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Initiativen in Basel-Stadt und Genf
Aus der nationalen werden kantonale Konzernverantwortungsinitiativen – ist das erlaubt?

Per handgeschriebene Postkarten weibelten die Befürworterinnen der Konzernverantwortungsinitiative 2020 für ein Ja. Da die Vorlage scheiterte, wollen die Initianten das Vorhaben nun kantonal angehen.

Die Idee klingt bestechend: Hat ein politisches Anliegen bei einer nationalen Abstimmung keinen Erfolg, boxt man es auf kantonaler Ebene durch. Das hat beispielsweise bei den Mindestlöhnen geklappt. 2014 erteilte die Bevölkerung der Initiative mit 76 Prozent Nein-Stimmen eine klare Abfuhr. In den Kantonen hingegen funktioniert es: Fünf kantonale Mindestlöhne wurden eingeführt.

So versprechen sich auch die Initiantinnen und Initianten der Konzernverantwortungsinitiative Erfolg. Sie wagen einen zweiten Anlauf mit zwei identischen Initiativen in den Kantonen Basel-Stadt und Genf, wo gewichtige Konzerne ansässig sind. 

Das Thema ist aktuell. Die Schweiz kommt wegen der EU unter Druck. Zudem scheiterte die nationale Vorlage 2020 nur haarscharf am Ständemehr. Die EU will Unternehmen schon bald dazu verpflichten, Menschenrechte einzuhalten, die Umwelt nicht zu zerstören und klimaschädliche Emissionen zu reduzieren. Dasselbe hat die Koalition für Konzernverantwortung nun auch mit Basler und Genfer Konzernen vor.

Nur: Ist es überhaupt erlaubt, ein nationales Anliegen über eine kantonale Vorlage durchzubringen?

«Ich habe einige Fragezeichen», sagt Felix Uhlmann. Der Zürcher Staatsrechtsprofessor hat schon mehrfach zu Bundesrecht und zur Rolle der Kantone publiziert. «Die zentrale Frage ist: Geht es hier um einen Bereich, in dem die Kantone wirklich Pflichten erlassen dürfen, oder ist der Bereich abschliessend durch Bundesrecht geregelt?»

Schadenersatz gestrichen, Klimaziele neu Pflicht

Die Kantone sind zuständig für das öffentliche Recht. Also alles, was das Verhältnis des Bürgers zum Staat regelt, wie das Verfassungs- oder Völkerrecht. Wenn der Bund hingegen einen Bereich abschliessend regelt, dürfen sich die Kantone nicht mehr einmischen. Dies ist beispielsweise bei der AHV der Fall. Eine kantonale Initiative, um das Rentenalter zu erhöhen, wäre daher nicht zulässig. 

Auch das Zivilrecht ist Aufgabe des Bundes. Darum mussten sich die Initianten in der kantonalen Konzernverantwortungsinitiative vom Klagerecht verabschieden, das Betroffenen ermöglicht hätte, Konzerne wegen Schadenersatz zu verklagen.

Die Initiantinnen liessen ihr Vorhaben von zwei unabhängigen Rechtsgutachtern untersuchen. Sie kamen gemäss ihrem Rechtsberater zum Schluss: «Die Initiative ist zulässig, da sie sich auf öffentliches Recht beschränkt.»

Könnte bald an Basler und Genfer Balkongeländern hängen: Ein Abstimmungsplakat aus dem Jahr 2020. 

Das überzeugt Uhlmann nicht: «Die Beschränkung auf öffentliches Recht spricht zwar eher für die Gültigkeit, garantiert diese aber keineswegs.»

Das Herzstück der kantonalen Initiativen ist folgendes: Die Unternehmen müssen die Sorgfaltsprüfungspflicht erfüllen, die nötig ist, um die international anerkannten Menschenrechte zu respektieren. Dasselbe gilt für internationale Umweltstandards. Und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Bei Verstössen kann eine unabhängige Aufsichtsstelle vorsorgliche Massnahmen ergreifen oder Bussen verlangen.

Was 2020 nicht erhalten war und neu dazukommt: Die Unternehmen müssen sich auch dazu verpflichten, ihre CO₂-Emissionen zu reduzieren. Mittels entsprechender Reduktionsziele müssen sie sicherstellen, «dass ihre gesamte Geschäftstätigkeit mit dem Ziel der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius vereinbar ist».

Bundesrecht oder nicht?

Bei den Klimazielen ist Uhlmann besonders skeptisch: «Die Kantone dürfen beispielsweise nicht die CO₂-Abgabe eigenständig erhöhen.» Die Initiantinnen äussern sich zwar nicht dazu, wie genau die Ziele festgelegt und erreicht werden sollen. Aber ohne eine Einschränkung des Ausstosses werde es kaum gehen, sagt Uhlmann: «Und hier ist Bundesrecht einschlägig.»

