Rechtsexperten zur AHV-Panne Muss die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?
Linke Kreise fordern eine Wiederholung der denkbar knappen Abstimmung über die AHV-Reform. Hätte eine Beschwerde Chancen? Rechtsexperten ordnen ein – und sagen, warum es eilt.
Die AHV-Rechenpanne des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) hat eine Welle der Entrüstung ausgelöst. SP-Frauen und Gewerkschaften hinterfragen angesichts der geänderten Faktenlage das knappe Volksvotum von 2022 zur Erhöhung des Frauenrentenalters. Die Vorlage war mit nur 50,6 Prozent Ja-Stimmen angenommen worden. Tamara Funiciello, Co-Präsidentin der SP-Frauen sagt, es sei befremdend, dass der Bundesrat nicht von sich aus vorschlage, diese Abstimmung zu wiederholen. Sowohl die SP-Frauen als auch die Grünen prüfen nun eine Beschwerde.
Viel Zeit haben sie freilich nicht: Die Beschwerde müsste innerhalb von drei Tagen bei einem Kanton eingereicht werden, wie Staatsrechtsprofessor Markus Schefer von der Universität Basel auf Anfrage sagt. Weist der Kanton die Beschwerde ab, können die SP Frauen oder die Grünen ans Bundesgericht gelangen. Die Erfolgsaussichten seien schwierig zu beurteilen, er sehe aber keine Anhaltspunkte, die einen Erfolg von vornherein ausschliessen würden, sagt Schefer. Das Gericht müsste die Frage beurteilen, ob die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger im Abstimmungskampf von den Zahlen beeinflusst worden seien. Auch das knappe Resultat dürfte eine Rolle spielen.
Der Zürcher Staatsrechtler Felix Uhlmann sieht es ähnlich. Auch er sagt, eine Beschwerde sei nicht chancenlos. Das Bundesgericht sei zwar sehr zurückhaltend, aber die Abstimmung zur Erhöhung des Frauenrentenalters von 64 auf 65 Jahre sei sehr knapp ausgefallen. Da könnten andere Fakten durchaus eine Auswirkung auf das Resultat haben. Ausschlaggebend sei unter anderem, für wie entscheidwesentlich die Abweichung bei den AHV-Ausgaben von 4 Milliarden respektive 6 Prozent beurteilt werde.
Das Bundesgericht müsste bei einem Entscheid eine Reihe von Fragen berücksichtigen, sagt Uhlmann. «Hätte bei diesem neuen Betrag der Bundesrat dieselbe Vorlage vorgeschlagen ungeachtet der Finanzlage? Wie viele Stimmbürger haben mit dem Argument der Finanzlage abgestimmt? Für wie viele Menschen war dagegen die Gleichbehandlung von Frauen und Männern ausschlaggebend?»
Uhlmann mit eigenem Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Zürich hält die Rechenpanne bei den Finanzaussichten der AHV für «sehr bedauerlich». Seiner Meinung nach schmälern solche Fehler das Vertrauen in die Institutionen. «Gut ist, dass der Bundesrat den Fehler offen anspricht.» Bei der Frage der Glaubwürdigkeit sei es äusserst wichtig, sich zu Fehlern, die begangen worden seien, zu bekennen und diese nicht zu vertuschen.
SDA/Charlotte Walser
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