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AHV-Panne beim Bund
Rentenalter 64 für Männer? SP-Frauen fordern neue Umsetzung der Gleich­stellung

Martine Docourt, Co-Praesidentin SP Frauen, Cedric Wermuth, Co-Praesident SP, Tamara Funiciello, Nationalraetin SP-BE, Co-Praesidentin SP Frauen, Tom Cassee, Co-Generalsekretaer SP, Prisca Birrer-Heimo, Nationalraetin SP-LU, und Samira Marti, Nationalraetin SP-BL, von links, reagieren auf die erste Hochrechnung, beim Versammlungsort der Linken, am Sonntag, 25. September 2022 im Progr in Bern. Die Linke lehnt mehrheitlich die AHV-Vorlage und die Verrechnungssteuer-Vorlage ab, und unterstuetzt die Massentierhaltungsinitiatve. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
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Die Stimmbevölkerung hat 2022 über eine Erhöhung des Frauenrentenalters von 64 auf 65 Jahre abgestimmt – und äusserst knapp Ja gesagt, mit 50,6 Prozent. Deutlich Ja sagte sie zu einem Verfassungsartikel für die Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der AHV. Die beiden Vorlagen waren verknüpft: «Wird eine der beiden Vorlagen abgelehnt, scheitert die ganze Reform», hiess es in den Abstimmungserläuterungen.

Weil der Bund sich bei den Prognosen zu den AHV-Finanzen massiv verrechnet hat, fordern die SP-Frauen und die Grünen, dass das Stimmvolk nochmals entscheidet. Die SP-Frauen haben am Freitag ihre Beschwerde veröffentlicht. Sie fechten nur die Abstimmung zum Rentenalter an. Doch geht das überhaupt angesichts dessen, dass die beiden Vorlagen verknüpft waren?

Die Frage ist zentral. Müsste auch die Abstimmung über die Erhöhung der Mehrwertsteuer wiederholt werden, würde es kompliziert. Denn dieser Teil der Reform ist bereits in Kraft. Eine Aufhebung der Abstimmung könnte gar zu Rückzahlungsforderungen führen.

Rentenalter muss angeglichen werden – egal, in welche Richtung

Fest steht: Bleibt die Erhöhung der Mehrwertsteuer bestehen, muss das Rentenalter von Männern und Frauen trotz Aufhebung der Abstimmung zum Frauenrentenalter angeglichen werden. Im Verfassungsartikel steht, die Mehrwertsteuer werde erhöht, sofern das Rentenalter von Frauen und Männern gesetzlich vereinheitlicht werde.

Die SP-Frauen stellen sich laut Co-Präsidentin Tamara Funiciello vor, dass der Bundesrat dem Parlament einen neuen Vorschlag unterbreiten würde. Dieser müsste aber nicht zwingend eine Erhöhung des Frauenrentenalters beinhalten. Es wäre auch möglich, das Rentenalter der Männer auf 64 Jahre zu senken, sagen die SP-Frauen. Alternativ könnte die Verfassung geändert und die Verknüpfung der Mehrwertsteuer mit dem Rentenalter aufgehoben werden. Oder die Mehrwertsteuer könnte wieder gesenkt werden.

Höhere Mehrwertsteuer könne nicht in Kraft bleiben, sagt der Experte

Rechtsexperten halten es für möglich, nur die Abstimmung zur Erhöhung des Frauenrentenalters anzufechten. Spontan sehe er kein Hindernis, sagt Staatsrechtsprofessor Markus Schefer von der Universität Basel. Auch der Berner Staatsrechtsprofessor Markus Kern sagt, das sei durchaus denkbar.

Die Folgen für die Mehrwertsteuer sind jedoch umstritten. Aus Schefers Sicht müsste die Frage, was mit der Mehrwertsteuer geschehen würde, erst dann beantwortet werden, wenn die Abstimmung zum Frauenrentenalter tatsächlich aufgehoben würde. Kern vertritt die Auffassung, dass das Bundesgericht bei der Interessenabwägung trotzdem das Gesamtpaket betrachten müsste. Es müsste also auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer berücksichtigen, selbst wenn diese Abstimmung nicht angefochten werde. 

Die höhere Mehrwertsteuer könnte bei einer Aufhebung der Abstimmung nicht in Kraft bleiben, bis ein neuer Entscheid gefällt würde, sagt Kern. Es müsste jener Zustand hergestellt werden, der bei einer Ablehnung bestanden hätte. «Wenn das Frauenrentenalter fällt, fällt auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer.» Kern spricht von einem «Wespennest». Die Verfassungsbestimmung als solche könnte aber wohl in Kraft bleiben, sagt er. Somit bestünde die Möglichkeit, eine neue Vorlage zur Angleichung des Rentenalters zu erarbeiten.

Stimmbevölkerung war falsch informiert

Die SP-Frauen legen in ihrer 18-seitigen Beschwerde die Gründe dar, die aus ihrer Sicht für eine Wiederholung der Abstimmung zum Frauenrentenalter sprechen. Sie argumentieren, dass die Stimmbevölkerung falsch informiert worden sei. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger hätten einer Reform zugestimmt, mit welcher die AHV schlechter dastehe als durch die Korrektur des Rechnungsfehlers beim Bund. Die Einsparungen durch die Reform betrügen rund 5 Milliarden über einen Zeitraum von zehn Jahren. Der Rechnungsfehler mache in diesem Zeitraum mehr als doppelt so viel aus.

Das Bundesamt für Sozialversicherungen bestätigte am Freitag gegenüber Radio SRF, dass die Botschaft zur damaligen AHV-Reform und die Abstimmungsunterlagen tatsächlich auf den fehlerhaften Berechnungsformeln basierten. Am Dienstag war es zu dieser Frage noch vage geblieben.

«Die Prognosen waren immer zuverlässig»

Die SP-Frauen argumentieren nun, im Abstimmungskampf hätten die Zahlen des Bundesamts eine grosse Rolle gespielt. Als Beispiel nennen sie FDP-Nationalrätin Regine Sauter. Sie hatte in der Sendung «Arena» von SRF gesagt, die Befürworterinnen und Befürworter des höheren Frauenrentenalters hätten die Fakten auf den Tisch gelegt. Diese seien vom Bundesamt für Sozialversicherungen berechnet worden, und dessen Prognosen seien immer zuverlässig gewesen.

Ihre Beschwerde reichten die SP-Frauen in den Kantonen Bern und Neuenburg ein. Die Grünen wählten die Kantone Genf und Zürich. Die Regierungen dieser Kantone haben nun zehn Tage Zeit für ihren Entscheid. Danach können die SP-Frauen und die Grünen ans Bundesgericht gelangen.