Kommentar zu Klimawandel und Rechtspopulismus Es gewinnt der Irrsinn
Schon wieder Flutkatastrophen – aber bei der EU-Wahl dürften dennoch rechtspopulistische Kräfte zulegen, die den Klimawandel leugnen.
Man könnte es Zynismus des Zufalls nennen: Zum wiederholten Mal binnen der letzten paar Jahre sind Teile von Deutschland von einer «Jahrhundertflut» betroffen, eine Bezeichnung, deren zeitliche Implikation mittlerweile nur noch unfreiwillig komisch wirkt. Auch in der Schweiz und in anderen europäischen Ländern ist die Lage vielerorts bedrohlich. Gleichzeitig sagen Umfragen im Hinblick auf die EU-Wahlen vom kommenden Sonntag einen deutlichen Zuwachs rechter und rechtspopulistischer Parteien voraus – also jener Kräfte, die den menschengemachten Klimawandel leugnen oder dessen Folgen zumindest verharmlosen. Und deshalb Massnahmen fast ausnahmslos ablehnen.
Im jüngsten «Spiegel» erklärt der Klima- und Meeresforscher Stefan Rahmstorf, weshalb sowohl sintflutartige Regenfälle als auch Dürren aufgrund der Klimaerwärmung deutlich häufiger werden. (Weitere wissenschaftliche Erkenntnisse dazu finden Sie hier.) Dennoch behauptet etwa die AfD in ihrem Wahlprogramm, es sei «bis heute nicht nachgewiesen, dass der Mensch, insbesondere die Industrie, für den Wandel des Klimas massgeblich verantwortlich ist». Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders will das nationale Klimagesetz «durch den Schredder gehen lassen», Marine Le Pen wirft dem Weltklimarat «Alarmismus» vor.
Und was meint Christoph Blocher?
Mit den Worten «Im Sommer ist es warm, im Winter kalt» ironisierte kürzlich der italienische Lega-Chef Matteo Salvini den Klimawandel, während jenseits des Atlantiks Donald Trump sowie der argentinische Präsident Javier Milei den menschlichen Einfluss auf das Klima rundheraus leugnen. Und hierzulande? Antwortete Christoph Blocher Anfang 2023 in einem Interview mit der NZZ auf die Frage, ob es den menschengemachten Klimawandel gebe, mit dem selten abstrusen Satz: «Klimaveränderung schon, aber wohl keinen Wandel.»
Ein wichtiger Grund für solchen Irrsinn liegt darin, dass sich klimapolitische Massnahmen und internationale Klimakonferenzen hervorragend dazu eignen, ein Grundmotiv rechtspopulistischer Propaganda abzuspulen: die Elite, die in Gestalt abgehobener Politiker, weltfremder Wissenschaftlerinnen, übereifriger NGO-Vertreter die angeblich geerdete Bevölkerung mit Vorschriften und Verboten drangsaliert. Die spannenden Fragen sind: Wie schlimm muss die Lage werden, ehe die Klimaerwärmung eine dauerhafte Veränderung in der Wahrnehmungsrangliste der drängendsten Probleme bewirkt? Wie viele Ortschaften müssen noch überschwemmt werden, bis das Vertrauen in Parteien, Politikerinnen und Politiker kollabiert, die mit aufgesetzter Narrenkappe eine Bedrohung von planetarischen Dimensionen schlicht aus der Welt leugnen?
Einstweilen bewegen sich die politischen Tendenzen noch in die exakte Gegenrichtung.
Mehr als 2,5 Grad sind laut Experten wahrscheinlich
«Machen wir uns keine Illusionen: An drei Grad Erhitzung werden wir uns kaum anpassen können», sagt der Klima- und Meeresforscher Rahmstorf im «Spiegel». Das britische Magazin «The Guardian Weekly» hat im Mai 380 weltweit führende Klimatologinnen und Klimatologen um eine Prognose gebeten, mit wie vielen Graden wir rechnen müssen. Drei Viertel von ihnen gehen von mindestens 2,5 Grad aus, 42 Prozent sogar von mehr als 3 Grad.
Der Titel auf dem Cover des «Guardian Weekly» lautet: «We live in an age of fools», wir leben in einem Zeitalter der Verrückten. Hält man ein beliebiges Bild aus dem überfluteten Süddeutschland neben eine Grafik mit Prognosen zur EU-Wahl, dann muss man sagen: allerdings.
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