Klagen wegen «Remigration»-RechercheAfD greift «Correctiv» an, argumentiert aber widersprüchlich
Mehrere Klagen wenden sich gegen den Bericht, der Millionen von Menschen in Protest auf die Strasse getrieben hat. Zum Hauptvorwurf verhält sich die AfD ambivalent.
Am 10. Januar hat das renommierte Onlinemedium «Correctiv» eine Recherche veröffentlicht, die von einem geheimen Treffen des Rechtsextremisten Martin Sellner mit Politikern unter anderem von der AfD berichtete. Das Gespräch mit Sellner habe sich um das Thema «Remigration» gedreht, den Plan also, Migranten massenhaft aus Deutschland zu vertreiben – nötigenfalls auch solche mit deutschem Pass. Die Veröffentlichung führte zu grosser Empörung und löste eine beispiellose Welle von Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und die AfD aus.
Die Partei reagierte auf den Bericht mit einer Mischung aus Zerknirschung und Gegenangriffen. Parteichefin Alice Weidel entliess einen engen Mitarbeiter sowie einen Social-Media-Verantwortlichen, die am Treffen teilgenommen hatten. Die Partei erklärte formell, dass sie sich bei Abschiebungen von Asylsuchenden aus Deutschland natürlich an Recht und Gesetz halte. Gleichzeitig nannte Weidel den Bericht einen gewaltigen «Medienskandal», das Treffen «privat» statt «geheim» und «Correctiv» eine «Hilfs-Stasi».
Verschwörungsfantasien gegen «Correctiv»
Vor allem in sozialen Netzwerken attackierten von da an AfD-Sympathisanten und verbündete Medien «Correctiv» frontal und versuchten, dessen Glaubwürdigkeit zu zerstören. Aus der Tatsache, dass das gemeinnützige Medium zu einem Siebtel von staatlichen Stellen aus Bund und Ländern finanziert wird, ausschliesslich für seine Bildungsarbeit allerdings, wurde der Vorwurf gestrickt, «Correctiv» habe in staatlichem Auftrag die AfD angegriffen. Der Umstand, dass das Medium – wie viele andere – Kontakte zum Verfassungsschutz unterhält, diente manchen zum Beweis einer gemeinsamen Verschwörung der beiden.
Zudem gingen mehrere Klagen gegen «Correctiv» ein, die sich auf Straf- beziehungsweise Presserecht stützen. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy, die in Potsdam dabei war, beklagt, die Gespräche seien mit illegalen Mitteln aufgezeichnet worden. Belege dafür kann sie nicht anführen, «Correctiv» selbst schweigt sich vor Gericht über seine Quellen aus.
Um den Kern der Vorwürfe geht es noch nicht
Ein Unternehmer klagt dagegen, dass er in der Recherche als Spender genannt wird. Der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau wiederum, ein CDU-Mitglied, das die AfD häufig vor Gericht vertritt, hatte in Potsdam einen Vortrag über das Briefwahlrecht gehalten und moniert nun, er sei von «Correctiv» unvollständig zitiert worden. Sieben beigefügte eidesstattliche Erklärungen dementieren überdies, dass in Potsdam über die Vertreibung von deutschen Staatsbürgern gesprochen worden sei. «Correctiv» antwortete mit acht Erklärungen, die den Tenor des Berichts verteidigen.
Auffallend bei den Auseinandersetzungen vor Gericht ist, dass die Kernvorwürfe des Berichts – der Plan zur Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland, auch solchen mit deutschem Pass – bisher nicht bestritten werden. Aus Sicht von Anwälten beider Seiten handelt es sich dabei eher um «wertende Schlussfolgerungen» als um wahre oder falsche «Tatsachenbehauptungen».
Die AfD wiederum verwendet den Begriff «Remigration» mit Absicht ambivalent, je nachdem, an welchen Teil der Öffentlichkeit sie sich richtet. Sellner selbst hat bestätigt, dass er in Potsdam über die Vertreibung von Migranten sprach – und dass das aus seiner Sicht «grösste Problem» diskutiert wurde: wie man «nicht assimilierte» Deutsche zur Ausreise bewegen kann. Hoher Druck und «massgeschneiderte Gesetze» seien dafür nötig, sagte Sellner – auf Nachfrage etwa von Huy.
Kein Geheimplan, sondern ein Versprechen?
In völkischen Zirkeln der AfD verwendet man den Begriff «Remigration» schon seit Jahren als Euphemismus für den alten Schlachtruf «Ausländer raus». Björn Höcke, der heimliche Anführer der Partei, schrieb bereits 2018, natürlich sei das ein «Projekt» für Jahrzehnte, das «wohltemperierte Grausamkeit» erfordere.
Seit Jahren verlangt die AfD schärfere Gesetze, um missliebigen «Passdeutschen» die Staatsbürgerschaft leichter aberkennen zu können. Und seine rechtsextremen ostdeutschen Landesverbände beantworteten die «Correctiv»-Recherche mit einem Bekenntnis zur «Remigration» und dem Aufruf, Deutschland müsse «wieder deutscher werden».
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