China und AfghanistanPeking bietet Taliban «freundliche Beziehungen» an
Warum China nach dem Machtwechsel in Afghanistan nun die radikalislamischen Milizen hofiert.
China hat sich nach der Eroberung von Kabul durch die Taliban zu «freundlichen Beziehungen» mit den neuen Machthabern in Afghanistan bereiterklärt. «China respektiert das Recht des afghanischen Volkes, unabhängig sein eigenes Schicksal zu entscheiden und ist bereit, (...) freundliche und kooperative Beziehungen mit Afghanistan» zu unterhalten, erklärte die Sprecherin des Aussenministeriums, Hua Chunying, am Montag in Peking. China und Afghanistan teilen eine 76 Kilometer lange Grenze.
Lange hat sich Peking in Afghanistan zurückgehalten, liess die westlichen Akteure machen, solange diese für relative Stabilität sorgten. Nun der Kurswechsel. Doch hinter der neuen Politik Pekings steckt weniger Schadenfreude oder Opportunismus, die Not für sich zu nutzen, die der westliche Rückzug in Afghanistan verursacht hat. Vielmehr ist es die Sorge über das Szenario, das Chinas Regierung immer gefürchtet hat: nach 20 Jahren des Krieges ein vorschneller Abzug der USA, der die Stabilität einer ganzen Region gefährdet.
Scharfe Töne aus Peking Richtung Washington
In einer Pressekonferenz am 29. Juli erklärt ein Sprecher des chinesischen Verteidigungsministeriums in hartem Ton, die Fakten hätten erneut bewiesen, dass die USA der «weltgrösste Verursacher von Chaos» seien, die anderen stets die Schuld zuschöben. Washington sei verantwortlich für das Afghanistan-Problem und trage eine unausweichliche Verantwortung für die aktuelle Situation, mahnte der Sprecher. «Die USA können sich dem Chaos nicht entziehen und die Verantwortung an andere Länder in der Region abtreten.» Sie seien für einen reibungslosen Übergang in Afghanistan verantwortlich. Mitte Juli versprach Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping dem am Sonntag aus dem Land geflüchteten afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani chinesische Unterstützung für Frieden und Versöhnung im Land sowie einen schnellen Wiederaufbau.
Für Peking sind die Taliban alles andere als ein Wunschpartner. Ein Bürgerkrieg destabilisiert das Land weiter, schon jetzt sind Tausende auf der Flucht. Die Nachbarländer Pakistan und der Iran bieten bereits Hunderttausenden Afghanen Schutz. Der religiöse Fanatismus der Taliban ist dem kommunistischen Regime nachweislich nicht geheuer.
Chinas Angst
Gleichzeitig spiegelt die diplomatische Offensive eine Fähigkeit Pekings wider, die das Land bereits vielfach bewiesen hat: die Realität anzuerkennen. Und diese dürfte kaum noch jemand bestreiten – die afghanische Regierung verliert die Kontrolle über das Land, womöglich für immer. Der Rest ist chinesischer Pragmatismus. Die wichtigste aussenpolitische Doktrin Pekings, die Politik der Nichteinmischung, hilft bei diesem nüchternen Blick. Gleichzeitig ist Peking getrieben von der Angst, dass die Gewalt nach China überschlagen könnte. Nach blutigen Anschlägen im eigenen Land hat Peking den Kampf gegen die «drei bösen Kräfte» ausgerufen – Separatismus, religiöser Extremismus und Terrorismus. Damit rechtfertigt das Regime die andauernde Überwachung, Unterdrückung und Internierung Hunderttausender Uiguren in Xinjiang.
Chinas Sorge ist, dass ethnische Uiguren in Afghanistan, aber auch andere Muslime, die sich für die Verfolgung ihrer Glaubensbrüder rächen wollen, von der benachbarten Provinz Badakhshan über die 76 Kilometer lange Grenze nach Xinjiang reisen und dort Anschläge verüben könnten. Laut Peking sollen bereits in der Vergangenheit religiöse Extremisten in Afghanistan Zuflucht gefunden haben. Auch andere Akteure in der Region sehen die Gefahr, dass die Taliban jihadistische Terrorgruppen beherbergen könnten. In diesem Punkt war der Besuch der Taliban-Delegation in Tianjin für Peking ein Erfolg: Vizechef Mullah Abdul Ghani Baradar sicherte Peking zu, niemals Kräfte im Land zuzulassen, die entgegen Chinas Interessen handelten.
Für Peking steht viel auf dem Spiel. Seit Jahren weitet es seinen Einfluss in der Region aus. 60 Milliarden US-Dollar hat China ins benachbarte Pakistan investiert. In Afghanistan gilt ein militärisches Eingreifen bisher als höchst unwahrscheinlich. Langfristig aber dürfte China über eine Ausweitung seiner Investitionen auf Afghanistan nachdenken. Ein Angebot, das es bisher noch beiden Konfliktparteien im Land macht.
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