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Rechnungsfehler entdeckt
Bund hat sich bei der AHV um Milliarden verrechnet – die wichtigsten Fragen und Antworten

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Die sogenannten Finanzperspektiven der AHV sind ein wichtiges Instrument für die Politik. Sie zeigen, wie viel Geld das Sozialwerk in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren braucht. Und wie viel ihm zur Verfügung steht. Dadurch können der Bundesrat und das Parlament rechtzeitig erkennen, inwiefern politischer Handlungsbedarf besteht.

Voraussetzung dafür ist, dass die getroffenen Annahmen stimmen – etwa bezüglich des Wirtschaftswachstums und der Einwanderung. Und dass richtig gerechnet wird. Nun hat der Bund aber einen gravierenden Rechnungsfehler entdeckt, wie er heute bekannt gegeben hat. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was ist denn passiert?

Im Rahmen von Kontrollen hat das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) feststellen müssen, dass es die Finanzperspektiven bislang falsch berechnet hat. Im mehr als 70’000 Zeilen zählenden Programmcode hat es zwei fehlerhafte Formeln entdeckt. Die Effekte dieser beiden Formeln haben sich gegenseitig verstärkt, wodurch die Ausgaben zu hoch ausgewiesen worden sind. BSV-Direktor Stéphane Rossini und sein Stellvertreter Bruno Parnisari haben heute Vormittag an einer Medienkonferenz darüber informiert. Sie bedauern den Fehler. «Das BSV muss Lehren daraus ziehen», sagte Rossini.

Das Innendepartement von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hat gleichzeitig eine Administrativuntersuchung angekündigt. Die Zürcher Kanzlei Bratschi soll klären, worauf der Fehler zurückzuführen ist. Die Ergebnisse sollen bis Ende Jahr vorliegen.

Wie stark hat der Fehler die Prognosen verzerrt?

Ziemlich stark. Die Ausgaben der AHV wurden durch die Berechnungsfehler zu hoch ausgewiesen – vor allem mittel- und langfristig. Im Jahr 2033 dürften die effektiven Ausgaben 4 Milliarden Franken tiefer ausfallen, was einer Abweichung von rund sechs Prozent entspricht.

Geht es der AHV also besser als bisher angenommen?

Ja, zumindest was deren Zukunft betrifft. Nach der Korrektur des Fehlers sind die Finanzperspektiven deutlich weniger düster als bisher erwartet. Die AHV hat aber nach wie vor ein Finanzierungsproblem – vor allem nach der Einführung der 13. AHV-Rente ab 2026. Dann wird die AHV rote Zahlen schreiben, wenn die Politik nichts dagegen unternimmt. Diese Defizite werden jedoch geringer ausfallen als bisher erwartet. Jenes für 2033 beträgt jetzt noch rund 4 Milliarden Franken statt wie bisher erwartet über 7 Milliarden.

Was heisst dies für die Finanzierung der 13. AHV-Rente?

Der Bundesrat hat zwei Varianten präsentiert, mit welchen er die Mehrbelastung durch die 13. AHV-Rente auffangen will. In der ersten Variante würden die Lohnbeiträge um 0,8 Prozentpunkte erhöht. Die zweite Variante sieht einen Mix von Lohnbeiträgen (plus 0,5 Prozentpunkte) und einer höheren Mehrwertsteuer (plus 0,4 Prozentpunkte) vor.

Bundesraetin Elisabeth Baume-Schneider, rechts, spricht neben Stephane Rossini, Leiter des Bundesamts fuer Sozialversicherungen (BSV), links, an einer Medienkonferenz ueber die Umsetzung der Initiative fuer eine 13. AHV-Rente, am Mittwoch, 27. Maerz 2024, im Medienzentrum Bundeshaus in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)

Beide Vorschläge brächten knapp 4 Milliarden Franken pro Jahr ein. Damit könnte ein Teil der Mehrkosten der 13. AHV-Rente finanziert werden. Der Bundesrat schätzt diese Mehrkosten für 2026 auf 4,2 Milliarden und für 2030 auf knapp 5 Milliarden. Diese seien von der Korrektur der Finanzperspektiven kaum tangiert, so das BSV. Der Finanzierungsbedarf sei aber geringer, erklärte Parnisari.

Noch ist nicht entschieden, inwiefern die neuen AHV-Finanzperspektiven den Vorschlag des Bundesrats beeinflussen. Darüber muss dieser erst diskutieren – und danach auch das Parlament. Die nationalrätliche Sozialkommission hat dem Bundesrat bereits im Mai empfohlen, die Finanzierung erst in der nächsten grossen AHV-Reform festzulegen. Mit 13 zu 12 Stimmen fiel diese Empfehlung aber knapp aus. Gut möglich, dass die korrigierten Finanzperspektiven nun weitere Parlamentarierinnen und Parlamentarier dazu bewegen, mit der Finanzierung zuzuwarten. Nicht tangiert ist die BVG-Vorlage, über die im Herbst abgestimmt wird.

Wie hat das BSV die Fehler entdeckt?

Bereits geplante Kontrollen wurden Ende Mai beschleunigt, als sich bei den Berechnungen im Zusammenhang mit der 13. AHV-Rente unplausible Ergebnisse zeigten. Das BSV hat dann zwei alternative Modelle entwickelt und anhand der Ausgaben der vergangenen Jahre ihre Projektionsfähigkeiten erfolgreich getestet. Auch hat es zwei Forschungsinstitute damit beauftragt, bis Ende August je ein unabhängiges Modell für die künftigen Ausgaben der AHV zu entwickeln.

