Zürcher Bally-KugelnEin «Lover» für Taylor Swift
Seit fast zehn Jahren begrüssen die Leuchtkugeln an der Bahnhofstrasse die Stadt täglich mit einem neuen Wort. Manchmal deuten sie auch auf Events hin – wie Anfang Woche auf die Swift-Konzerte.
Am ersten Konzerttag stand «Lover», am zweiten «Karma». Die Kugeln, die das alte Bally-Haus und den heutigen Zara-Laden zieren und auf denen jeden Tag ein anderes Wort mit fünf Buchstaben steht, begrüssten Taylor und ihre Swifties während der Konzerte mit Songtiteln des Megastars.
Verantwortlich für die Grussbotschaft ist die Autorin Olivia El Sayed, Fan von Taylor Swift. «Ich sah, was andere Städte machten, um Taylor willkommen zu heissen», sagt sie. So hat sich die deutsche Stadt Gelsenkirchen für drei Tage in «Swiftkirchen» umbenannt. «Die Schweiz ist tendenziell zwar eher zurückhaltend, aber ich wollte es probieren», sagt El Sayed.
So stellte sie im Januar ihren 10’000 Instagram-Followern in einer Story die Frage, wer eigentlich für die Auswahl der Wörter verantwortlich sei. Schnell wurde klar: Das ausfindig zu machen, ist gar nicht so einfach. Prompt folgte eine Schnitzeljagd durch Kreisbüros und Gebäudeverwaltungen, bei der sie von ihren Followerinnen und Followern unterstützt wurde. Dokumentiert hat sie das alles mehr oder weniger live in ihren Instagram-Storys. Schliesslich fand sie einen Kontakt bei der PSP Swiss Property, einem der grössten Immobilienunternehmen der Stadt.
Dieser gehört die Liegenschaft. Das Gebäude samt Kugeln wird von einer Person verwaltet. Namentlich möchte diese jedoch nicht erwähnt werden. Die Kugeln sollen ein Eigenleben führen, heisst es auf Anfrage.
Bally ging, die Kugeln blieben
Wo heute Zara ist, war früher der Schweizer Retailer Bally, nach dem die Kugeln benannt sind. Dessen Schuhe wurden ab 1927 im Eckhaus an der Bahnhofstrasse 66, dem sogenannten Bally-Capitol, verkauft. 1968 wurde das Gebäude von den bekannten Zürcher Architekten Haefeli, Moser und Steiger, die unter anderem das Kongresshaus und das Universitätsspital bauten, totalsaniert. Teil des Neubaus war ein aus fünf Kugeln bestehender Schriftzug, auf dem «Bally» zu lesen war, gestaltet vom Grafiker Gérard Miedinger.
2013 zog Bally aus der Liegenschaft aus, die Fast-Fashion-Kette Zara übernahm. Das Gebäude musste saniert werden. Kurz vor den Renovationsarbeiten setzte die Stadt das Gebäude samt den Kugeln unter Denkmalschutz. Zara duldete aber keinen Schriftzug eines anderen Modeunternehmens.
Täglich ein neues Wort
Das zwang die Besitzerin PSP, kreativ zu werden. Zusammen mit dem letztes Jahr verstorbenen Signaletiker Hans Grüninger und seinem Team der WBG AG für visuelle Kommunikation fand sie eine Lösung, die der neuen Mieterin sowie dem Denkmalschutz gerecht wurde: Die Kugeln würden bleiben, jeden Tag sollten die darin installierten LED-Lichter aber ein anderes fünfbuchstabiges Wort zeigen. Zu lesen sind seither die unterschiedlichsten Wörter, mit Ausnahme von Werbebotschaften, Marken, Produktnamen sowie anstössigen oder ehrverletzenden Begriffen.
«Wir hatten die schöne Aufgabe, uns Wörter zu überlegen, die den baurechtlichen Vorschriften sowie den Anforderungen der Denkmalpflege entsprechen», sagt Benedikt Flüeler von der WBG AG, der damals bei der Umgestaltung mitwirkte.
Ein Jahr lang hätten er und sein Team fünfbuchstabige Wörter gesammelt. «Beim Zeitunglesen und in Konversationen achtete ich stets darauf, ob ein Wort sich eignete, und notierte es.»
Die Kugeln wurden 2015 in Betrieb genommen. Die erste Liste umfasste 564 Wörter, die von einem Zufallsgenerator täglich ausgewählt werden. Auch gibt es 164 zusätzliche Wörter, die für spezifische Festanlässe eingesetzt werden können. In der Weihnachtszeit landen so Begriffe wie «Engel» in der Auswahl, während des WEF-Forums im Januar poppte ein «Forum» auf, und an Silvester stand «Party» auf den Kugeln.
Die Liste wird laufend ergänzt und auf den neusten Stand gebracht. Welches Wort angezeigt wird, entscheidet nach wie vor ein Zufallsgenerator, sagt Benedikt Flüeler. An einem Tag steht «Lucky», manchmal «Moral», manchmal auch einfach «Digga». «Die Anzeige soll die Passanten ein wenig stutzig machen und nicht selbsterklärend sein», sagte der verstorbene Grüninger vor einigen Jahren zu dieser Redaktion.
Das Zürcher Orakel
Deswegen fungieren für einige Passantinnen und Passanten der Bahnhofstrasse die Wörter auch als mysteriöse, fast zeichenhafte Botschaft, sagt Benedikt Flüeler. Heute steuern drei Personen die Wortauswahl mit einem internen Tool. In diesem sind jeweils das heutige sowie das morgige Wort zu sehen. Wenn eine der zuständigen Personen einen kurzfristigen Änderungswunsch hat, kann sie das im System eintragen. «Wir vertrauen einander, dass die Regeln für die Wortauswahl jeweils eingehalten werden. Bei sehr kurzfristigen Änderungen informieren wir uns gegenseitig per Mail», sagt Flüeler. So werde das seit knapp zehn Jahren gehandhabt.
Anfragen erreichen die WBG trotzdem immer wieder. «Herauszufinden, wer das eigentlich verantwortet, ist schon nicht so einfach, aber auch nicht unmöglich», sagt Flüeler. So gebe es Personen, die sich unter den Kugeln verloben wollten und sich den fünfbuchstabigen Namen der Zukünftigen wünschten.
Die Wortauswahl auslagern oder der Stadtbevölkerung gegenüber öffnen, möchten sie aber nicht. «Der Sinn war, dass es nicht einem Zweck dient, schon gar nicht einem kommerziellen, sondern quasi Kunstfreiheit geniesst», sagt Flüeler. Das sei in der Konzeption einer der wichtigsten Aspekte gewesen. «Und so soll es auch bleiben.»
Olivia El Sayed hatte Glück: Man teilte ihr mit, dass man die von ihr vorgeschlagenen Wörter «Lover» und «Karma» prüfen werde, aber nichts versprechen könne. «Ich habe so Freude, dass es geklappt hat», sagte die Autorin am 1. Konzerttag. Vielleicht, so hofft El Sayed, hat Swift den Willkommensgruss aus ihrem Hotelzimmer am Paradeplatz, wo sie mutmasslich übernachtete, erspäht.
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