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Interview mit Aymo Brunetti
«Die Schweiz braucht keine Grossbank»

Aymo Brunnetti, uni Bern
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Herr Brunetti, vor einem Jahr hat die UBS die CS dank staatlicher Absicherung geschluckt. Sie sind überzeugt, dass man die CS geordnet hätte teilliquidieren können, um das Inlandgeschäft zu retten. Warum hätte dies funktionieren sollen?

Im März 2023 hat man unter Zeitdruck gegen eine Abwicklung der CS entschieden, weil man die Risiken für zu hoch hielt. Das ist aber nicht der Beweis, dass die «Too big to fail»-Regeln nicht funktionieren, die das ermöglicht hätten. In verschiedenen Berichten wurden seither zwar Lücken im Abwicklungsregime festgestellt, die Umsetzbarkeit der Regeln aber bestätigt. Für mich ist das der Ansatzpunkt. Eine allfällige Abwicklung der UBS muss ohne staatliche Unterstützung wasserdicht funktionieren.

Und wenn das nicht gelingt?

Da die UBS die letzte verbliebene Schweizer Grossbank ist, bliebe als einzige Alternative eine Verstaatlichung. Letzteres würde bedeuten, dass der Staat eine dysfunktionale Grossbank übernähme und ein Risiko von Hunderten von Milliarden Franken tragen würde. Das wäre inakzeptabel.

Wo sehen Sie die erwähnten Lücken im Abwicklungsregime?

Es geht primär darum, während einer Abwicklung einen Bankensturm zu verhindern, der die Bank in kürzester Zeit illiquid macht. Heute weiss man, dass es dazu einen sogenannten Public Liquidity Backstop braucht, eine staatlich abgesicherte Liquiditätsunterstützung.

«Es wäre unrealistisch, von der Ökonomie die Prognose krisenartiger Einbrüche zu erwarten.»

Aber das wäre doch wieder eine Art Staatsgarantie?

Es trifft zu, dass dabei in letzter Konsequenz die Steuerzahlenden geradestehen. Dies aber nur im wenig wahrscheinlichen Fall, dass die von der Bank hinterlegten Sicherheiten für die Liquidität nicht ausreichen. Die staatliche Liquiditätsunterstützung ist letztlich wie eine Versicherung für einen Extremfall. Aber entscheidend ist, dass die UBS für diese Versicherung eine substanzielle, risikogerechte Prämie bezahlen muss. Wenn dem nicht so ist, haben wir tatsächlich wieder eine Staatsgarantie. Im Moment ist von ein paar Millionen Franken Prämie die Rede. Meines Erachtens ist das viel zu wenig.

Wie hoch muss denn die Prämie sein?

Ich nenne keine Zahlen. Letztlich ist die Prämie abhängig vom Risikoverhalten der Bank in Bezug auf die Liquidität. Das ist bei jeder anderen Versicherung auch so und setzt die richtigen Anreize.

UBS-Chef Sergio Ermotti drohte einst mit einem Wegzug der Bank bei schärferer Regulation. Besteht dieses Risiko nach wie vor?

Das beeindruckt mich nicht besonders. Es wird stets behauptet, wir hätten multinationale Unternehmen, daher brauche es eine global tätige Bank. Das ist ein absurdes Argument. In der Schweiz fahren auch praktisch alle Auto, obwohl wir keine Autos produzieren. Die Schweiz braucht keine Grossbank. Wir müssen bei einem Wegzug der UBS zwar auf gut eine halbe Milliarde Franken Gewinnsteuern pro Jahr verzichten. Dafür hätten wir aber das grosse Risiko nicht mehr am Hals. Die UBS-Bankkunden in der Schweiz würden im Übrigen wohl kaum etwas davon merken, weil das Inlandgeschäft für die Bank nach wie vor attraktiv bliebe. Trotzdem wäre es natürlich bei weitem am besten, wenn die UBS in der Schweiz beheimatet bliebe – falls man sie wirklich ohne Staatshilfe abwickeln könnte.

Portrait von Sergio Ermotti, fotografiert am UBS Hauptsitz an der Bahnhofstrasse.
31.08.2023
(URS JAUDAS/TAGES-ANZEIGER)

Niemand hat den CS-Niedergang kommen sehen – wie auch die Finanzkrise 2008. Was taugt die Ökonomie?

Es wäre unrealistisch, von der Ökonomie derartige Prognosen zu erwarten. Eine Volkswirtschaft ist sehr komplex, und es gibt wenig Daten, die erst noch mit Verzögerung eintreffen. Wie die heutige Wirtschaftslage ist, wissen wir erst in zwei, drei Monaten, wenn entsprechende Daten vorliegen. Noch viel schwieriger ist die Prognose krisenartiger Einbrüche.

Was kann denn Ökonomie überhaupt?

Wenn die Krise eintrifft, wissen wir dank ökonomischer Analyse früherer Krisen, was zu tun ist. So gibt es viele Parallelen zwischen der Finanzkrise 2008 und der Grossen Depression von 1929. Ohne die Erkenntnisse aus der Analyse der Grossen Depression hätte die Finanzkrise 2008 eine jahrelange Wirtschaftskrise zur Folge gehabt. So wusste man etwa, dass man die Zinsen senken und die Geldmenge ausdehnen muss, um diese Krise zu bekämpfen. Wichtig war auch eine gut ausgebaute Arbeitslosenversicherung. Man hat die Lehren aus der Vergangenheit gezogen. Insofern ist die Ökonomie wertvoll.

Ein Nebeneffekt davon war die Inflation. Sie hat viele Ökonominnen und Ökonomen überrascht. Das spricht nicht für die Wissenschaft.

