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Nach der «Chaoten»-Abstimmung
Was der Entscheid für Teilnehmer einer Demo bedeutet

Die Zuercher Stadtpolizei im Einsatz gegen Randalierer in Zuerich am Sonntag, 18. September 2011. Kurz vor Mitternacht am Samstag sind in Zuerich zum dritten Mal innert 24 Stunden Krawalle ausgebrochen. Rund um den Hauptbahnhof und dem Central lieferten sich die Chaoten Gefechte mit der Polizei. Diese nahm rund 80 Personen fest. (KEYSTONE/Walter Bieri )....Zurich police shoots tear gas against demonstrators during the clashes near the Central Railway Station in Zurich, Switzerland, Sunday, September 18, 2011. Tonights clashes add to the series of conflicts between demonstrators who reclaim the right for free partying in Zurich and the police. Police arrested some 80 persons. (KEYSTONE/Walter Bieri )
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Wie hat der Kanton Zürich abgestimmt?

Mit einem Ja-Anteil von 63,8 Prozent hat die Zürcher Stimmbevölkerung den Gegenvorschlag zur «Anti-Chaoten-Initiative» deutlich angenommen. Nur 40,8 Prozent waren für die schärfere Initiative der Jungen SVP.

Damit ist klar, dass im Kanton Zürich sämtliche Demonstrationen, Kundgebungen und «anderweitige Veranstaltungen, welche zu gesteigertem Gemeingebrauch des öffentlichen Grunds führen», künftig einer Bewilligungspflicht unterstehen sollen.

Der Gegenvorschlag nimmt auch das zweite Kernanliegen der Initiative auf, wonach Verursacherinnen und Verursacher die Kosten von ausserordentlichen Polizeieinsätzen zwingend tragen müssen. Die Vorlage wurde allerdings mit der Einschränkung abgeschwächt, dass dies nur bei vorsätzlichen Handlungen geschehen soll.

Abstimmung Zürich, 3.3.2024, Anti-Chaoten-Initiative, SVP, zweiter von links: Sandro Strässle, SVP Dietikon, Initiant, Walcheturm, 3.3.2024, Foto Dominique Meienberg

Obwohl die Initiative abgelehnt wurde, herrscht bei den SVP-Vertretern Zufriedenheit: «Es ist ein Erfolg, wir haben etwas bewegt», sagt Sandro Strässle, Initiant der Jungen SVP, angesichts des wuchtigen Ja zum Gegenvorschlag. «Die Bevölkerung wünscht sich ein härteres Vorgehen gegen Teilnehmer unbewilligter Demonstrationen.» Strässle ist überzeugt: «Ohne Gegenvorschlag hätten wir gewonnen.» Er bezeichnet diesen als «70-Prozent-Lösung».

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Wie geht es weiter?

Der Gegenvorschlag wurde wie die Initiative als allgemeine Anregung eingereicht. Für die Umsetzung braucht es also einen genauen Gesetzestext, der von der Regierung vorgeschlagen und vom kantonalen Parlament verabschiedet werden muss.

Einen solchen Entwurf für den Gegenvorschlag hat der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr schon vor der Abstimmung präsentiert. Er will die Gesetzesänderung rasch in den Kantonsrat bringen: «Wir wollen Tempo machen und gesamtkantonale Regelungen schaffen gegen die, die immer und immer wieder das Demonstrationsrecht missbrauchen», sagte er Anfang Februar.

Abstimmung Zürich, 3.3.2024, Regierungsratspräsident Mario Fehr mit Carment Walker Späh, Volkswirtschaftsdept., Walcheturm, 3.3.2024, Foto Dominique Meienberg

Die grüne Kantonsrätin Silvia Rigoni, die beide Vorlagen bekämpft hat, will sich in der zuständigen Kommission für die Bewahrung der Grundrechte stark machen. «Der Gegenvorschlag verlangt ausdrücklich, dass das übergeordnete Recht berücksichtigt wird. Eine Bewilligungspflicht für Demonstrationen, wie sie der Gegenvorschlag ebenfalls verlangt, verstösst aber gegen übergeordnetes Recht.» Dieser Widerspruch könne im Gesetz allenfalls über Ausnahmeregelungen gelöst werden.

Allerdings dürfte Rigoni einen schweren Stand haben. In der Kommission für Justiz und öffentliche Sicherheit haben die Bürgerlichen die Mehrheit. Diese verschärfte nicht nur den ursprünglichen Gegenvorschlag der Regierung, sondern empfahl auch die weitergehende «Anti-Chaoten-Initiative» im Rat zur Annahme. SVP-Kantonsrat Ueli Bamert hat am Sonntag bereits angekündigt, dass seine Fraktion auf eine strenge Umsetzung des Gegenvorschlags pochen wird: «Das Volk will die Bewilligungspflicht für Demos.»

Reagiert jetzt die Stadt Zürich?