Auch das Erreichen der «internationalen Umweltstandards», wie es die Initiativen verlangen, stellt Uhlmann infrage. «Umweltschutzrecht ist massgeblich durch den Bund geregelt, und die Kantone können die Vorschriften nicht nach Belieben verschärfen.» Eine bundesrechtskonforme kantonale Umsetzung hält der Staatsrechtsprofessor zwar für möglich. «Aber die Initiativen wecken Erwartungen, die sie nicht oder nur zum Teil einlösen können.»

«Umweltschutzrecht ist durch den Bund geregelt, die Kantone können die Vorschriften nicht nach Belieben verschärfen»: Staatsrechtler Felix Uhlmann hinterfragt die kantonalen Konzernverantwortungsinitiativen.

Die Initiantinnen und Initianten entgegnen, sie hätten diese rechtlichen Fragen abgeklärt. Was die Klimaziele der Unternehmen betrifft, argumentiert ihr Rechtsberater: «Der Bund hat bislang keine abschliessenden Absenkungspfade vorgegeben.»

Zwar sind Reduktionsziele Inhalt der baldigen Abstimmung zum Klimagesetz. Jedoch nur für Emissionen in der Schweiz. «Auslandsemissionen bis in die Wertschöpfungskette, die gemäss den kantonalen Initiativen ebenfalls reduziert werden müssen, sind nicht enthalten», so der Rechtsberater. Daher werde es auch künftig keine abschliessend geregelte Materie sein.

Was die internationalen Umweltstandards angeht, gehe die Initiative nicht weiter als jene des Bundes. «Sie beschränken sich vielmehr auf einen harten Kern. Sie sollen sich neu einfach auch bei Auslandstätigkeiten verbindlich an Unternehmen richten.»

Notfalls entscheidet das Gericht

Ob die Kantone diese Pflichten letztlich auferlegen dürfen, lässt sich heute nicht abschliessend beantworten. Gegner könnten eine kantonale Konzernverantwortungsinitiative vor Bundesgericht anfechten. So wie es Branchenverbände und Privatpersonen beispielsweise beim kantonalen Mindestlohn in Neuenburg taten. 

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab: Der Mindestlohn sei eine «sozialpolitisch motivierte Massnahme». Und in der Sozialpolitik haben die Kantone viel Spielraum.

Auch die Mindestlohninitiative, für die wie hier am 1. Mai 2014 demonstriert wurde, scheiterte auf dem nationalen Parkett, hatte danach aber in fünf Kantonen Erfolg.

Auch im Klimabereich hat das Bundesgericht den Kantonen zuletzt mehr Spielraum verschafft. So etwa in einem Urteil, das Anfang Monat gefällt wurde. Das Bundesgericht bestätigte die Gültigkeit einer kommunalen Initiative im luzernischen Hochdorf, die verlangt, dass bis 2030 alle Heizungen in bestimmten Zonen auf erneuerbare Energien umstellen müssen.  

Ob sich die Wirtschaft gegen die kantonalen Konzernverantwortungsinitiativen wehren wird, lässt sich noch nicht absehen. Detailriese Coop, der durch seinen Sitz in Basel-Stadt betroffen wäre, kann das Anliegen der kantonalen Initiativen verstehen, ist aber der Ansicht, «dass eine Regulierung auf Kantonsebene nicht zielführend ist». Eine Regulierung auf Bundesebene solle sich an der EU-Lieferkettenrichtlinie orientieren, die notabene viel weiter gehen wird als der geltende Schweizer Gegenvorschlag.

Der Branchenverband der Schweizer Schokoladenhersteller Chocosuisse will – wie der Bundesrat – wichtige Fragen auf EU-Ebene abwarten. Direktor Urs Forrer sagt: «Es braucht eine international sorgfältig abgestimmte Bundeslösung, kein Vorpreschen mit einem Flickenteppich kantonaler Regeln.»

Der Schweizer Verein für Rohstoffhandel und Schiffstransport (STSA) will die Initiativen noch nicht kommentieren. Als Dachverband begrüsse man aber «jeden demokratischen Prozess». 

Im Kakaoanbau wie hier an der Elfenbeinküste ist das Verhindern von Kinderarbeit ein grosses Thema. Insbesondere für die Schweiz mit ihren führenden Schokoladenherstellern.

Explizit gegen den Inhalt der Initiativen spricht sich auch die Handelskammer beider Basel nicht aus. Gabriel Schweizer, Leiter Aussenwirtschaft, hält eine schweizweit einheitliche Regelung aber für zielführender. Der Gegenvorschlag zur nationalen Initiative, der 2022 in Kraft trat, sei «das richtige Instrument, um eine international abgestimmte Regulierung sicherzustellen». 

Vergangenen Dezember hatte der Bundesrat die Situation analysiert. Er will die im Gegenvorschlag enthaltene Berichterstattungspflicht der EU angleichen. Nicht aber verbindliche Sorgfaltspflichten für Konzerne einführen. 

Nicht zuletzt deshalb befürchtet die Koalition für Konzernverantwortung, die Schweiz könnte international nicht Schritt halten. Mit den kantonalen Initiativen will sie nun vorwärtsmachen.