Regierung unter DruckGiorgia Meloni lässt mutmasslichen Folterer laufen – und seither schweigt sie
Die Regierungschefin verkriecht sich seit der Abschiebung des libyschen Generals Osama Almasri Najeem. Die Opposition höhnt. Derweil macht ein Verdacht die Runde.
![Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wartet auf die Ankunft des slowakischen Präsidenten im Palazzo Chigi in Rom am 14. Januar 2025.](https://cdn.unitycms.io/images/9nQU7hFjam-Bcx8NE-Qawn.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=RsLSRmXq_RE)
- Der libysche General Osama Almasri Najeem war vor drei Wochen aufgrund eines internationalen Haftbefehls wegen des Verdachts auf Folter und Kriegsverbrechen in Italien verhaftet worden.
- Am 21. Januar wurde er wieder freigelassen und von Italiens Regierung in einem Staatsflugzeug in seine Heimat ausgeflogen.
- Die Regierungschefin Giorgia Meloni schweigt zur Affäre. Der Druck auf die Regierung steigt.
Almasri. Dieses Wort mit sieben Buchstaben prangt seit Tagen auf der Titelseite jeder italienischen Zeitung, die dahinterliegende Geschichte wird im Fernsehen hoch und runter diskutiert. Osama Almasri Najeem ist Brigadegeneral der libyschen Kriminalpolizei und Leiter des berüchtigten Gefängnisses Mitiga in der libyschen Hauptstadt Tripolis.
Der 45-Jährige war vor drei Wochen aufgrund eines internationalen Haftbefehls wegen des Verdachts auf Folter und Kriegsverbrechen in Italien verhaftet worden. Dann geschah etwas Bemerkenswertes: Er wurde freigelassen und am 21. Januar von der Regierung in einem Staatsflugzeug in seine Heimat ausgeflogen.
Der Vorgang wurde erst nachträglich öffentlich und lässt die Italiener nun nicht mehr in Ruhe. Zumal immer neue Details über das grausame Wirken des Generals bekannt werden. So ging zuletzt ein Video viral, das eine offensichtlich dem General unterstellte Einheit zeigt, die einen Gefangenen an ein Auto bindet und inmitten von Schaulustigen über einen Lagerhof schleift.
Italiens Regierung verhinderte die Strafverfolgung
Mittlerweile melden sich auch in Italien aufgenommene Flüchtlinge, die Almasri beschuldigen, bei bestialischer Gewaltanwendung dabei gewesen zu sein oder gar mitgefoltert zu haben. Entsprechende Vorwürfe stehen auch in dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, den dieser ausstellte, als Almasri im Januar eine ausgedehnte Spritztour durch mehrere europäische Länder unternahm.
Als dieser Haftbefehl bei den italienischen Behörden einging, war der mutmassliche Kriegsverbrecher gerade in Italien angekommen und hatte am Abend seinem Lieblingsclub Juventus Turin beim Siegen gegen die AC Milan zugesehen. Noch in der Nacht wurde er in seinem Hotel in Turin festgenommen, war kurz darauf aber wieder frei, wegen eines Formfehlers, wie es heisst. Dann kam die italienische Regierung ins Spiel. Schon am nächsten Tag schob sie Almasri mit der Begründung seiner «sozialen Gefährlichkeit» nach Libyen ab und verhinderte damit die Strafverfolgung.
Die Staatsanwaltschaft eröffnete gegen die beteiligten Minister und auch gegen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ein Verfahren, das Meloni sogleich öffentlich machte. In einem Video beklagte sie sichtlich empört ein politisch motiviertes Manöver einer ihr feindlich gesinnten Gerichtsbarkeit. Italiens Justiz verwahrt sich dagegen energisch und verweist auf die Rechtslage.