Die letzte grössere Inflation war in den 1970ern, ist also sehr lange her. Jüngere Ökonominnen und Ökonomen hielten sie denn auch kaum mehr für ein Problem. Bei der Bekämpfung ist es wichtig, die damaligen Erfahrungen jetzt zu berücksichtigen. So steigt aktuell der Druck, die Zinsen wieder zu senken. Wenn man dem aber zu rasch nachgibt, könnte dasselbe wie damals in den USA passieren. Dort stieg die Inflation derart stark an, dass die US-Zentralbank mit Zinsen von zwanzig Prozent zum Holzhammer greifen musste. Das hat die Inflation zwar bekämpft, aber eine schwere Rezession ausgelöst.

«Eine Verdoppelung des Benzinpreises hätte eine riesige Lenkungswirkung.»

Das Unbehagen gegenüber dem Wirtschaftswachstum wächst. Was sagt der Ökonom dazu?

Praktisch alle Argumente gegen Wachstum sind einfach zu widerlegen. Ein Beispiel: Wenn ich Ihnen 10’000 Franken anbiete, werden Sie diese wahrscheinlich nehmen. Und das gilt für die meisten Menschen. Mehr Wohlstand scheinen alle zu schätzen. Die Menschen sind nun mal, wie sie sind. Es gibt aber ein Problem, welches das Wachstum unbestritten mit sich bringen kann.

Worauf spielen Sie an?

Wird das Klimaproblem nicht gemildert, führt das Wachstum nicht automatisch zu mehr Wohlstand. Im Verkehr zum Beispiel sind die externen Kosten für die Umwelt nicht in den Benzinpreisen berücksichtigt. Ökonominnen und Ökonomen empfehlen mit Nachdruck, dass man die Umweltschäden in den Benzinpreisen berücksichtigt. Darum wäre eine entsprechende Lenkungsabgabe absolut zentral. Letztlich ist der Umweltschutz in der politischen Realität vom Wachstum abhängig. In einer schrumpfenden Wirtschaft wird niemand für Umweltschutzkosten bezahlen wollen.

Wie teuer müsste denn der Liter Benzin sein?

Es ist schwierig, das präzise zu sagen. Eine Verdoppelung etwa hätte eine riesige Lenkungswirkung.

Stau im Wankdorf am 28.01.2022 in Bern. Foto: Raphael Moser / Tamedia AG

In Frankreich gab es eine Revolte deswegen.

Die richtige Lenkungsabgabe funktioniert über eine Rückgabe der Mehreinnahmen der Benzinpreiserhöhung pro Kopf an die Bevölkerung. Am besten wäre eine Rückerstattung – sichtbar – per Check. Gerade ärmere Familien könnten am stärksten davon profitieren, weil sie oft weniger Benzin verbrauchen. Sie erhielten netto jedes Jahr Tausende von Franken aus den Erträgen der Lenkungsabgabe. Das ist politisch deutlich attraktiver als die blosse Erhöhung des Treibstoffpreises.

Im Moment scheint die Subventionierung alternativer Energien politisch machbarer zu sein. Was halten Sie davon?

Das ist eine deutlich weniger effiziente Lösung. In der Marktwirtschaft wird Knappheit über Preise ausgedrückt, was zu einem effizienten Umgang mit knappen Ressourcen führt. Das ist der Vorteil der Lenkungsabgabe.

«Die Personenfreizügigkeit ist ökonomisch eine Erfolgsgeschichte erster Güte.»

In der aktuellen Krise kommt die Schweiz trotz Inflation ungeschorener davon als ihre Nachbarn. Was macht unsere Resilienz aus?

In den 1990er-Jahren war das noch ganz anders: Es gab das EWR-Nein, eine Immobilienkrise und eine Aufwertung des Schweizer Frankens. Das führte zu einem längeren Quasinullwachstum und zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit auf über fünf Prozent. Seither hat sich das geändert. Der Schock der 1990er hat zu wirtschaftspolitischen Reformen beigetragen, die uns resilienter gemacht haben. Die Einführung der Schuldenbremse zum Beispiel war der absolut entscheidende Punkt. Aber auch die bilateralen Verträge mit der EU waren sehr wichtig, um den Marktzutritt zu Europa zu erhalten. Zudem hat die Schweiz heute eine sehr stark diversifizierte Exportwirtschaft. Man denkt immer nur an die Multis. Aber die Schweiz hat in sehr vielen Sektoren relativ kleine Firmen, die Weltmarktführer sind.

Welche Rolle spielt die Personenfreizügigkeit?

Sie ist ökonomisch eine Erfolgsgeschichte erster Güte. In der Finanzkrise war die Schweiz eines der wenigen Länder, in denen der Konsum und die Bauwirtschaft dank der Nachfrage durch die Migration nicht in die Rezession gerieten. Seit der Personenfreizügigkeit können die Unternehmen qualifizierte Personen direkt dort anstellen, wo Knappheit ist. Das hat die Resilienz der Schweiz massiv verstärkt.

Wie wichtig ist die Tiefsteuerpolitik?

Ein vernünftiges Steuersystem gehört zu den Rahmenbedingungen. Die Schweiz ist aber sicher nicht primär deshalb erfolgreich, weil sie Steuersubstrat anderer abzieht. Mit der Aufhebung des steuerlichen Bankgeheimnisses für Personen aus dem Ausland erfüllt sie inzwischen die internationalen Vereinbarungen; das gilt auch für die Geldwäscherei. Die strikte Umsetzung der internationalen Vorgaben in diesen Bereichen ist sehr wichtig für die Schweiz. Wegen unserer Vergangenheit und unserer Stellung als global erfolgreicher Wirtschaftsstandort werden wir immer im Schaufenster stehen.

Dieses Interview erscheint in einer längeren Version auch im «Unifokus», dem Print-Magazin der Universität Bern.