Die Stadt Zürich steht im Fokus der «Chaoten»-Debatte, weil dort erstens die meisten unbewilligten Demonstrationen stattfinden. Und weil die Stadt zweitens ihre Polizeikosten für unbewilligte Demonstrationen bisher grundsätzlich nie überwälzte. Der Zürcher Stadtrat ist der Ansicht, dass solche Einsätze zum Grundauftrag der Stadtpolizei gehören.

Eine vorsorgliche Änderung dieser Praxis steht trotz des deutlichen Abstimmungsergebnisses nicht im Raum – anders als bei der Kantonspolizei, die schon vor der Abstimmung dazu übergegangen ist, Teilnehmende von unbewilligten Demonstrationen finanziell in die Pflicht zu nehmen. «Wir warten ab, wie sich der Gegenvorschlag im Gesetz niederschlägt. Diese Änderung werden wir selbstverständlich umsetzen», sagt der Sprecher des städtischen Sicherheitsdepartements, Mathias Ninck, am Sonntagabend.

Wie hat die Stadt Zürich abgestimmt?

Vor der Abstimmung musste sich das Komitee der «Chaoten»-Initiative den Vorwurf gefallen lassen, es versuche, mit einer bürgerlichen Kantonsmehrheit die linke Stadt Zürich zu übersteuern.

Tatsächlich haben 67,8 Prozent der stimmberechtigten Stadtzürcherinnen und Stadtzürcher die Initiative abgelehnt – nicht überraschend sind das so viele wie in keinem anderen Bezirk im Kanton Zürich. Nicht unbedingt zu erwarten war hingegen, dass die Stadt Zürich den Gegenvorschlag annimmt, wenn auch vergleichsweise knapp mit 53,2 Prozent Ja-Anteil.

«Es kann also niemand behaupten, die Stadt sei in irgendeiner Weise majorisiert worden», sagte deshalb der Sicherheitsdirektor des Kantons Zürich, Mario Fehr.

Gehen Organisatoren von Demonstrationen – beispielsweise am 1. Mai – ein Risiko ein?

Nein. Die Komitees von grossen Demonstrationen und Kundgebungen lassen ihre Veranstaltungen wie bisher von der zuständigen Behörde bewilligen. Konsequenzen befürchten müssen nur Teilnehmende, die ausserordentliche Polizeikosten verursachen, etwa wenn der Schwarze Block zur Nachdemo am 1. Mai aufruft. Wer sich Scharmützel mit der Polizei leistet und identifiziert wird, muss gemäss Gegenvorschlag zwingend zur Kasse gebeten werden.

Abstimmung Zürichm, 3.3.2024, Patrick Walder, Amnesty Int.

«Es ist aber eine Illusion, zu glauben, dass es deswegen weniger Gewalt an Demonstrationen geben wird», sagt Patrick Walder von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, welche beide Vorlagen bekämpft hat. «Jene Leute, die an Demonstrationen bewusst Gewalt anwenden, wird das nicht abschrecken, weil sie sich ohnehin nicht erwischen lassen.» Die Angst vor finanziellen Folgen werde vor allem friedliche Menschen davon abhalten, von ihrem Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit Gebrauch zu machen.

Was blüht Demonstrierenden, die sich nicht ans neue Gesetz halten?

Der Gesetzesentwurf der Regierung sieht vor, dass ausserordentlich entstandene Polizeikosten «den Verursachenden anteilsmässig nach Massgabe ihres konkreten Beitrags auferlegt» werden.

Was das bedeutet, zeigt das Beispiel aus Rümlang, wo 14 Personen im April 2023 ein Waldstück besetzten. Ihnen hat die Kantonspolizei Zürich Rechnungen in Höhe von 800 bis 5000 Franken zugestellt. Laut Sicherheitsdirektor Mario Fehr differenzierte die Polizei zwischen jenen Personen, die am Tag der Räumung vor Ort waren, und jenen, welche die Räumung zusätzlich erschwerten, indem sie auf Bäume kletterten.

Die Kantonspolizei verrechne die Kosten nur, wenn sie das Verschulden der einzelnen Teilnehmenden nachweisen könne, so Fehr. «Die einzelnen Beiträge müssen im gesunden Verhältnis zum Verschulden stehen.»

Folgen jetzt jahrelange Rechtsstreitigkeiten?

Die zu erwartenden Kostenüberwälzungen dürften juristisch zu reden geben. Allein im Fall der Rümlanger Waldbesetzung haben 12 der 14 Betroffenen einen Rekurs eingereicht.

Die Grüne Silvia Rigoni sieht zudem die Möglichkeit, nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes grundsätzlich vor Gericht zu klären, ob die Zürcher Bestimmungen die Grundrechte der Menschen einhalten. Sie verweist auf jenen Zürcher Racial-Profiling-Fall, für den die Schweiz kürzlich vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wurde.