Regierungskreise verdächtigen Internationalen Strafgerichtshof
In Regierungskreisen kursiert jedoch noch eine andere Verdächtigung. Es sei doch auffällig, heisst es, dass der Internationale Strafgerichtshof erst aktiv geworden sei, als Almasri nach seiner Tour durch mehrere europäische Städte – London, Brüssel, Bonn, München – Deutschland mit einem Mietwagen über die Alpen verlassen hatte und in Italien angekommen war.
Schon seit seiner Ankunft in England habe der General unter Beobachtung gestanden, aber erst gegen Ende der Reise kam der Haftbefehl aus Den Haag: Sollten da dem politisch missliebigen, weil rechts regierten Italien Probleme bereitet werden? Belege gibt es dafür nicht, aber nach der Methode, die vorneweg US-Präsident Donald Trump vorlebt, verlegen sich manche Akteure darauf, es einfach mal zu behaupten.
Während die italienische Justiz noch prüft, ob sie aufgrund des Anfangsverdachts gegen Meloni und ihre Minister tatsächlich ermitteln soll, ist die politische Debatte in vollem Gang. In der abgelaufenen Woche musste sich die Regierung in beiden Kammern des Parlaments erklären. Dabei stand insbesondere Justizminister Claudio Nordio von Melonis Partei Fratelli d’Italia im Feuer: Er hatte den Fall massgeblich bearbeitet und Almasri in den Flieger nach Tripolis setzen lassen.
Nordio begründet das mit Ungereimtheiten im Haftbefehl, der schlampig ausgeführt gewesen sei. Er lag zunächst nur auf Englisch vor und lieferte zu den vermuteten Taten unterschiedliche Jahreszahlen, die das Gericht später selbst korrigiert habe. Kurzum: Als verantwortlicher Minister habe er Almasri nicht festhalten können – und einmal auf freiem Fuss, sei es für die Sicherheit in Italien besser gewesen, ihn abzuschieben.
Opposition wittert politische Gefälligkeit
Die Opposition ist einhellig empört. Man wittert eine politische Gefälligkeit gegenüber dem libyschen Regime, dessen Unterstützung Italien und die EU brauchen, um Flüchtlinge davon abzuhalten, mit Booten übers Mittelmeer nach Europa zu kommen. Almasri soll hierbei ein massgeblicher Drahtzieher sein. Berichtet wird auch, dass der General ein enger Mitarbeiter westlicher Geheimdienste und damit sozusagen sakrosankt sei.
Die Opposition wüsste gerne, wie die Ministerpräsidentin den Fall sieht, für den sie die politische Verantwortung trägt. Zumal Meloni sich einerseits rühmt, den Zuzug von Migranten durch Abkommen wie das mit Libyen mehr als halbiert zu haben, andererseits aber auch immer wieder betont, wie sehr das konkrete Elend von Menschen sie berührt.
Nur ist Meloni, seitdem sie die Anzeige gegen sich bekannt gemacht hat, aus der Öffentlichkeit weitgehend verschwunden.
Wo ist die «Präsidentin der Kaninchen»?
Entsprechend ergoss sich bei der Parlamentsdebatte am Donnerstag von allen Seiten des politischen Gegners Hohn und Spott über die abwesende Regierungschefin. Es sei «eine Schande», dass sie sich verkrieche, empörte sich Oppositionsführerin Elly Schlein, deren sozialdemokratische Parteifreunde allesamt Schilder mit drei Wörtern hochhielten: «Meloni dove sei?» Meloni, wo bist du? Aus der «Presidente del Consiglio dei Ministri», der Ministerpräsidentin, wurde eine «Presidente del Coniglio» gemacht, eine Präsidentin der Kaninchen: gut im Weglaufen und Deckungsuchen.
Meloni wird sich wohl bald erklären müssen. Zumal möglicherweise der Internationale Strafgerichtshof gegen Italien ermitteln wird. Immerhin hat das EU-Land einen mutmasslichen Folterer und Kriegsverbrecher, der schon gefasst war, in Kenntnis aller Vorwürfe in die Freiheit entlassen.
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