Ausschreitungen in ArgentinienMilei erzielt politischen Erfolg – und provoziert Massenprotest
Mitten in der Wirtschaftskrise bringt der argentinische Präsident sein erstes grosses Gesetzesvorhaben durch. Der Protest gegen den «Anarchokapitalisten» schlägt in teils offene Gewalt um.
![TOPSHOT - A Cadena 3 radio station car set on fire is pictured during a protest outside the National Congress in Buenos Aires on June 12, 2024. Argentine senators are discussing a key reform package for the ultra-right-wing president Javier Milei, in a session marked by strikes and demonstrations in front of Congress. (Photo by Luis ROBAYO / AFP)](https://cdn.unitycms.io/images/DU-gPzyb4we80xid2S86y4.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=GM31jF6fZIA)
Es war, als hätte selbst das Wetter sich der aktuellen Lage in Argentinien angepasst. Im Senat des südamerikanischen Landes diskutierten am Mittwoch die Abgeordneten bis spät in die Nacht über ein umstrittenes Gesetzesvorhaben. Draussen, vor dem Gebäude, lieferten sich Demonstranten derweil heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei. Steine flogen, Brandsätze, Gummigeschosse.
Doch am Ende mischten sich das Tränengas der Polizei und der Rauch eines in Brand gesteckten Autos dann mit dichtem Nebel. In riesigen Schwaden hatte er sich über grosse Teile der Hauptstadt gelegt. Symbolisch sei das, sagte ein Fernsehkommentator. Die Zukunft? Ungewiss.
![TOPSHOT - Anti-riot police officers stand guard during a protest outside the National Congress in Buenos Aires on June 12, 2024. Argentine senators are discussing a key reform package for the ultra-right-wing president Javier Milei, in a session marked by strikes and demonstrations in front of Congress. (Photo by Luis ROBAYO / AFP)](https://cdn.unitycms.io/images/CTnyNhlFKnrBlEeaGQboJF.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=S8seNXh8yV4)
Argentinien befindet sich in einer schweren Krise: Die Inflation ist dreistellig, die Staatskasse leer, und mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Bei den vergangenen Wahlen im November hatten viele Menschen darum Javier Milei ihre Stimme gegeben, ein politischer Aussenseiter, der sich selbst als «Anarchokapitalist» bezeichnet und den Staat als «mafiöse Organisation».
«Und in 40 Jahren sind wir wieder eine Weltmacht!»
Anfang Dezember hat Milei sein Amt angetreten. Seitdem hat seine Regierung die Landeswährung Peso abgewertet, Subventionen gestrichen und öffentliche Bauaufträge auf Eis gelegt. Schon Ende dieses Jahres soll der Haushalt wieder ausgeglichen sein, so verspricht es der Staatschef. «Und in 40 Jahren sind wir wieder eine Weltmacht!»
Abgesehen von seinem radikalen Sparkurs schaffte es Milei aber lange nicht, echte Reformen einzuleiten. Ein gigantisches Gesetzespaket hing erst im Kongress fest, dann im Senat. Diese Woche nun, nach mehr als einem halben Jahr im Amt, haben die Abgeordneten dem Vorhaben zugestimmt. Das sogenannte «Basis- und Ausgangsgesetz für die Freiheit der Argentinier», meist nur «Ley Bases» genannt, umfasst etwa 200 Punkte. Darunter sind zeitlich begrenzte Sonderbefugnisse für den Präsidenten, die Privatisierung mehrerer staatlicher Unternehmen, dazu Steuer- und Arbeitsmarktreformen.
Der meistdiskutierte Punkt des Vorhabens ist jedoch das «Regimen de Incentivo a las Grandes Inversiones», kurz Rigi, ein Anreizsystem für Grossinvestitionen. Ihnen werden massive Steuererleichterungen in Aussicht gestellt, vereinfachte Bürokratie und Rechtssicherheit. Für die rechtslibertäre Regierung von Javier Milei ist das Rigi eines der Hauptanreize, um Anleger davon zu überzeugen, wieder in Argentinien zu investieren – trotz der schlechten Erfahrungen, die viele in der Vergangenheit mit dem Land gemacht haben.
![Argentine President Javier Milei (C) dances during the presentation of his new book "Capitalism, Socialism, and the Neoclassical Trap" at the Luna Park stadium in Buenos Aires on May 22, 2024. (Photo by LUIS ROBAYO / AFP)](https://cdn.unitycms.io/images/FM4UBEk-4vhAdEfV4cfGWi.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=udXfqkVRzJo)
Kritiker aber sagen, dass grosse Firmen vom Rigi bevorteilt werden, während Mittelständler aussen vor gelassen werden. Und Argentiniens linke Ex-Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner warnte sogar vor einem «Kolonialismus des 21. Jahrhunderts». Ausländische Unternehmen könnten die Reichtümer Argentiniens ausbeuten, und das in einer «extraktivistischen Wirtschaft ohne Mehrwert» für die Menschen im Land.
Der Präsident hat hohe Zustimmungswerte – noch
Eigentlich hatte die Regierung das Gesetzespaket schon kurz nach ihrem Amtsantritt im Dezember eingebracht. Ursprünglich umfasste es mehr als 660 Punkte, die in der Folgezeit auf weniger als die Hälfte zusammenschrumpften. Milei verfügt weder im Kongress noch im Senat über eigene Mehrheiten.
Um genügend Stimmen zusammenzubekommen, musste die Regierung darum massive Zugeständnisse machen. Ende April passierte eine abgespeckte Version des Vorhabens dann den Kongress, vergangenen Mittwoch wurde es dann im Senat verhandelt.
Obwohl die Diskussion schon am Vormittag begonnen hatte, dauerte sie bis spät in die Nacht. Am Ende war es Argentiniens Vizepräsidentin Victoria Villarruel, die mit ihrer Stimme die Abstimmung entschied: Mit knapper Mehrheit passierte das «Ley Bases» den Senat.
Milei brauchte diesen Erfolg
Für Javier Milei ist das ein dringend notwendiger Erfolg. Denn noch hat der rechtslibertäre Präsident hohe Zustimmungswerte im Land; die Inflation ist in den vergangenen Monaten gesunken, und im ersten Quartal dieses Jahres gab es wegen des radikalen Sparprogramms sogar einen Haushaltsüberschuss. Gleichzeitig aber ist der Konsum eingebrochen, die Armut ist gestiegen, und es gibt Massenentlassungen.
Nach der Abstimmung im Senat war in der Regierung von einem «Triumph» die Rede und einem ersten Schritt «zur Wiedererlangung unserer Grösse». In vielen Vierteln von Buenos Aires versammelten sich allerdings Regierungsgegner an Kreuzungen, um auf Töpfe und Pfannen zu schlagen und Lärm zu machen aus Protest gegen das Gesetzespaket. Weil es teils massiven Änderungen unterzogen wurde, muss dieses nun ohnehin noch einmal vom Senat zurück in den Kongress. Die Zukunft? Ungewiss.
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