Taliban an der MachtAfghanistans Frauen verlieren ihre Zukunft
Seit die Islamisten vor zwei Jahren nach Kabul gestürmt sind, drehen sie die Uhren zurück. Der Westen schaut rat- und machtlos zu.
Die Taliban regieren Afghanistan zwei Jahre nach ihrem Sturm auf Kabul mit eiserner Hand. Es herrscht kein Krieg mehr am Hindukusch, aber ein grosser Teil der Bevölkerung leidet. Auf internationaler Bühne ist das Regime isoliert. Allerdings hat das Interesse an Afghanistan im Westen seit dem Debakel vom 15. August 2021 immer weiter nachgelassen.
Der Krieg in der Ukraine absorbiert die Aufmerksamkeit. Auch finden die USA und die Europäer keinen Hebel, mit den Taliban so zu kooperieren, dass die Bevölkerung davon etwas hätte. Das Regime zeigt seinerseits wenig Interesse, sich der Welt zuzuwenden. Noch kein Land hat die Regierung in Kabul offiziell anerkannt, auch wenn es mit China, Indien und dem Nachbarland Pakistan einen Austausch und ein wenig Handel gibt. (Lesen Sie hier unseren Kommentar: Machen die USA nochmals denselben Fehler)
Das Kalkül Geld gegen Konzessionen ging nicht auf
Nach dem chaotischen Abzug 2021 waren sich westliche Diplomaten sicher, dass es nur eine Frage der Zeit sein werde, bis die Taliban zumindest eine begrenzte Kooperation mit der internationalen Staatengemeinschaft eingehen würden. Dabei sollten unter anderem die eingefrorenen sieben Milliarden US-Dollar afghanisches Staatsvermögen als Verhandlungsmasse dienen: Geld gegen Konzessionen, so das westliche Kalkül, vor allem beim Thema Frauenrechte. Doch die Rechnung ist nicht aufgegangen.
Die Taliban geniessen ihren Erfolg, die westlichen Armeen mit zeitweilig bis zu 150’000 am Hindukusch stationierten Soldaten sowie eine gewählte, aber auch extrem korrupte Regierung in die Knie gezwungen zu haben. In Kabul gibt es zwar einige Taliban, mit denen westliche Diplomaten reden können. Das eigentliche Machtzentrum um Hibatullah Achundsada, das geistliche Oberhaupt der Taliban, befindet sich aber in Kandahar. Er meidet die Öffentlichkeit. Als vor einigen Monaten die UNO-Vizegeneralsekretärin Amina J. Mohammed dorthin reiste, traf sich niemand aus der Führungsriege der Taliban mit ihr – ein diplomatischer Affront.
Weiterhin von keinem Land anerkannt
Eine Anerkennung der Regierung in Kabul steht auch für Länder wie Pakistan – anders als während des ersten Taliban-Regimes (1996–2001) – nicht zur Debatte. Dafür ist vor allem die Diskriminierung von Frauen zu weitreichend: Afghaninnen werden wieder aus dem öffentlichen Leben verbannt, sollen ohne männlichen Begleiter nicht mehr das Haus verlassen, dürfen viele Jobs nicht mehr ausüben. Und Mädchen dürfen in den meisten Teilen des Landes offiziell nur noch bis zur sechsten Klasse in die Schule gehen.
Die Taliban bauen indes Religionsschulen, um ihre islamistische Agenda voranzutreiben. «Für uns gibt es keinen Grund, optimistisch zu sein», sagt eine Frau aus einem Dorf in der Provinz Herat, die darum bittet, dass ihr Name nicht in der Zeitung genannt wird, aus Sorge vor Repressalien.
Opposition ist zerstritten
Viele kritische Aktivisten, liberale Politikerinnen und Journalisten haben das Land verlassen. Vereinzelte Demonstrationen von Frauen, etwa nach einem Dekret der Taliban, das den Betrieb von Schönheitssalons untersagt hat, wachsen sich nicht zu Massenprotesten aus. Es fehlt eine geeinte Opposition. Verschiedene Widerstandsgruppen operieren aus dem Ausland, aber sie erhalten mangels Erfolgsaussichten keine grosse Unterstützung.
Ausserdem sitzt bei vielen Afghaninnen und Afghanen das Gefühl tief, die politische Elite, die während der 20 Jahre westlichen Einsatzes regiert hat, sei korrupt und unfähig gewesen. Das Vertrauen ins politische System, wie es der Westen gefördert hat, ist erschüttert.
Um die aktuelle Lage der Menschen zu verbessern, sind nach wie vor zahlreiche Hilfsorganisationen in Afghanistan aktiv, etwa im Gesundheitssektor. Allerdings schauen die Taliban sich deren Aktivitäten sehr genau an: «Nach Angaben mehrerer UNO-Beamter verschiedener Behörden haben die Taliban die meisten der von den UNO verwalteten Hilfsprogramme infiltriert und beeinflusst», heisst es im jüngsten Bericht des US-Generalinspekteurs für den Wiederaufbau in Afghanistan. Auch der Mitarbeiter einer privaten Hilfsorganisation berichtete dieser Redaktion nach einem Gespräch mit Taliban-Offiziellen jüngst, wie gut die Islamisten über die Aktivitäten informiert waren.
15 Millionen haben zu wenig zu essen
Aus Sicht der Vereinten Nationen stehen den Menschen am Hindukusch harte Monate bevor. Zwar stellt die internationale Staatengemeinschaft Millionen Menschen Nahrungsmittel zur Verfügung, trotzdem hätten mindestens 15 Millionen Afghaninnen und Afghanen nicht genug zu essen.
Bei aller Härte, mit der die Taliban das öffentliche Leben beeinflussen, eines betonen auch dem Regime ansonsten kritisch gesinnte Menschen: Es herrscht kein Krieg mehr, die alltägliche Sorge vieler Familien, ob die Kinder unbeschadet zur Schule kommen, hat sich gelegt.
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