Wegen der hohen Komplexität brauche es mehrere Monate, bis das bisherige Berechnungsprogramm korrigiert und wieder einsatzfähig sei, so das BSV. Bis dahin würden es die ergriffenen Massnahmen erlauben, dennoch in Kürze wieder mit robusten Berechnungsmodellen Finanzperspektiven erarbeiten zu können. Parnisari sagte, das BSV habe gelernt, dass es besser sei, sich nicht nur auf ein Modell zu verlassen.

Wie fallen die ersten Reaktionen aus?

Die Parteien reagierten konsterniert. Solche Fehler schwächten das Vertrauen, heisst es von links bis rechts. Die Forderungen gehen indes auseinander. Die FDP fordert eine Untersuchung durch die Geschäftsprüfungskommissionen der beiden Räte. Zudem verlangt sie nun erst recht, dass die Arbeiten zur Erhöhung der Lohnbeiträge und der Mehrwertsteuer gestoppt werden. Die Mitte-Partei will dagegen an einer Vorlage zur Finanzierung der 13. AHV-Rente festhalten. Dies sei trotzdem nötig. Die SVP will geklärt haben, wer die Verantwortung trägt.

Die SP hat die Bürgerlichen umgehend aufgefordert, jegliche Abbaupläne bei den Renten zu stoppen. Die Pläne der Bürgerlichen, bei den Rentenleistungen zu kürzen und sogar das Rentenalter zu erhöhen, gehörten definitiv vom Tisch, schreibt die Partei. Die Renten müssten vielmehr erhöht werden. Die SP-Frauen wiederum fordern, dass die Abstimmung über die Erhöhung des Frauenrentenalters wiederholt wird. Auch für den Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) ist klar, dass das knappe Ja zum Frauenrentenalter 65 nun «infrage gestellt» ist. Der SGB habe die Prognosen schon länger als zu pessimistisch kritisiert. Nun müsse die 13. AHV-Rente bereits ab dem nächsten Jahr ausbezahlt werden. Die Grünen prüfen eine Abstimmungsbeschwerde. Die bürgerlichen Parteien lehnen eine Wiederholung der Abstimmung ab.

Warum wird das Ja zum Frauenrentenalter 65 infrage gestellt?

Die Zahlen, die sich nun als falsch erwiesen haben, spielten in der Debatte über die AHV stets eine wichtige Rolle – auch im Abstimmungskampf zur letzten AHV-Reform. Äusserst knapp – mit 50,6 Prozent – hat das Stimmvolk diese Reform im September 2022 gutgeheissen, mit der das Frauenrentenalter erhöht wurde. Die Erhöhung verringert die Ausgaben der AHV im Jahr 2032 um 1,4 Milliarden Franken.

Das Bundesamt für Sozialversicherungen ging damals davon aus, dass der AHV-Fonds ohne die Reform bereits 2029 rote Zahlen schreiben würde – ein Defizit von 1,6 Milliarden Franken. 2032 läge das Betriebsergebnis bei minus 3,8 Milliarden Franken, schrieb das BSV. Parnisari sagte dazu, die Formeln seien schon damals falsch gewesen. Aber Fehlannahmen – etwa zur Reallohnentwicklung – hätten den Rechnungsfehler kompensiert. Laut Parnisari wurden die falschen Formeln seit April 2019 verwendet.

Wurde bereits einmal ein Volksentscheid aufgehoben?

Ja. 2016 lehnte das Volk eine Initiative der damaligen CVP zur steuerlichen Heiratsstrafe knapp ab. Später stellte sich heraus, dass im Abstimmungsbüchlein falsch informiert wurde. Statt wie angegeben 80’000 Paare waren deren 454’000 von der Heiratsstrafe betroffen. Das Bundesgericht hob den Volksentscheid deshalb später auf.

Welche weiteren Rechnungsfehler gaben zu reden?

Grob daneben lag der Bund auch mit seinen Schätzungen zur Unternehmensteuerreform II, die das Stimmvolk 2008 mit einer hauchdünnen Mehrheit angenommen hat. Im Abstimmungsbüchlein hatte der Bundesrat geschätzt, dass der Systemwechsel zu Steuerausfällen von insgesamt 83 Millionen Franken beim Bund und etwa 850 Millionen Franken bei den Kantonen führen würde. Die tatsächlichen Steuerausfälle waren dann aber um ein Vielfaches höher. Innert zehn Jahren büsste der Fiskus etwa 6 Milliarden Franken ein, wie der Bundesrat später einräumen musste.

Nach den Wahlen im vergangenen Herbst veröffentlichte das Bundesamt für Statistik fehlerhafte Zahlen zu den nationalen Parteistärken. Der Grund war ein Programmierfehler, wie später bekannt wurde. Es ging um Kommastellen. Doch der Fehler führte dazu, dass es zunächst fälschlicherweise hiess, die Mitte-Partei habe die FDP überholt.

2017 nahm die Eidgenössische Finanzkontrolle Prognosen und Schätzungen des Bundes unter die Lupe – und kam zum Schluss, dass die Sorgfalt zuweilen zu wünschen übrig lässt.

Der Lead wurde präzisiert. In einer ersten Version hiess es dort, die AHV brauche künftig jährlich vier Milliarden Franken weniger als erwartet. Korrekt ist, dass die AHV im Jahr 2033 vier Milliarden weniger braucht, wie es auch weiter unten im Text steht. In den Jahren bis 2033 liegen die Ausgaben ebenfalls tiefer als erwartet.