hat, kann Bally die Massenware zunächst nach Südamerika für die Landbevölkerung exportieren, dann auch nach England und ins britische Kolonialreich. Er baut ein Filialnetz auf.

Akkordarbeit im Nähsaal in Schönenwerd um 1900: Jede dritte Arbeitskraft war unter 18 Jahre alt.

Der Durchbruch kommt in den 1870er-Jahren, als C. F. Ballys Sohn Eduard in die Vereinigten Staaten von Amerika reist und von dort neue Maschinen mitbringt. Sie verbessern die Produktion, inwendig maschinengenähte Schuhe werden zum Standard. Eduard fährt regelmässig in die USA, um sich über die Trends zu informieren. Die Firma produziert nun jährlich 2 Millionen Paar Schuhe. Sie ist in Europa Marktführerin und beschäftigt bald schon 2500 Arbeiterinnen und Arbeiter. Bally nennt sich «die grösste Schuhfirma der Welt».

Gewerkschafter verloren den Job

Am Ende des 19. Jahrhunderts steht C. F. Bally im Zenit: Grossindustrieller, freisinniger Nationalrat, Wohltäter. In Schönenwerd lässt er für die Bevölkerung einen riesigen Park nach englischem Vorbild anlegen, der im Gegensatz zum Familiengarten im Dorfkern noch heute gepflegt wird, dazu grosszügige Wohnungen mit Gärtchen für Angestellte und eine schlossähnliche Betriebskantine. Die Firma Bally sorgt für ihre Leute. Wer aber der Gewerkschaft beitritt, wird entlassen. Über ein Drittel der Belegschaft ist jünger als 18 Jahre. Und Humor ist dem Patron fremd, das belegen seine Memoiren. Emotional ist er ein Kleinkrämer. Als er 1899 stirbt, startet die Familie den Kult um seine Person: Richard Kissling, der renommierteste Schweizer Bildhauer jener Zeit, gestaltet eine Ehrfurcht erheischende Bronzebüste.

Rebekka Gerber im Bally Archiv

Schweizer Familie, Die Bally Saga, Schönenwerd, SF43, Wissen, Rebekka Gerber

«Aus den ersten Jahren der Firmengeschichte besitzen wir leider keine Schuhe, aber sonst sind wir recht gut dokumentiert», sagt Rebekka Gerber. Die Leiterin des Bally-Firmenarchivs, das in Schönenwerd im Obergeschoss eines Supermarkts untergebracht ist – auch er einst ein Bally-Bau –, neigt nicht zum Übertreiben: In den Glasschränken, die im abgedunkelten Saal in Reih und Glied stehen, sind nicht weniger als 35’000 Bally-Schuhe zu bewundern. Die ältesten stammen aus den 1860er-Jahren.

Die Sammlung ist weltweit einzigartig, Schuhfetischistinnen und -fetischisten kommen hier in einen Glücksrausch. Rebekka Gerber, auch sie trägt ausgesuchte Schuhe mit auffallender Sohle, zeigt lässig auf ein paar Preziosen: auf die mit echtem Blattgold geschmückte Gala-Sandalette, die Pumps mit den Halbmonden für den osmanischen Markt und die mit der Spinne. «Was es damit auf sich hat, wissen wir nicht», sagt Gerber. «Es gäbe so viel zu erforschen. Bally hat fast jede Art von Schuh produziert, auch Ski- und Ballettschuhe und natürlich Militär- und Kinderschuhe.» Anfänglich wiesen linker und rechter Schuh die gleiche zentrierte Form auf, als wären die Füsse symmetrisch gebaut.

Rebekka Gerber im Bally Archiv

Schweizer Familie, Die Bally Saga, Schönenwerd, SF43, Wissen

Obschon knapp 100 Jahre alt, sehen manche Exemplare brandaktuell aus, als ob sie soeben von einem Laufsteg in Mailand kämen. Andere haben Patina angesetzt. Sie wirken unmodisch, was sich aber bald wieder ändern könnte. «Wir erhalten immer wieder Besuch von Bally-Designerinnen und -Designern, die sich von unserem Archiv inspirieren lassen für ihre neuen Kollektionen», sagt Rebekka Gerber. Auch darum pflegt die Firma ihr Archiv. Hier leuchtet der Satz des Philosophen Walter Benjamin ein: Die Mode sei die ewige Wiederkehr des Neuen.

Rebekka Gerber führt zu einer Stange, über der diverse Lederproben hängen, die man befühlen darf. Bally machte Schuhe nicht nur aus Rindsleder, sondern auch aus Krokodil-, Schlangen- und sogar dem heiklen Fischleder, dazu wurden Felle von Fohlen, aber auch von Seehund und Leopard, von Ozelot und Gepard verarbeitet. «Heute kann man diese Materialien relativ einfach imitieren», beruhigt Gerber.

Auch für Handtaschen zog es die feinen Damen in aller Welt zu Bally: Filiale an der Kings Road im Swinging London der 1960er-Jahre.

Nach dem Ersten Weltkrieg startet Bally nochmals durch. Die Firma richtet eine Design-Abteilung ein. Während sie in fast jeder Weltstadt ihre von angesagten Architekten gestalteten Shops eröffnet, kauft sie in der Schweiz im grossen Stil Schuhläden auf, um in den Detailhandel einzusteigen. Der Slogan für die neue Strategie heisst: «Bally für alli – alli für Bally». Bally ist in Paris, New York und an der Zürcher Bahnhofstrasse nicht weniger präsent als im Schweizer Hinterland. Damit kommt die Firma mit allen Kundensegmenten in Kontakt und entwickelt ein Gespür für deren Wünsche und Bedürfnisse. Bally ist edel und populär zugleich.

