Tod des KremlgegnersDie letzten Tage von Alexei Nawalny
Im Straflager «Polarwolf» herrscht Dauerfrost. An diesem Ort leben vor allem Schwerverbrecher, und mit ihnen verbrachte Alexei Nawalny seine letzten Tage. Bis zuletzt machte der Kremlkritiker Witze.
Alexei Nawalny liess sich nicht unterkriegen. Noch am Mittwoch, nur einen Tag vor seinem Tod, machte der Kremlkritiker Witze. Konkret forderte er von den russischen Richtern Geld. Denn: «Meine Gefängniskasse leert sich allmählich.» Das ist die letzte dokumentierte Aussage von Nawalny: ein Scherz. Auf Videoaufnahmen ist zu sehen, wie die im Saal Anwesenden nicht so recht wissen, was sie antworten sollen. Ein Polizist lächelt angestrengt, der Richter nickt und verabschiedet sich.
Wladimir Putin und sein autokratisches Regime wollten dem bekanntesten russischen Oppositionellen alles nehmen. Sie versuchten, ihn zu vergiften, verbannten ihn in eine Strafkolonie und zerschlugen seine Antikorruptionsstiftung. Doch den Sinn für Humor konnten sie ihm nicht rauben. Und so symbolisierten Nawalnys Witze über Putins Russland bis zuletzt, dass sein Wille und sein Widerstand nicht zu brechen sind.
Bis zu Nawalnys Tod erhöhte das russische Regime stetig den Druck und versuchte, ihn weiter zu isolieren. Selbst die Kontakte zu seinen Anwälten, beinahe die Einzigen, die ihn gegen Ende noch besuchen durften, wollte der Kreml unterbinden. Anfang Februar schrieb die russische Staatsanwaltschaft zwei seiner Anwälte zur Verhaftung aus. Den Betroffenen blieb nichts anderes übrig, als ins Exil zu flüchten.
Im Waggon durch die sibirische Kälte
Die Strafvollzugsbehörden liessen Nawalny immer wieder von einer Strafkolonie in die nächste transportieren. Zuletzt im Dezember, als er während drei Wochen für verschollen galt. Wie genau Nawalny verlegt wurde, bleibt unklar. Aber dank Erfahrungsberichten von ehemaligen Häftlingen sind die Abläufe allgemein bekannt. Oft müssen die Gefangenen tagelang im Zug in einem speziellen Gefängniswaggon sitzen, zusammen mit anderen Verurteilten, während sie durch die sibirische Kälte fahren. Die extrem langen Transporte gelten als eine Form der Bestrafung im System der Strafkolonien, das der russische Schriftsteller Alexander Solschenizyn einst als «Archipel Gulag» bezeichnete.
So erreichte Nawalny wohl Ende Dezember dann den «Polarwolf», das nördlichste Straflager Russlands, etwa 2000 Kilometer Luftlinie von Moskau entfernt. An diesem Ort am nördlichen Polarkreis, unweit des arktischen Ozeans, herrscht Dauerfrost. Und dort wird Nawalny seine letzten Tage und Wochen verbringen. Nur wenig ist über diese Zeit bekannt. Vieles davon stammt von Nawalnys persönlichem Kanal auf der Onlineplattform X, den seine Sprecher und Anwälte weiterhin betreut haben.
Demzufolge soll er sich so häufig wie möglich bewegt haben, wenn auch teilweise nur in einer kleinen Aussenzelle ohne Dach. «Kaum etwas ist so erfrischend wie ein Spaziergang um 6.30 Uhr morgens», witzelte er noch im Januar. «Und was für eine wunderbare frische Brise, die trotz des Betonzauns in den Hof weht, das ist einfach wow!»
Keine Bettwäsche – völlig isoliert
Im Straflager «Polarwolf» verbüssen hauptsächlich Schwerverbrecher eine lebenslange Haft. Auf einer eigenen Landwirtschaft müssen die Häftlinge Rentierfelle verarbeiten oder in der Holzwerkstatt arbeiten. Nawalny konnte allerdings kaum arbeiten und verbrachte viel Zeit in der gefürchteten Isolationszelle.
Diese verschärfte Haft kann willkürlich von der Lagerleitung verhängt werden, für die geringsten Vergehen. In der Isolationszelle gibt es für die Gefangenen praktische keine Kommunikationsmöglichkeit. Sie sind – wie der Name schon sagt – völlig isoliert. Sie bekommen auch keine Bettwäsche und keine Möglichkeit, sich ausserhalb der Zelle zu bewegen.
Seit seiner Inhaftierung sass Nawalny 27-mal in einer Isolationszelle. So laut Radio Swoboda auch vom 1. bis zum 11. Februar im Lager «Polarwolf». Und nur zwei Tage vor seinem Tod sei er erneut dorthin gebracht worden, verkündete seine Pressesprecherin Kira Jarmysch am Mittwoch. Einen Grund nannten die Gefängnisbehörden nicht. Vielleicht wollte ihn Wladimir Putin vor den Präsidentschaftswahlen im März komplett isolieren, damit ja nichts nach aussen dringt.
Nawalny klagte immer wieder über gesundheitliche Probleme und Schikanen im Straflager. Bei den zahlreichen Gerichtsterminen, die auch nach seiner Inhaftierung weitergingen, sah man ihm die Strapazen an. Aber er trat stets demonstrativ munter auf. Dass er nun an einer Thrombose gestorben sein soll, wie das regimetreue Medien behaupten – das wollen seine Freunde und Familie nicht glauben.
Liudmila Nawalnya, die Mutter des Kremlgegners, konnte ihren Sohn zuletzt am 12. Februar in der Strafkolonie besuchen. Sie sagte nach seinem Tod, «er war lebendig, gesund und lebenslustig». Beileidsbekundungen wolle sie keine hören.
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