Legendär sind Ballys Werbekampagnen. Fast alle bedeutenden Schweizer Grafiker haben Plakate gestaltet, die ebenfalls im Firmenarchiv liegen. Doch das Unternehmen investiert auch in Innovationen der Schuhmacherei. Berühmt unter Fachleuten ist das Ponte-Gelenk: Es garantiert, dass fragile Schuhen mit hohen Absätzen, deren Sohlen beim Gehen stark belastet werden, nicht brechen.

Bally Driver / Auto - Shoe
1965
- Long-life model with seasonal adjustments for women and men
- Comfort and grip while driving the car
- Collaboration with Shell

Noch in den 1970er-Jahren ist Bally in der Schuhindustrie das Mass aller Dinge. Aus dem Bauerndorf Schönenwerd ist eine pulsierende Fabrikstadt geworden, in deren Mitte das Familienanwesen Felsgarten thront. Niemand ausser Bally macht so gediegene Schuhe, die dennoch bezahlbar sind. Wer Bally trägt, fühlt sich besser – als ob sie oder er auf grossem Fuss lebte und weit und breit die schönsten Füsse hätte.

Wie Bally verscherbelt wurde

Mitte der 1970er-Jahre gerät Bally in finanzielle Nöte. «Die Firma hat wie andere Grossunternehmen die Auswirkungen der Globalisierung unterschätzt. Die Produktion in der Schweiz war teuer, die Konkurrenz aus dem Ausland billiger», sagt Philipp Abegg. «Das zu breite Sortiment ist der Firma zum Verhängnis geworden, sie brachte keine innovativen Modelle mehr auf den Markt», sagt Rebekka Gerber. 1976 schnappt der windige Financier Werner K. Rey sich die Aktienmehrheit und verscherbelt Bally weiter an die Waffenfabrik Oerlikon-Bührle, die sich für die vom Staat subventionierten Militärschuhe interessiert und die Immobilien liquidiert.

Die Firma schrumpft, 1999 wird sie von der Texas Pacific Group erworben, welche die Schuhproduktion in Schönenwerd beendet und den Firmensitz nach Caslano im Tessin verlegt. 2008 steigt die luxemburgische JAB Holding ein. Sie positioniert Bally neu: mit Luxuskleidung und schillernden Accessoires mit einem Hauch Swissness.

Vor ein paar Wochen ist die Firma vom kalifornischen Investor Michael Reinstein übernommen worden, der mit Software und Medien handelt. In Caslano werden noch immer Schuhe gemacht. Noch immer für Füsse, die schöner durchs Leben gehen wollen.

Legendäre Bally-Schuhmodelle

1860

First Bally Shoe Type
Around 1860-80
- Not proofed but assumed that this type of «chelsea boot»
was the first Bally shoe model.
- The knowhow to produce elastic ribbons was already there.
- These kind of boots were exported to South America
(Uruguay as of 1870).

Chelsea Boot aus der Gründerzeit, in jüngster Zeit wieder top angesagt.

1939

Als Europa im Krieg versank, setzte Bally voll auf den US-Markt, etwa mit der goldenen «Shell Sandal».

1951

Scribe
As of 1951
The oldest «Scribe», found in the archive from 1958

- A label for the best quality goodyear welted shoes was coined in 1951 by
Max Bally (grandson of C.F. Bally).
- The Scribe represents Bally with its tradition for craftmanship, quality,
durability and timeless elegance.
- The name “Scribe” comes from the Hotel Scribe in Paris, where Max Bally
loved to stay during his trips to Paris.
- 242 working steps are needed to produce a Scribe.

Der zeitlos elegante Herrenschuh «Scribe» benötigte 242 Arbeitsschritte.

1958

Von Bally für Couturier Pierre Cardin: Pumps mit Seidenbezug aus der Zürcher Manufaktur Ludwig Abraham.

1958

Rote Socken und das Modell «Sparta» wurden auf allen Wanderwegen gern getragen.

1978

Vom Synthetik-Boom blieben die Füsse nicht verschont: Mule mit Acrylglas-Sohle.

2003

Die damalige Bundesrätin Micheline Calmy-Rey setzte mit diesem Bally an der Grenze zu Nordkorea ein Schweizer Zeichen.

2024

Ballyrina Flat In Andorra Patent Leather
CHF 780

Die neuste «Ballyrina Collection» erinnert an die Zeit, als auch Ballettschuhe zu Ballys Kernkompetenzen gehörten.

Mehr Bally

Museum Ballyana: Das «Königreich Bally» hat Land und Leute der Region Schönenwerd während fast 200 Jahren geprägt. Das Museum Ballyana erweckt diese Geschichte mit noch immer funktionierenden Maschinen aus der Gründerzeit der Industrialisierung zum Leben. Auch Werbeplakate und natürlich Schuhe sind zu bestaunen. ballyana.ch

Der Bally-Park: Chinesischer Pavillon und Pfahlbauerdorf, Waldkapelle und Zyklopenbrücke: Der Bally-Park in Schönenwerd steckt bis heute voller Überraschungen. C. F. Bally lässt den Landschaftsgarten ab 1868 in englischem Stil auf einem ehemals sumpfigen Gelände am Rand von Schönenwerd anlegen. Er soll seinen Arbeitern und der lokalen Bevölkerung als Oase der Erholung dienen.